Rechtsanspruch aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80

Nach der Rechtsprechung des EuGH stellt Art.7 Satz 2 ARB 1/80 eine gegenüber Art. 7 Satz 1 günstigere Bestimmung dar, die darauf abzielt, unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders zu behandeln, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit gemäß den Zweck des Beschlusses Nr. 1/80 schrittweise die Freizügigkeit der Arbeitnehmer verwirklicht wird.

EuGH, U. v. 21.01.2010 – C-462/08 –, ?Bekleyen?, Rn. 25

Zur Entstehung eines Rechtsanspruchs aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 ist nicht erforderlich, dass ein Elternteil zu dem Zeitpunkt, zu dem das Kind seiner Berufsausbildung im Aufnahmemitgliedstaat beginnt, die Arbeitnehmereigenschaft noch besitzt oder in diesem Staat wohnt. Der EuGH führt die in der Rechtssache ?Bekleyen ?aus, Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 sei dahin auszulegen, dass sich das Kind eines türkischen Arbeitnehmers, der im Mitgliedstaat länger als drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war, in diesem Mitgliedstaat nach Abschluss einer Berufsausbildung in diesem Staat auch dann auf das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und das entsprechende Aufenthaltsrecht berufen kann, wenn es, nachdem es mit seinen Eltern in den Herkunftsstaat zurückgekehrt war, allein in den betreffenden Mitgliedstaats zurückkehrt, um dort seine Ausbildung aufzunehmen.

EuGH, U. v. 21.01.2010 – C-462/08 –, Bekleyen, Rn. 45

Die Kinder türkischer Arbeitnehmer erhalten damit unmittelbar das Recht, sich uneingeschränkt, unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot zu bewerben, sofern ein Elternteil länger als drei Jahre ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat beschäftigt war,und das Kind des türkischen Arbeitnehmers nach rechtmäßiger Einreise eine Berufsausbildung abgeschlossen hat.

Entsprechend dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die Integration von Kindern türkischer Arbeitnehmer zu fördern und diesen nach Abschluss einer Berufsausbildung den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, folgt daraus unmittelbar der Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis.

Hat das Kind eines türkischen Arbeitnehmers keinen Rechtsanspruch aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben, so steht ihm unter den vorgenannten Voraussetzungen jedenfalls ein Rechtsanspruch aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 zu.

EuGH, U. v. 19.11.1998 –C-210/97 –, Akman, Rn. 48, NVwZ 1999, 281

Der Begriff der" Berufsausbildung" wird im ARB 1/80 nicht definiert. Der Gerichtshof hat den Begriff „Berufsausbildung" im Sinne des Vertrags weit ausgelegt. So erfasst dieser Begriff nach der Rechtsprechung jede Form der Ausbildung, die auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet oder die die besondere Befähigung zur Ausübung eines solchen Berufs oder einer solchen Beschäftigung verleiht, und zwar unabhängig vom Alter und vom Ausbildungsniveau der Schüler und Studenten und selbst dann, wenn der Lehrplan auch allgemeinbildenden Unterricht enthält.

EuGH, U. v. 30.05.1989 – Rs 242/87 –, Kommission/Rat, Slg. 1989, 1425, Rn. 24;
EuGH, U. v. 13.02.1985 – Rs 293/83 –, Gravier, Slg. 1985, 593.

Der Generalanwalt Bot (Schlussanträge v. 11.01.2007 – C-325/05 –) führt in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Derin dazu aus:

„Rn. 73 Der in Artikel 7 Abs. 2 des Beschlusses Nr. 1/80 verwendete Begriff der" Berufsausbildung" wird in diesem Beschluss nicht definiert. Seine Bedeutung ist auf vom Gerichtshof nicht bestimmt worden; allerdings hat er das Ziel der Vorschrift, zu der dieser Begriff gehört, herausgearbeitet. Art. 7 Abs. 2 des Beschlusses Nr. 1/80 stellt nach Auffassung des Gerichtshofs eine gegenüber Abs. 1 günstigere Bestimmung dar, weil sie die Kinder eines türkischen Arbeitnehmers insoweit besonders behandeln wolle, als sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern suche, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dieses Beschlusses zu verwirklichen.

Rn. 74... der Begriff „ Berufsausbildung" im Sinne des Art. 7 Abs. 2 des Beschlusses Nr. 1/80 (sollte) eine vergleichbare Auslegung wie der gleiche in Artikel 150 EG erfahren, weil beide Vorschriften vergleichbare Ziele verfolgen...

Rn. 75 Der Gerichtshof hat den Begriff „Berufsausbildung" im Sinne des Vertrags weit ausgelegt. So erfasst dieser Begriff nach der Rechtsprechung jede Form der Ausbildung, die auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet oder die die besondere Befähigung zur Ausübung eines solchen Berufs oder einer solchen Beschäftigung verleiht, und zwar unabhängig vom Alter und vom Ausbildungsniveau der Schüler und Studenten und selbst dann, wenn der Lehrplan auch allgemeinbildenden Unterricht enthält ."