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Gewalt gegen Frauen, Türkischer Bund, Rechtsanwälte, Ausländerrecht

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Berlin - Der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg e. V. (TBB) bezog Ende vergangener Woche in der Diskussion um die Diskriminierung von und Gewalt gegen Frauen unter Muslimen in Deutschland Stellung, indem er einen Zehn-Punkte-Plan vorlegte, und versuchte, so aus türkischer Sicht Einfluss auf die Wahrnehmung der Probleme durch die Gesellschaft zu nehmen. Der TBB ist ein Dachverband von Organisatioen, die Berlinerinnen und Berliner sowie Brandenburgerinnen und Brandenburger türkischer Herkunft gegründet haben. Zur Zeit sind 21 Organisationen Mitglied im TBB .

Der TBB versteht sich als Interessenvertretung seiner Mitglieder durch seinen Einsatz für eine rechtliche, soziale und politische Gleichstellung der ethnischen Minderheiten. Der TBB konzentriert seine Arbeit ausschließlich auf die Bundesrepublik und bezieht zu türkeipolitischen Themen keine Stellung.

Nachdem vor wenigen Tagen im stark von türkischstämmigen Mitbürgern geprägten Berliner Stadtbezirk Neukölln der "Ehrenmord" an einer jungen Türkin, der 23jährigen Hatun Sürücü, mutmaßlich begangen durch ihre Brüder, vor allem an der Thomas-Morus-Oberschule gutgeheißen und geradezu begrüßt wurde, war es nach Ansicht des TBB an der Zeit, aus Sicht seiner Klientel das Wort zu ergreifen. Er stellte am 25.02.2005 einen Zehn-Punkte-Plan "zur Diskussion", der folgenden Inhalt hatte:

  • Null-Toleranz gegenüber Gewalt an Frauen
  • keine Toleranz gegenüber repressiven Einstellungen aus vorgeschobenen religiösen oder traditionellen Gründen
  • Ächtung von Wertevorstellungen, die Frauen diskriminieren
  • öffentliches und aktives Bekenntnis aller türkischer und islamischer Organisationen zum Selbstbestimmungsrecht der Frauen
  • Förderung des inner-türkischen sowie inner-islamischen Diskussionsprozesses in Bezug auf die Gleichberechtigung der Frauen
  • strikte Strafverfolgung der Zwangsverheiratung, Aufklärung in der türkischen und islamischen Community
  • interkulturelle Öffnung der Bildungseinrichtungen und Förderung der interkulturellen Kompetenz der Lehrkräfte
  • Einrichtung eines Lehrstuhls für Islamische Theologie an einer der Berliner Universitäten; Einführung eines Islamkunde-Unterrichts an den Berliner Schulen
  • Durchsetzung der Schulpflicht in Bezug auf Schwimm-, Sport-, Biologie- und Sexualkundeunterricht und
  • Darstellung der eigentlichen Werte des Islam in der Öffentlichkeit.

In einer Presseerklärung vom selben Tage begrüßte Bildungssenator Klaus Böger (SPD) die Thesen zur Bekämpfung der Intoleranz gegenüber Frauen. "Der Vorschlag zu einem Islamkundeunterricht an Berliner Schulen deckt sich mit meinen Vorstellungen, den Werteunterricht als Pflichtfach einzuführen. Die Erklärung des TBB macht deutlich, dass der Islam Gewalt an Frauen nicht rechtfertigt. Wichtig ist, dass der TBB die Diskussion gegen menschenfeindliche Vorstellungen in unserer Gesellschaft vorantreibt. Wir wollen eine tolerante, gewaltfreie Gesellschaft in der jeder nach seiner Facon selig werden kann. Der TBB ist damit ein wichtiger Partner für uns", hieß es in der Erklärung.

Nach Medienberichten gab es aber auch bereits erste Kritik an dem Plan: es wurde gerügt, dass es insgesamt zu wenig greifbare Lösungsvorschläge gebe.

Bei einer zweistündigen öffentlichen Diskussion am 25.02.2005, an der zahlreiche Politiker, Pädagogen, Vertreter von Senatsverwaltungen und Frauenorganisationen teilnahmen, seien mehr Fragen aufgeworfen als konkrete Konzepte oder Strategien vorgestellt worden. Viele Teilnehmer hätten darauf hingewiesen, daß aufgrund von Versäumnissen in der Integrationspolitik in den vergangenen vier Jahrzehnten Parallelgesellschaften entstanden seien.

Die PDS-Abgeordnete Evrim Baba forderte ein Rückkehrrecht für Frauen, die in ihrer Heimat zwangsverheiratet werden. Frauen, die aufgrund einer Heirat nach Berlin kommen, sollten auch nach der Annullierung ihrer Ehe hier einen sicheren Status erhalten, sagte die Politikerin. Aber auch sie blieb die Antwort darauf schuldig, wie dies zu bewerkstelligen sein soll.

Der TBB war allerdings bereits zuvor der Kritik unzureichender Lösungsansätze begegnet, indem die Initiatoren klargestellt hatten, worum es zunächst gehe: "Wir wollen die Lage analysieren und gemeinsam überlegen, was wir tun können", hieß es beim TBB. "Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir koordiniert vorgehen."

Die Dialog- und Handlungsbereitschaft, die die Gruppe wie auch andere muslimische Interessenverbände signalisieren und die in der vielstimmigen Verurteilung der Geschehnisse in Neukölln auch die ersten Anzeichen ernsthaften Bemühens hervorbrachten, sollten in jedem Fall nicht leichtfertig abgeschmettert werden. In der Integrationsdebatte sollte kein Ansatz beiseitegeschoben werden: es steht nicht ernsthaft in Frage, dass gegenseitiges Verständnis von unten wachsen muss, aber es kann auch kaum bezweifelt werden, dass es hilfreich ist, wenn die Ebene der Meinungsmacher Perspektiven und Visionen einschließlich Transportmedien entwirft, um diesen Prozess zu flankieren oder, wo nötig, gerade erst zu initiieren.