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Zwangsehen, Gesetzesänderungen, Familienzusammenführungsrichtlinie

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Gesetzesänderung zur Vermeidung von Zwangsehen

Das Ziel, Zwangsehen zu vermeiden, führt in der gegenwärtigen Situation zu einem Gesetzgebungsentwurf, bei dem völlig außer Blick gekommen ist, dass eine mehrjährige Zuzugsbegrenzung, gerade im Bereich "regulärer Eheschließungen" seine unzumutbare Wirkungen entfalten wird. Grundlage für die heutige Diskussion bildet die Familienzusammenführungsrichtlinie, die bereits seit dem 3. Oktober 2005 in nationales Recht hätte umgesetzt sein müssen.

Grundlage der Gesetzesänderung

Die Kommission nahm mit dem ursprünglichen Richtlinienvorschlag (KOM (2002) 225 endgültig) für die Familienzusammenführungsrichtlinie auf eigene Initiative in Art. 4 Abs. 5 eine neue Bestimmung auf, wonach die Mitgliedstaaten für den Zusammenführenden und seinem Ehegatten ein Mindestalter vorschreiben können, das nicht höher als das Alter der gesetzlichen Volljährigkeit sein darf, bevor der Ehegatte dem Zusammenführen nachziehen darf. Mit dieser Regelung sollte Zwangsehen, zumindest soweit sie minderjährige Personen betreffen, ein Riegel vorgeschoben werden.

Diese Fassung wurde durch die verabschiedete Richtlinie weiter verschärft, da nunmehr zur Förderung der Integration und zur Vermeidung von Zwangsehen von den Mitgliedstaaten vorgesehen werden kann, dass der Zusammenführende und sein Ehegatte ein Mindestalter erreicht haben müssen, das höchstens auf 21 Jahre festgelegt werden darf, bevor der Ehegatte dem Zusammenführenden nachreisen darf. Durch die Festlegung auf das Mindestalter von höchstens 21 Jahren wurde den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, über den ursprünglichen Richtlinienvorschlag hinaus auf ein Alter abzustellen, das über der jeweiligen Volljährigkeitsgrenze lag.


Regelung im Gesetzentwurf zum 2. Änderungsgesetz (Link setzen)

In Anbetracht dieser Richtlinienvorgaben erstaunt es nicht, wenn diese Regelungsoption mit dem 2. Änderungsgesetz umsetzen werden soll. Mit der geplanten Regelung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG soll der Ehegattennachzug zu Ausländern davon abhängig gemacht werden, dass beide Eheleute ?das 21. Lebensjahr vollendet haben?. Auch wenn das Europäische Parlament seine Klage nicht auch auf diese Regelungsoption der Familienzusammenführungsrichtlinie erstreckt hat, mit der die Festsetzung eines Mindestalters von 21 Jahren ermöglicht wird, so dürfte sowohl die Richtlinienbestimmung selbst, d. h.der Art. 4 Abs. 5, als auch deren geplante Umsetzung durch § 30 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG mit Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar sein.


Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts

In seiner Grundsatzentscheidung zu möglichen Beschränkungen des Familiennachzugs durch Einführung eines Nachzugsalters und/oder Wartezeiten hat der 2. Senat (BVerfG, 2. Senat, Beschluss vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1) unzweifelhaft auf die Verfassungswidrigkeit einer Wartezeitregelung von drei Jahren hingewiesen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die insoweit in Baden-Württemberg eingeführte Erlassregelung mit folgender Begründung für verfassungswidrig.


Tragende Entscheidungsgründe

?(4) Die zuständigen Organe haben indessen die Belange von Ehe und Familie der Betroffenen und die öffentlichen Interessen, die dem Verlangen nach einer dreijährigen Ehebestandszeit zugrunde liegen, nicht in einer dem Schutz- und Förderungsgebot des Art. 6 GG angemessenen Weise gegeneinander abgewogen und dadurch deren Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

Bei der weitaus überwiegenden Zahl der Ehen zwischen Ausländern handelt es sich um echte Ehen und nicht um "Scheinehen". Demgemäß ist das vorrangige Ziel der zur Prüfung stehenden Ehebestandszeitregelungen die Begrenzung des Zuzugs ausländischer Ehegatten, die den Wunsch nach einem ehelichen Zusammenleben im Bundesgebiet nicht nur vortäuschen. Die Beurteilung der Angemessenheit dieser Regelungen ist mithin in erster Linie am Normalfall der dem Verständnis des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG entsprechenden Ehe auszurichten. Dem Ziel der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern darf von Verfassungs wegen erhebliches Gewicht beigemessen werden. Einem Fremden, der eine im Ausland lebende Person geheiratet hat, die nicht deutsche Staatsangehörige ist, darf daher regelmäßig auch nach einem mehr als achtjährigen Aufenthalt durch Auferlegung einer ab Eheschließung laufenden Wartefrist für einen Nachzug angesonnen werden, ernstlich zu prüfen, ob er sich nicht zu entschließen vermag, die eheliche Lebensgemeinschaft im betreffenden Heimatland herzustellen. Denn er hat durch die Wahl seines Ehegatten eine (fortdauernde) Verbundenheit mit diesem Land bekundet. Die Dauer der Wartefrist für einen Nachzug muss sich indes im Rahmen dessen halten, was dem Schutz- und Förderungsgebot des Art. 6 GG noch angemessen ist. Dieser Rahmen wird durch das Erfordernis einer Wartefrist von drei Jahren erheblich überschritten. ?

Entscheidend kommt hinzu: Von dem Erfordernis einer dreijährigen Ehebestandszeit werden - anders als vom oben behandelten Aufenthaltserfordernis - ausnahmslos junge Ehen getroffen. Die den Eheleuten abverlangte Entscheidung zwischen der Hinnahme einer langen Trennungszeit oder einer Übersiedelung ins Ausland fällt damit in die erste Zeit des (beabsichtigten) Zusammenlebens, die häufig durch Geburt von Kindern gekennzeichnet ist und in der die Anforderungen, die eheliche Gemeinschaft und Elternschaft an die Betroffenen stellen, erstmals erfahren werden und bewältigt werden müssen. Deshalb stellt es regelmäßig eine schwere Belastung und Gefährdung für eine junge Ehe dar, wenn die Eheleute vor die Entscheidung gestellt werden, für einen Zeitraum von drei Jahren allenfalls in Abständen von mehreren Monaten besuchsweise zusammenleben zu können oder unter vollständiger Aufgabe einer über Jahre erarbeiteten wirtschaftlichen und sozialen Stellung in der Bundesrepublik Deutschland ins Ausland übersiedeln zu müssen. Die Forderung nach einer dreijährigen Ehebestandszeit kann ferner deshalb zu einer Gefährdung der von ihr betroffenen Ehen führen, weil jung verheiratete Eheleute häufig nicht in der Lage sein werden, die Folgen einer mehrjährigen Trennung einzuschätzen und sich unter Verkennung der mit ihr verbundenen Gefährdungen gegen eine umgehende Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft im jeweiligen Heimatland entscheiden werden. Schließlich kann von der in Rede stehenden Regelung eine ehegefährdende Wirkung deshalb ausgehen, weil sie junge Paare dazu veranlassen kann, zur Vermeidung einer Trennung von mehr als drei Jahren verfrüht die Ehe einzugehen.

In Fällen, die Ausländer der ersten Generation betreffen, wird das Gewicht des von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Wunsches nach einem Nachzug ins Bundesgebiet noch dadurch verstärkt, dass die Bundesrepublik Deutschland diese Ausländer zur Arbeitsaufnahme ins Bundesgebiet angeworben hat. Zwar hat die Anwerbung als solche ein von Verfassungs wegen schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen auf die Gestattung eines Nachzugs ihrer Ehegatten und Kinder nicht begründet. Die Bundesrepublik Deutschland hat jedoch den Angeworbenen gegenüber ein besonderes Maß an Verantwortung übernommen, dem das Verlangen nach einer dreijährigen Ehebestandszeit nicht gerecht wird.?

Diesen Ausführungen, die sich auf die Verhinderung von Zwangsehen ohne weiteres übertragen lassen, ist nichts hinzuzufügen.


Grenzen des Höchstalters für den Ehegattennachzug

Gleichwohl ist die Auferlegung einer ab Eheschließung laufenden Wartefrist für einen Nachzug nicht schlechthin ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit in der vorstehenden Grundsatzentscheidung klargestellt, dass die zuständigen Organe in Fällen von "Scheinehen" nicht darauf beschränkt sind, nach Einreise der betreffenden Ehegatten mit ordnungsrechtlichen Mitteln tätig zu werden. Gleiches gilt auch für die Verhinderung von Zwangsehen. Da die Zuzugsbegrenzung aber gerade auch im Bereich "regulärer Eheschließungen" Wirkungen entfaltet, vermögen die Belange der "Zwangsehenbekämpfung" nichts daran zu ändern, dass die beabsichtigte Regelung, in nicht mehr zumutbarer Weise das verfassungsrechtlich geschützte Interesse der Aufenthalt im Bundesgebiet begehrenden Ehegatten aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG beeinträchtigt.

Dabei ist auch zu beachten, dass die in anderen Ländern durchaus übliche Verheiratung von Minderjährigen, die nicht immer gleich als Zwangsehe stigmatisiert werden können, sogar zu einer Wartezeit führen kann, die deutlich über der 3-Jahres-Frist liegt, die Gegenstand der Verfassungsgerichtsentscheidung war. Ob das für den Ehegattennachzug vorgesehene Mindestalter auf die Volljährigkeitsschwelle von 18 Jahren gesenkt werden wird, wie dies zum Teil von politischen Entscheidungsträgern zu hören war, bleibt abzuwarten.

Weitere Einzelheiten können dem ebook zur Familienzusammenführungsrichtlinie entnommen werden.

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