1. Eine von einem Schengenstaat ausgestellte Aufenthaltskarte nach Art. 10 RL 2004/38/EG vermittelt ein Einreise- und Aufenthaltsrecht nach Art. 21 SDÜ.
  2. Auf die Frage, ob die Aufenthaltskarte als Aufenthaltstitel der Kommission gemeldet worden ist, kommt es für das Bestehen des Aufenthaltsrechts und dem damit verbundenen Recht aus Art. 21 SDÜ nicht an.
  3. Die unmittelbar aus dem AEUV bestehende Freizügigkeit der Unionsbürger würde nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn deren Familienangehörige von der Freizügigkeit nur dann Gebrauch machen können. wenn und soweit der Unionsbürger selbst innerhalb der EU davon Gebrauch macht. Hält sich beispielsweise ein Unionsbürger im Rahmen seiner Freizügigkeit vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat auf, wird diese Freizügigkeit beeinträchtigt, wenn er gezwungen wäre, in einen anderen Mitgliedstaat reisen zu müssen, um seinem Familienangehörigen die Einreise zu ermöglichen. Muss im umgekehrten Fall der Unionsbürger vorübergehend den anderen Mitgliedstaat verlassen, könnte ihn die Tatsache, dass das Aufenthaltsrecht des Familienangehörigen mit der Ausreise entfällt, in seiner Freizügigkeit behindern.
    = Bedeutung der Aufenthaltskarte als europarechtlichen und nicht nur schengenrechtlichen Aufenthaltstitel

Zum Amtsermittlungsgrundsatz des § 26 FamFG in Kindschaftssachen gem. § 151 Abs. 1 Nr.5 FamFG:

  1. Das Amtsgericht genügt seiner Amtsermittlungspflicht gem. § 26 FamFG nicht ausreichend, wenn bei Zweifeln über das Alter des Betroffenen nicht alle Möglichkeiten, das Alter festzustellen, ausgeschöpft werden.
  2. Insbesondere hätte es klären müssen, inwiefern der Betroffene mit der Fertigung von Röntgenbildern der Handwurzel, des kompletten Armskeletts, des Gebisses oder des Brust- und Schlüsselbeins durch die Rechtsmedizin zur Altersfeststellung einverstanden ist. Auch ohne Röntgenuntersuchung bliebe die Möglichkeit der Altersbestimmung durch Inaugenscheinnahme durch einen medizinischen Sachverständigen.
  3. Soweit die Entscheidung allein auf die Feststellung der Mitarbeiter der Regierung von Oberbayern gestützt wird, ist nicht ersichtlich, dass diese die erforderliche medizinische Kompetenz haben, das Alter des Betroffenen festzustellen.

Dem Dokument ist die Stellungnahme von RA Hubert Heinhold (Rechtsanwälte Wächtler und Kollegen, München) beigefügt und kann über die "Büroklammer" im pdf-Dokument geöffnet werden.

  1. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU) setzt voraus, dass die Erwerbstätigkeit nicht in der Begehung von Straftaten besteht.
  2. Rumänische Staatsangehörige erlangen die Arbeitnehmerfreizügigkeit erst mit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung-EU (§ 13 FreizügG/EU).
  3. Ein Unionsbürger darf, auch wenn er nicht freizügigkeitsberechtigt ist, nicht nach den Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG ausgewiesen werden. Es ist lediglich eine Verlustfeststellung unter den strengeren Voraussetzungen des § 6 FreizügG/EU möglich. 
  4. Bei der Frage, ob der Unionsbürger noch eine gegenwärtige Gefährdung für die öffentlichen Ordnung darstellt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU), sind Entscheidungen und Stellungnahmen aus einem Verfahren zur vorzeitigen Haftentlassung zu berücksichtigen, haben jedoch keine Bindungs- oder Vermutungswirkung (im Anschluss an BVerwG NVwZ 2010, 389).

Die Visumserteilung  steht nicht im Ermessen der Beklagten.
Es spricht bereits allgemein einiges dafür, dass der Visakodex die Entscheidung über die Erteilung einheitlicher Schengenvisa nunmehr als gebundene Entscheidung ausgestaltet und damit die Ermessensregelung des § 6 Abs. 1 bis 3 AufenthG verdrängt.
Ebenfalls gegen die Annahme eines Ermessensspielraumes spricht, dass Art. 23 Abs. 4 VK lediglich vier Entscheidungsvarianten –
a) Erteilung eines einheitlichen Visums,
b) Erteilung eines nationalen Visums,
c) Visumsverweigerung und
d) Übermittlung an den zuständigen Staat –
kennt und eine Ermessensentscheidung dabei nur im Rahmen der Erteilung nationaler Visa gemäß Art. 25 VK vorsieht, welche aber erst dann relevant wird, wenn der Antrag auf ein einheitliches Visum an sonstigen Voraussetzungen scheitert.

Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Anordnung der Abschiebung nach Italien nach der Dublin-II-Verordnung

  1. Im Rahmen des Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ist der Aus-schluss des Eilrechtsschutzes § 34 a Abs. 2 AsylVfG nicht anwendbar. Eine Verpflichtung effektiven Rechtsschutz zu gewähren, ergibt sich auch aus Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte.
  2. Statthafter Rechtsbehelf gegen die Abschiebungsanordnung ist § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
  3. Ein dem Bevollmächtigten bekanntgegebener Verwaltungsakt ist wirk-sam. Es ist dem Asylbewerber nicht zumutbar, die Zustellung an ihn selbst nach § 31 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG abzuwarten.
  4. Es sprechen überwiegende Gründe dafür, dass der Antragsteller im Falle einer Überstellung nach Italien nicht der erforderliche Flüchtlingsschutz entsprechend der europarechtlich garantierten Mindeststandards insbe-sondere nach den Richtlinien 2009/9/EG  und 2005/85/EG erlangen wür-de.

Das Gericht ist der Auffassung, dass eine Zurückschiebung in dem Fall, dass die freiwillige Ausreise unmittelbar bevorsteht bzw. schon im Gange ist, eine Zurückschiebung nicht mehr erfolgen darf, da die Zurückschiebung in diesem Fall nicht mehr verhältnismäßig, weil nicht erforderlich ist. Bei der Zurückschiebung, die eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung darstellt, ist generell der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und insbesondere dem Element der Erforderlichkeit Rechnung zu tragen.

Aus der - seit dem Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 - unmittelbar wirkenden Regelung des Artikels 11 Abs. 2 der EU-Richtlinie 2008/115 (sogenannte Rückführungs-RL) folgt, dass  die Dauer des Einreiseverbots grundsätzlich fünf Jahre nicht überschreitet und fünf Jahre (nur) überschreiten kann, wenn der Betreffende eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt.

Zu den Prüfungsvoraussetzungen und Ablehnungsmöglichkeiten der Konsulate bei Visaanträgen zu Besuchszwecken (insb. wegen mangelnder Rückkehrbereitschaft):

Liegen die in Art. 21 VK niedergelegten materiellen Voraussetzungen für die Visumserteilung vor, so ist – vorbehaltlich einer ggf. nach Art. 22 VK notwendigen Konsultation eines anderen Mitgliedsstaats – nach Art. 23 Abs. 4 Buchstabe a VK ein einheitliches Visum zu erteilen. Zu verweigern ist das Visum grundsätzlich nur dann, wenn die in Art. 32 VK spiegelbildlich zu Art. 21 VK normierten Versagungsgründe vorliegen (Art. 23 Abs. 4 Buchstabe c VK).

Zur Berechnung der Dauer des Kurzaufenthaltsrechts eines visumsfreien Drittstaatsangehörigen im Fall der zwischenzeitlichen Rückkehr:

  1. Die Annahme einer Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG setzt voraus, dass der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in zeitlicher Nähe zu dem vorangegangenen rechtmäßigen Aufenthalt steht. Bei der näheren Bestimmung der zeitlichen Grenze sind die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des rechtmäßigen Voraufenthalts zu berücksichtigen.
  2. Der Zeitraum von sechs Monaten ab dem Datum der ersten Einreise, innerhalb dessen man sich drei Monate visumsfrei im Schengen-Raum aufhalten darf, ist entsprechend §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB  ohne Berücksichtigung des Tages der Einreise zu berechnen.
  3. Zur Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Bestimmung des Aufenthaltszwecks, nach dem sich richtet, ob der Ausländer im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG mit dem erforderlichen Visum eingereist ist.

Das Institut der Zurückschiebung nach § 57 AufenthG ist unter Berücksichtigung der RL 2008/115/EG nur dann europarechtskonform aufrechtzuerhalten, wenn der Ausländer im unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise von der Grenzbehörde im grenznahen Raum angetroffen wird und Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischern Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird.
Nur in diesen Fällen ist die Verordnung (EG) Nr. 2002/343 (Dublin II) vorrangig anzuwenden.

Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der EU-Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG) verpflichtet die Behörde nicht dazu, das aus § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG folgende Einreiseverbot bereits bei Erlass einer Ausweisung zu befristen.

Zu den Anforderungen an eine rechtmäßige Zurückschiebung wegen Unverhältnismäßigkeit der Zurückschiebung bei Freiwiiligkeit der Ausreise.

Mit Kommentar zu den Anforderungen an eine Zurückschiebung seit 24.12.2010.

Siehe insbesondere Beitrag zur Rückführungsrichtlinie:

icon Zur nationalen Umsetzung der Rückführungsrichtlinie (376.07 kB 2010-11-12 12:05:52)

Siehe weitere Rechtssprechung zur Unverhältnismäßigkeit der Zurückschiebungshaft.

Der Beitrag wurde am 29.12.2010 überarbeitet.

Mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch einen visumpflichtigen Drittstaatsangehörigen – der hier in Form der selbständigen Tätigkeit ohne Erlaubnis eine Ordnungswidrigkeit gem. § 98 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG verwirklicht – wird ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Buchst. e) Schengener Grenzkodex begangen, der zum Erlöschen des Reise- und Aufenthaltsrechts aus Art. 21 SDÜ führt.

  1. Die Ausländerbehörde hat bei allen aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zur Geltung zu bringen.
  2. Den sich aus Art. 6 GG ergebenden Schutzwirkungen ist auch im Rahmen der Befristung nach § 11 Abs. 1 AufenthG Rechnung zu tragen. Daraus kann ein Anspruch darauf erwachsen, dass die Befristung abweichend von § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausnahmsweise mit sofortiger Wirkung ohne vorherige Ausreise erfolgt.
Die in Nummer 11.1.4.4 AVwV-AufenthG generell vorgesehene Verknüpfung der Befristung der Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung mit der Erstattung von Kosten durch den Ausländer ist mit der Regelung des § 11 Abs. 1 S. 3 AufenthG nur in Ausnahmefällen vereinbar.
Insbesondere bei offenen Forderungen bezüglich der Begleichung von Abschiebungskosten ist die Höhe der Kosten und die Leistungsfähigkeit des Ausländers bei der Entscheidung zu berücksichtigen.
  1. Ein Drittausländer, der Inhaber eines gültigen von einer Schengen-Vertragspartei ausgestellten Aufenthaltstitels ist, kann sich auf das Recht aus Art 21 I SDÜ nur berufen, wenn er die Einreisevoraussetzungen des Art 5 Abs 1a SDÜ erfüllt, also bei der Einreise im Besitz eines gültigen Reisepasses ist.
  2. Reist ein Drittausländer, der im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels eines Vertragsstaates ist, ein, ohne im Besitz eines Reisepasses zu sein, reist er unerlaubt i.S.v. § 58 Abs 1 Nr. 2 AuslG (AuslG 1990) ein und ist nach § 42 Abs 2 Nr. 1 AuslG (AuslG 1990) vollziehbar ausreisepflichtig.
Im Falle einer erfolgten Zurück- oder Abschiebung eines Asylsuchenden nach Griechenland im Rahmen der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 gehört es zu den verfahrensrechtlichen Obliegenheiten eines asylsuchenden Klägers, über die näheren Umstände seines Asylverfahrens in Griechenland vorzutragen.
Dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 123 VwGO wegen Überstellung eines afghanischen Asylbewerbers nach Italien wurde stattgegeben.
  1. Der Verlust des Freizügigkeitsrechts auf Einreise und Aufenthalt kann auch dann festgestellt werden, wenn der EU-Bürger nur eine Freizügigkeitsberechtigung für Kurzaufenthalte nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU besitzt.
  2. Die Verlustfeststellung wird nicht rechtswidrig, wenn der Betroffene diese Freizügigkeitsberechtigung vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung verliert.
Zur Frage der Visumfreiheit bei beabsichtigtem längerfristigen Aufenthalt in Bezug auf die Anwendung des Soysal-Urteils des EuGH vom 19.02.2009 (Rs. 228/06) auf türkische Touristen, die sich nach Ablauf ihres Schengen-Visums weiterhin im Bundesgebiet aufhalten wollen.