Bei grober Täuschung hindert Rechtskraft nicht die Rücknahme einer Flüchtlingsanerkennung

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Der 10. Senat des BVerwG hat mit Urteil vom 19.11.2013 (BVerwG 10 C 27.12) entschieden, dass auch eine auf einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung beruhende Flüchtlingsanerkennung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - zurückgenommen werden kann, wenn das Gericht über zentrale Elemente des Flüchtlingsschicksals getäuscht worden ist.

Die Kläger, eine Mutter und ihre beiden Söhne, stellten 1998 unter falschen Namen Asylanträge. Dabei behaupteten sie wahrheitswidrig, sie seien syrisch-orthodoxe Christen aus der Türkei und dort verfolgt worden. Das Bundesamt lehnte die Asylanträge ab, wurde aber durch rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts verpflichtet, die Kläger als Flüchtlinge anzuerkennen. Zehn Jahre später stellte sich heraus, dass die Kläger armenische Staatsangehörige sind, nie in der Türkei gelebt haben und auch in Armenien nicht verfolgt worden sind. Daraufhin hob das Bundesamt die Flüchtlingsanerkennungen auf. Das Verwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Oberverwaltungsgericht hat den Klagen hingegen stattgegeben. Eine Rücknahme der Flüchtlingsanerkennungen sei nicht möglich, da sie auf einem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil beruhten. Ein solches Urteil könne allein in einem - nur unter engen Voraussetzungen möglichen - förmlichen Wiederaufnahmeverfahren beseitigt werden.

Auf die Revision der Beklagten hat der 10. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts das Berufungsurteil geändert und die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt. Die Flüchtlingsanerkennungen durften nach § 73 Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes zurückgenommen werden, weil sie auf Grund unrichtiger Angaben ausgesprochen worden waren; dieser Beendigungstatbestand ist auch im Flüchtlingsrecht der Europäischen Union vorgesehen. Die Rechtskraft des zur Flüchtlingsanerkennung führenden Gerichtsurteils steht hier nicht entgegen, weil ein Fall des Urteilsmissbrauchs vorliegt. Der Gedanke der unzulässigen Rechtsausübung, der im Gesetz u.a. in § 826 BGB Ausdruck gefunden hat, ist als Verbot des Urteilsmissbrauchs auch im Verwaltungsprozessrecht anerkannt. Die Durchbrechung der Rechtskraft eines Urteils ist danach ausnahmsweise möglich, wenn das Urteil sachlich unrichtig ist, der Betroffene die Unrichtigkeit kennt und besondere Umstände die Ausnutzung des Urteils als sittenwidrig erscheinen lassen. Solche Umstände sind im Flüchtlingsrecht jedenfalls dann gegeben, wenn das Gericht über den Kern des Verfolgungsschicksals gezielt getäuscht wurde, insbesondere über die Identität und die Staatsangehörigkeit der Asylbewerber sowie die Akteure, von denen Verfolgung droht. Eine solche Täuschung über zentrale, die Anerkennung tragende Punkte hat der Senat im vorliegenden Fall auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen bejaht und die Rücknahme der Flüchtlingsanerkennungen bestätigt.

Quelle: Presseerklärung des BVerwG vom 19. November 2013