Dublin-II-Verfahren - Abschiebungsanordnung Polen

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VG Göttingen, B. v. 03.01.2014 - 2 B 763/13 - (juris).

Leitsatz

  1. An die Begründung der Ermessensentscheidung des Bundesamtes zu Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II Verordnung sind bei Fehlen individueller Besonderheiten des Einzelfalls keine hohen Anforderungenzu stellen.
  2. Russische Staatsangehörige, die gegenüber den polnischen Grenzschutzbehörden ein Asylgesuch nur zu dem Zweck äußern, sich hierdurch eine Weiterreisemöglichkeit nach Deutschland zu verschaffen und der Weisung zur unverzüglichen Meldung in der zugewiesenen Aufnahmeeinrichtung nicht Folge leisten, können sich auf systemische Mängel der Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen für Flüchtlinge in Polen generell nicht berufen.

Auszüge:
Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 28. Mai 2013 ergänzte der Antragsteller, er habe seinen
Asylantrag in Polen nur gestellt, um Papiere zu bekommen, damit er nach Deutschland weiterreisen könne. Er habe von Anfang an nur nach Deutschland kommen wollen. Hierzu führten die Antragsteller im vorliegenden Verfahren weiter aus, sie hätten sich weniger als 24 Stunden
auf dem Territorium Polens aufgehalten.

Soweit die Antragsteller einwenden, dass in Polen systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen und daher die Annahme gerechtfertigt sei, sie liefen tatsächlich Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EUGrdRCh ausgesetzt zu werden, können die Antragsteller aufgrund der von ihnen geschilderten Einreisemodalitäten mit diesem Einwand generell nicht durchdringen. Sie haben angegeben, sich weniger als 24 Stunden auf dem Territorium der Republik Polen aufgehalten zu haben, nachdem sie gegenüber der polnischen Grenzschutzbehörde in K. ihr Asylgesuch angebracht hatten. Insbesondere sind sie durch eine freie und autonome Willensentscheidung nicht der wohlverstandenen Aufforderung der polnischen Grenzschutzbehörde gefolgt, sich binnen 2 Tagen in der ihnen zugewiesenen Aufnahmeeinrichtung zu melden. Den Hinweis, andernfalls gelte ihr Asylgesuch als zurückgezogen, haben sie ebenfalls verstanden. Die Antragsteller haben sich danach ohne aktuelle und gesicherte Erkenntnisse der Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen tschetschenischer Flüchtlinge in Polen entschieden, sofort nach Deutschland weiterzureisen und dort ein weiteres Asylgesuch anzubringen. Sie haben damit bewusst das gegenüber der polnischen Grenzschutzbehörde in K. geäußerte Asylgesuch dazu missbraucht, sich eine Transitmöglichkeit über polnisches Territorium in die Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen. Dieser Missbrauch des Rechts zur Stellung eines Asylgesuchs an einer EU-Außengrenze kann den Antragstellern im vorliegenden Verfahren nicht auch noch dazu verhelfen, die Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen für tschetschenische Asylbewerber in Polen generell als mit systemischen Mängeln behaftet einzuwenden, obwohl sie diese nicht aus eigener Anschauung erfahren haben. Diese Art der Rechtsverfolgung liefe der Sache nach auf eine Popularklage hinaus, die in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht vorgesehen
ist.

Die Antragsteller verkennen bzw. haben zum Zeitpunkt ihrer sofortigen Weiterreise nach Deutschland verkannt, dass ihnen das Unionsrecht keine Wahlmöglichkeit einräumt, in einem ihnen angenehmen Mitgliedsstaat der Europäischen Union ihr Asylverfahren zu betreiben. Die
unionsrechtlichen Vorgaben der Dublin-II-Verordnung über die Zuständigkeit eines bestimmten Mitgliedsstaates für die Bearbeitung ihres Asylgesuchs sind auch für sie bindend. Der Versuch der Antragsteller, sich der Zuständigkeit der Republik Polen eigenmächtig und ohne Not, d.h. ohne unmenschliche oder erniedrigende Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen selbst erfahren zu haben, zu entziehen, kann daher von vorn herein keine Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Selbsteintritt gem. Art. 3 Abs. 2 EGV 343/2003 auslösen.