EuGH konkretisiert die Anforderungen an ein Einreiseverbot

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Der EuGH hat in der Rechtssache ZZ (C-300/11) entschieden, dass einem Betroffenen der wesentliche Inhalt der Begründung einer Entscheidung mitzuteilen ist, mit der ihm die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verboten wird Ein Mitgliedstaat kann es allerdings im Rahmen des unbedingt Erforderlichen ablehnen, dem Betroffenen Gründe mitzuteilen, deren Offenlegung die Sicherheit des Staates beeinträchtigen könnte. Dem Betroffenen muss aber der wesentliche Inhalt der Gründe mitgeteilt werden, auf denen eine Entscheidung über ein Einreiseverbot beruht, da der erforderliche Schutz der Sicherheit des Staates nicht zur Folge haben kann, dass dem Betroffenen sein Recht darauf, gehört zu werden, vorenthalten und damit sein Recht auf einen Rechtsbehelf wirkungslos wird.

Die Angehörigen eines Mitgliedstaats können in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten einreisen und sich unter bestimmten Voraussetzungen dort aufhalten. Ein Mitgliedstaat kann ihnen jedoch dieses Recht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit verweigern.

Im Vereinigten Königreich können Verwaltungsentscheidungen, mit denen die Einreise in das nationale Hoheitsgebiet verboten wird und die auf der Grundlage von Informationen erlassen wurden, deren Offenlegung die nationale Sicherheit beeinträchtigen könnte, bei der Special Immigration Appeals Commission (Sonderkommission für Rechtsbehelfe in Einwanderungssachen, im Folgenden: SIAC) angefochten werden. Im Rahmen des Verfahrens vor der SIAC haben weder die Person, die eine solche Entscheidung angefochten hat, noch ihre persönlichen Rechtsanwälte Zugang zu den Informationen, auf die die Entscheidung gestützt wurde, wenn ihre Offenlegung dem öffentlichen Interesse widerspräche. In einem derartigen Fall wird jedoch ein spezieller Anwalt, der Zugang zu diesen Informationen hat, bestellt, um die Interessen der betroffenen Person vor der SIAC zu vertreten. Der spezielle Anwalt darf indessen ab dem Zeitpunkt, zu dem ihm Material mitgeteilt wird, dessen Offenlegung der Secretary of State, die in dem Bereich zuständige britische Stelle, widerspricht, mit dem Betroffenen nicht mehr über mit dem Verfahren zusammenhängende Fragen kommunizieren. Er kann jedoch bei der SIAC Verfügungen beantragen, mit denen eine entsprechende Kommunikation gestattet wird.

ZZ besitzt die französische und die algerische Staatsangehörigkeit. Er ist seit 1990 mit einer britischen Staatsangehörigen verheiratet, mit der er acht Kinder hat. Von 1990 bis 2005 war ZZ rechtmäßig im Vereinigten Königreich wohnhaft. Nachdem er das Vereinigte Königreich verlassen hatte, hob der Secretary of State jedoch im August 2005 sein Aufenthaltsrecht mit der Begründung auf, dass seine Anwesenheit dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufe. Im September 2006 reiste ZZ in das Vereinigte Königreich, wo der Secretary of State eine Entscheidung erließ, mit der ihm die Einreise verboten wurde.

ZZ erhob bei der SIAC eine Klage gegen die Entscheidung über das Einreiseverbot. Im Rahmen des entsprechenden Verfahrens konnte er mit seinen beiden speziellen Anwälten nur über öffentliche Beweise sprechen. Die SIAC wies die Klage ab und erließ ein „vertrauliches" Urteil mit einer umfassenden Begründung und ein „öffentliches" Urteil mit einer Zusammenfassung der Begründung, wobei ZZ nur das Letztere übermittelt wurde. Aus dem „öffentlichen Urteil" geht hervor, dass die SIAC aus Gründen, die in dem „vertraulichen Urteil" erläutert werden, überzeugt ist, dass ZZ an Tätigkeiten des Netzes der Bewaffneten Islamischen Gruppe (Groupe islamique armé, GIA) und an terroristischen Tätigkeiten in den Jahren 1995 und 1996 beteiligt gewesen sei.

ZZ legte gegen das Urteil der SIAC Berufung beim Court of Appeal (England & Wales) (Berufungsgericht, Vereinigtes Königreich) ein, der dem Gerichtshof die Frage vorlegt, inwieweit die SIAC verpflichtet ist, dem Betroffenen die Gründe der öffentlichen Sicherheit mitzuteilen, die einer Entscheidung über ein Einreiseverbot zugrunde liegen.

In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass nach der Richtlinie 2004/38 eine Entscheidung über ein Einreiseverbot dem Betroffenen schriftlich in einer Weise mitgeteilt werden muss, dass er deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann. Außerdem müssen dem Betroffenen die Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, die der entsprechenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitgeteilt werden, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit des Staates dieser Mitteilung entgegenstehen.

In diesem Zusammenhang präzisiert der Gerichtshof, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, eine wirksame gerichtliche Kontrolle sowohl der Begründetheit der Entscheidung über das Einreiseverbot als auch der Stichhaltigkeit der Gründe der Sicherheit des Staates vorzusehen, die geltend gemacht werden, um dem Betroffenen die Mitteilung der Gründe zu verweigern, auf die die entsprechende Entscheidung gestützt ist. Demnach muss es zum einen dem Gericht, das mit der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entscheidung über das Einreiseverbot betraut ist, möglich sein, von allen Gründen und den entsprechenden Beweisen Kenntnis zu nehmen, die dieser Entscheidung zugrunde liegen. Zum anderen muss ein Gericht damit betraut sein, zu überprüfen, ob die Gründe im Zusammenhang mit der Sicherheit des Staates der Offenlegung dieser Gründe und Beweise entgegenstehen.

Insoweit hebt der Gerichtshof hervor, dass die zuständige nationale Behörde den Nachweis dafür zu erbringen hat, dass die Sicherheit des Staates tatsächlich beeinträchtigt würde, wenn demBetroffenen die Gründe genau und umfassend mitgeteilt würden. Folglich gibt es keine Vermutung zugunsten des Vorliegens und der Stichhaltigkeit der Gründe, die eine nationale Behörde anführt, um die Offenlegung dieser Gründe zu verweigern.

Wenn das Gericht unter diesen Umständen zu dem Schluss kommt, dass die Sicherheit des Staates es nicht verwehrt, dass die Gründe, die einer Entscheidung über ein Einreiseverbot zugrunde liegen, genau und umfassend mitgeteilt werden, räumt es der zuständigen nationalen Behörde die Möglichkeit ein, dem Betroffenen die fehlenden Gründe und Beweise mitzuteilen. Wenn indessen diese Behörde deren Mitteilung nicht erlaubt, prüft das Gericht die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Entscheidung allein anhand der mitgeteilten Gründe und Beweise.

Zeigt sich dagegen, dass die Sicherheit des Staates der Mitteilung der entsprechenden Gründe an den Betroffenen tatsächlich entgegensteht, hat die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entscheidung über das Einreiseverbot im Rahmen eines Verfahrens zu erfolgen, das die Erfordernisse, die sich aus der Sicherheit des Staates ergeben, und diejenigen aus dem Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in angemessener Weise zum Ausgleich bringt und dabei die eventuellen Eingriffe in die Ausübung dieses Rechts auf das unbedingt Erforderliche begrenzt.

Dieses Verfahren muss so weit wie irgend möglich die Wahrung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens sicherstellen, um es dem Betroffenen zu ermöglichen, die Gründe anzugreifen, auf denen die fragliche Entscheidung beruht, und zu den entsprechenden Beweisen Stellung zu nehmen und somit seine Verteidigungsmittel sachdienlich geltend zu machen. Insbesondere muss dem Betroffenen der wesentliche Inhalt der Gründe mitgeteilt werden, auf denen eine Entscheidung über ein Einreiseverbot beruht, da der erforderliche Schutz der Sicherheit des Staates nicht zur Folge haben kann, dass dem Betroffenen sein Recht darauf, gehört zu werden, vorenthalten und damit sein Recht auf einen Rechtsbehelf wirkungslos wird.

Der Gerichtshof weist auch darauf hin, dass die Abwägung zwischen dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und der Notwendigkeit, den Schutz der Sicherheit des fraglichen Staates zu gewährleisten, nicht in gleicher Weise für die Beweise gilt, die den vor dem zuständigen nationalen Gericht geltend gemachten Gründen zugrunde liegen. In bestimmten Fällen kann nämlich die Offenlegung dieser Beweise die Sicherheit des Staates insoweit unmittelbar und besonders beeinträchtigen, als sie insbesondere das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit von Personen gefährden könnte oder die von den nationalen Sicherheitsbehörden speziell angewandten Untersuchungsmethoden enthüllen und damit die zukünftige Erfüllung der Aufgaben dieser Behörden ernsthaft behindern oder sogar unmöglich machen könnte.

Schließlich führt der Gerichtshof aus, dass es Sache des Gerichts des Vereinigten Königreichs ist, zum einen dafür zu sorgen, dass dem Betroffenen der wesentliche Inhalt der Gründe, auf denen die fragliche Entscheidung beruht, in einer Weise mitgeteilt wird, die die erforderliche Geheimhaltung der Beweise gebührend berücksichtigt, und zum anderen die Konsequenzen aus einer eventuellen Missachtung dieser Mitteilungspflicht zu ziehen.

Quelle: Presseerklärung des EuGH