EuGH sieht Verfolgung homosexueller Asylbewerber als Angehörige einer sozialen Gruppe als möglich an

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Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 7. November 2013 in den Rechtssachen C-199/12, C-200/12, C-201/12 entschieden, dass homosexuelle Asylbewerber eine bestimmte soziale Gruppe bilden können, die der Verfolgung wegen ihrer sexuellen Ausrichtung ausgesetzt ist.

Nach der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG), die sich auf die Bestimmungen der Genfer Konvention bezieht, kann ein Drittstaatsangehöriger, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft stellen. Solche Verfolgungshandlungen müssen aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen.

X, Y und Z sind Staatsangehörige von Sierra Leone, Uganda bzw. Senegal. Sie haben in den Niederlanden unter Berufung auf ihre begründete Furcht vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Ausrichtung einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gestellt. Homosexuelle Handlungen stehen in allen drei Ländern unter Strafe und können mit strengen Strafen belegt werden, die von hohen Geldstrafen bis zu – in manchen Fällen sogar lebenslänglichen – Freiheitsstrafen reichen.

Der niederländische Raad van State, der in diesen Rechtsstreitigkeiten in letzter Instanz entscheidet, hat dem Gerichtshof drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die die Prüfung von Anträgen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach den Vorschriften der Richtlinie betreffen. Er möchte vom Gerichtshof wissen, ob homosexuelle Drittstaatsangehörige als eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne der Richtlinie anzusehen sind, des Weiteren, wie nationale Behörden feststellen sollen, was eine Verfolgungshandlung wegen sexueller Handlungen in diesem Zusammenhang ist, und schließlich, ob die Tatsache, dass diese Handlungen im Herkunftsland des Antragstellers unter Strafe gestellt sind und zu einer Freiheitsstrafe führen können, eine Verfolgung darstellt.

In seinem Urteil vom heutigen Tag führt der Gerichtshof zunächst aus, dass feststeht, dass die sexuelle Ausrichtung einer Person ein Merkmal darstellt, das so bedeutsam für ihre Identität ist, dass sie nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Insoweit erkennt er an, dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen eine abgegrenzte Gruppe bilden, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

 Indessen stellt eine Verletzung von Grundrechten nur dann eine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention dar, wenn sie von einer bestimmten Schwere ist. Nicht jede Verletzung der Grundrechte eines homosexuellen Asylbewerbers ist notwendigerweise in einem solchen Maße schwerwiegend. In diesem Kontext kann das bloße Bestehen von Rechtsvorschriften, nach denen homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, nicht als so schwerwiegende Beeinträchtigung angesehen werden, dass sie als Verfolgungshandlung angesehen werden könnte. Dagegen kann eine Freiheitsstrafe für homosexuelle Handlungen für sich alleine eine Verfolgungshandlung darstellen, sofern sie tatsächlich verhängt wird.

Daher haben die nationalen Behörden, wenn ein Asylbewerber geltend macht, dass in seinem Herkunftsland Rechtsvorschriften bestehen, die homosexuelle Handlungen unter Strafe stellen, eine Prüfung aller mit dem Herkunftsland verbundenen relevanten Tatsachen einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden, vorzunehmen. Im Rahmen dieser Prüfung obliegt es diesen Behörden insbesondere, zu ermitteln, ob im Herkunftsland des Antragstellers die in solchen Rechtsvorschriften vorgesehene Freiheitsstrafe in der Praxis verhängt wird.

Die Frage, ob von einem Asylbewerber erwartet werden kann, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder sich beim Ausleben dieser sexuellen Ausrichtung zurückhält, um eine Verfolgung zu vermeiden, verneint der Gerichtshof. Er ist der Ansicht, dass es der Anerkennung eines für die Identität so bedeutsamen Merkmals, dass die Betroffenen nicht gezwungen werden sollten, auf es zu verzichten, widerspricht, wenn von den Mitgliedern einer sozialen Gruppe, die die gleiche sexuelle Ausrichtung haben, verlangt wird, dass sie diese Ausrichtung geheim halten. Daher kann, so der Gerichtshof, nicht erwartet werden, dass ein Asylbewerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden.

Quell: Presseerklärung des EuGH