Das Einreiseverbot als Folge von Ausweisungen und Abschiebungen ist für Altfälle unwirksam

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Der EuGH hat in der Rechtssache C-297/12 (Gjoko Filev und Adnan Osmani) mit Urteil vom 19.09.2013 entschieden, dass die Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115) in Altfällen zur Folge hat, dass die Wiedereinreise von abgeschobenen oder ausgewiesenen Ausländern weder gegen die Einreisesperre des § 11 Abs. 1 AufenthG verstößt noch strafbar ist.

Sachverhalt in Bezug auf Herrn Filev

Nach Einstellung des Verfahrens über seinen Asylantrag wurde Herr Filev durch Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 29. Oktober 1992 aufgefordert, das deutsche Hoheitsgebiet zu verlassen. In den Jahren 1993 und 1995 wurde er in die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien abgeschoben; die Wirkung der Abschiebungen war unbefristet.

Am 28. April 2012 reiste Herr Filev erneut nach Deutschland ein und wurde dort einer Polizeikontrolle unterzogen. Diese Kontrolle ergab, dass er 1992 ausgewiesen worden war. Daraufhin wurde ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet, und er wurde in Untersuchungshaft genommen.

Am 3. Mai 2012 beantragte die Anklagebehörde in der Hauptverhandlung vor dem vorlegenden Gericht, Herrn Filev wegen Verstoßes gegen § 95 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b des Aufenthaltsgesetzes aufgrund unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro zu verurteilen.

Sachverhalt in Bezug auf Herrn Osmani

Am 19. November 1999 erging gegen Herrn Osmani ein Ausweisungsbescheid der Stadt Stuttgart (Deutschland) gemäß den Vorschriften des damals gültigen Ausländergesetzes, das eine Ausweisung bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz vorsah. Die Wirkung der Ausweisung war unbefristet.

Am 10. Juni 2003 wurde Herr Osmani wiederum wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Nachdem er einen Teil dieser Strafe verbüßt hatte, wurde er am 30. Juni 2004 entlassen und unbefristet abgeschoben. Gemäß § 456a der Strafprozessordnung ordnete die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe von 474 Tagen für den Fall an, dass Herr Osmani erneut nach Deutschland einreisen würde.

Am 29. April 2012 reiste Herr Osmani erneut nach Deutschland ein und wurde einer Polizeikontrolle unterzogen, bei der festgestellt wurde, dass gegen ihn ein Ausweisungsbescheid ergangen war. Daraufhin wurde ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet. In der Hauptverhandlung vor dem vorlegenden Gericht am 3. Mai 2012 beantragte die Anklagebehörde, Herrn Osmani wegen Verstößen gegen § 95 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b des Aufenthaltsgesetzes zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung zu verurteilen.

Zum Zeitpunkt der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens verbüßte Herr Osmani den Rest der Freiheitsstrafe, zu der er 2003 verurteilt worden war.

Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass die Rückführungsrichtlinie dem Antragserfordernis für eine Befristung der Wirkung der Abschiebung oder Ausweisung entgegensteht. Die Wirkungen der Richtlinie sind von Amts wegen zu beachten.

Die Richtlinie verbietet zudem, einen Verstoß gegen ein Verbot, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einzureisen und sich dort aufzuhalten, das mehr als fünf Jahre vor dem Zeitpunkt verhängt wurde, zu dem der betreffende Drittstaatsangehörige erneut in dieses Hoheitsgebiet eingereist oder die innerstaatliche Regelung zur Umsetzung dieser Richtlinie in Kraft getreten ist, strafrechtlich zu ahnden, es sei denn, dieser Drittstaatsangehörige stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar.

Soweit der Art. 2 der Richtlinie den Mitgliedstaat die Möglichkeit eröffnet, den Anwendungsbereich der Rückwirkungsrichtlinie einzuschränken, greift diese Möglichkeit nicht mehr, wenn Altfälle betroffen sind, die zeitweise in den Anwendungsbereich der Richtlinie fielen, weil die Richtlinie erst nach Ablauf der Transformationsfrist in nationales Recht umgesetzt wurde. Lag eine Ausweisung oder Abschiebung mehr als fünf Jahre vor der nationalen Umsetzung der Transformationsrichtlinie, die erst durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 erfolgte , das am 26.11.2011 in Kraft getreten ist, so ist die Sperrwirkung infolge der unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie (seit dem 24.12.2010) entfallen und kann nicht nachträglich mit dem Transformationsgesetz wieder eingeführt werden.

Die EuGH-Entscheidung hat folgende Konsequenzen:

  • Sowohl Ausweisungen als auch Abschiebungen sind Rückkehrentscheidungen im Sinne der Rückführungsrichtlinie.
  • Das Antragserfordernis in §11 AufenthG ist zu streichen, da die 5-Jahres-Frist von Amtswegen zu beachten ist.
  • Unbefristete Altausweisungen/Abschiebungen sind bei zeitlicher Ablauf von 5 Jahren vor Inkrafttreten der Richtlinie (vor dem 24.12.2005) wirkungslos und müssen aus dem AZR gelöscht werden, es sei denn, dieser Drittstaatsangehörige stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar.
  • Da das Transformationsgesetz in Deutschland erst am 26.11.2011 in Kraft trat, entfalten alle Altausweisungen und Abschiebungen, die bis zum 26.11.2006 erfolgt sind, keine Sperrwirkung mehr, es sei denn, dieser Drittstaatsangehörige stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar. Eine Strafbarkeit wegen des Verstoßes gegen die Einreisesperre ist daher nicht mehr möglich.

Zur Entscheidung, die bezeichnender Weise ohne Schlussantrag erging, bestätigt die Auffassungen zur Unwirksamkeit von Altausweisungen, die im Beitrag zur Umsetzung der RFRL in MNet veröfffentlicht sind (dort insb. Nr. 2.3.2):

icon Zur nationalen Umsetzung der Rückführungsrichtlinie