Das Ruhen der deutschen Staatsangehörigkeit als Kompromiss im Streit über die doppelte Staatsangehörigkeit

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In der aktuellen Diskussion wird im Rahmen der Koalitionsverhandlungen diskutiert, ob ein Kompromiss in Form einer ruhenden Staatsangehörigkeit in Betracht kommt. Sofern jemand zwei Staatsbürgerschaften besitzt, soll nur die gelten, in dessen Land er auch seinen Hauptwohnsitz hat, die andere Staatsbürgerschaft soll ruhen.

Welche Folgen dies hat, wird an einem Beispiel klar: Wenn ein Brasilianer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt und mit seiner Frau in Brasilien lebt, würde die deutsche Staatsangehörigkeit ruhen. Welchen Status haben er und seine Familie bei einer Einreise nach Frankreich? Benötigt er ein Visum? Die klare Antwort lautet: „Nein"!

Der Versuch einer Beantwortung dieser Frage setzt das Verständnis des Verhältnisses zwischen der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats und der Unionsbürgerschaft voraus. Die Unionsbürgerschaft setzt die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats voraus, stellt jedoch auch ein im Verhältnis zu dem der Staatsangehörigkeit autonomes rechtliches und politisches Konzept dar. Die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats eröffnet nicht nur den Zugang zu den vom Unionsrecht verliehenen Rechten, sie macht uns zu Bürgern der Union. Die Europabürgerschaft stellt mehr dar als ein Bündel von Rechten, die als solche auch denjenigen verliehen werden könnten, die die Unionsbürgerschaft nicht besitzen. Sie setzt das Bestehen eines Bandes politischer Natur zwischen den Bürgern Europas voraus, obwohl es sich nicht um ein Band der Zugehörigkeit zu einem Volk handelt. Dieses politische Band eint vielmehr die Völker Europas.

Der Zugang zur Europabürgerschaft wird durch die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats vermittelt, die durch das nationale Recht geregelt wird, aber, wie jede Form der Bürgerschaft, bildet sie die Grundlage für einen neuen politischen Raum, aus dem Rechte und Pflichten erwachsen, die durch das Unionsrecht festgelegt werden und nicht vom Staat abhängen.

Die Verpflichtung der Union aus Art. 6 Abs. 3 EUV, die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten zu achten, zeigt deutlich, dass grundsätzlich der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit ebenso möglichbleibt, wie deren Ruhen anzuordnen. Jedoch setzt das Unionsrecht auch Schranken, da der Verlust der Unionsbürgerschaft die Zuständigkeit der Union für die Ausgestaltung der Rechte und Pflichten ihrer Bürger berührt. Die einzelstaatlichen Vorschriften auf dem Gebiet des Staatsangehörigkeitsrechts dürfen daher nicht ohne Rechtfertigung die Ausübung der aus dem Unionsbürgerstatus fließenden Rechte und Freiheiten beschränken. So wäre eine staatliche Regelung, die den Verlust der Staatsangehörigkeit für den Fall der Verlagerung des Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat vorsähe, zweifellos ein Verstoß gegen das jedem Unionsbürger nach Art. 21 AEUV zustehende Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Ein Ruhen der Unionsbürgerschaft in einem Mitgliedstaat der EU erscheint aus diesem Grund mit dem Konzept der Unionsbürgerschaft nicht vereinbar. Sie führt insbesondere auch zu einer Benachteiligung der drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers.

Der EuGH hat in der Rechtssache Rottmann daher auch ausgeführt: „Angesichts der Bedeutung, die das Primärrecht dem Unionsbürgerstatus beimisst, sind daher bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen."

Dr. Dienelt