BGH, 2 StR 457/04, Entscheidung, Visum, Schleuser, Touristenvisum, (3 StR 308/9)

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Richtiges Visum trotz falscher Absicht?

Die Einreisekontrolle liegt in der Hand des Bundes in Gestalt der Auslandsvertretungen und der Grenzbehörden. Die Eintrittskarte ist das Visum, das Konsulate und Botschaften ausstellen. Eine Einreise und ein Aufenthalt, die nicht durch ein Visum gedeckt sind, können strafbar sein. Wer dazu anstiftet oder Beihilfe leistet, macht sich als Schleuser strafbar. Diese Grundsätze erscheinen einfach und nachvollziehbar ? sie sind es aber nicht. (Daran haben auch die zahllosen Berichte über den Visa-Untersuchungsausschuss in den letzten Monaten nichts zu ändern vermocht!)

Der Bundesgerichtshof hat Pressemeldungen zufolge jetzt entschieden (BGH, 2 StR 457/04), dass als Schleuser nicht bestraft werden kann, wer Ausländerinnen (aus Russland, Litauen und der Ukraine) bei der Einreise und beim Aufenthalt behilflich ist, die mit einem Touristenvisum nach Deutschland eingereist sind und hier als Prostituierte arbeiten wollten (Az. 2 StR 457/04). Für die Strafbarkeit komme es nicht auf die Richtigkeit des Visums an, eine wirksam erteilte Aufenthaltsgenehmigung sei auch dann als wirksam zugrunde zu legen, wenn sie rechtsmissbräuchlich erlangt sei.

Damit hatte der Bundesgerichtshof über eine der schwierigsten Rechtsfragen des Einreise- und Aufenthaltsrechts zu entscheiden. Einfach wäre sie auch in ihren strafrechtlichen Auswirkungen nur dann zu beantworten, wenn ohne Schwierigkeiten zu definieren wäre, wann Einreise und Aufenthalt unerlaubt sind. In dem entschiedenen Fall kommt hinzu, dass Tatzeit und Verurteilungszeitpunkt vor dem EU-Beitritt Litauens und vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes lagen, also nicht das jetzt geltende Recht anzuwenden war. Um die Strafbarkeit von Schleusern beurteilen zu können, bedarf es der Klärung des strafbaren Verhaltens der eingereisten Personen. Dies galt vor Inkrafttreten des neuen Rechts ebenso wie jetzt (vgl. dazu §§ 92 I Nr. 1 u. 6, II Nr. 2, 92a Ausländergesetz- AuslG; §§ 95 I Nr. 1 u. 3, II, 96 Aufenthaltsgesetz - AufenthG).

1. Eines Visums bedürfen Staatsangehörige von Drittstaaten, die in der Anlage I zur EU-Visa-Verordnung aufgeführt sind. Dazu gehörten bis Ende April 2004 die Herkunftsländer der geschleusten Personen, nämlich Litauen, Russland und die Ukraine. Seit 1. Mai 2004 genießen litauische Staatsangehörige wie alle anderen Unionsbürger Freizügigkeit in allen EU-Staaten, sie dürfen nur kein Arbeitsverhältnis begründen oder in bestimmten Branchen Dienstleistungen mit entsandten Arbeitnehmern erbringen.

2. Wer als Drittstaatsangehöriger ein Visum benötigt, erhält dies in der Form des Schengen-Visums, das zur Einreise für einen Aufenthalt von insgesamt bis zu drei Monaten und zum Aufenthalt im Schengen-Gebiet berechtigt. Über die Berechtigung zur Ausübung einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit entscheiden die EU-Mitgliedstaaten gesondert nach nationalem Recht. In Deutschland ist Drittstaatsengehörigen mit Visum eine Erwerbstätigkeit grundsätzlich nicht erlaubt. Litauische Staatsbürger genossen aber auch schon vor dem EU-Beitritt eine gewisse Privilegierung bei der Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit.

3. Unerlaubt reist ein, wer ?eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht besitzt? (§ 58 I Nr. 1 AuslG). Nach neuem Recht reist unerlaubt ein, wer ?den nach § 14 erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt? (§ 15 I Nr. 1 AufenthG). Da der Gesetzgeber nunmehr den bestimmten Artikel ?den? statt des unbestimmten Artikels ?eine? gewählt hat, kann angenommen werden, dass es jedenfalls jetzt auf den Besitz des ?richtigen Titels? ankommt und es nicht genügt, wenn der Visumpflichtige an der Grenze irgendein zeitlich und auch sonst objektiv beschränktes Visum vorweist, sein Aufenthalt aber von vornherein auf einen nicht genehmigten Zweck gerichtet ist.

Diese (umstrittene) Sichtweise wird dadurch gestützt, dass die Unterscheidung zwischen Schengen-Visum und nationalem Visum nach dem bei der Einreise verfolgten Aufenthaltszweck getroffen wird. Visumfreiheit und Visumpflicht betreffen nach der EU-Visa-VO Einreisen ?für die Einreise zum Zwecke des Aufenthalts ?? bis zu insgesamt drei Monaten. Dem entsprechend wird für einen längeren Aufenthalt oder einen Aufenthalt zu Erwerbszwecken ein nationales Visum benötigt, und dieses bedarf der Zustimmung der Ausländerbehörde. Die Zustimmungspflicht ist daran geknüpft, dass der Ausländer sich länger als drei Monate im Bundesgebiet ?aufhalten will? oder hier ?eine Erwerbstätigkeit ausüben will? (früher § 11 I Nr. 1 u. 2 DVAuslG und jetzt ebenso § 31 I Nr. 1 u. 2 AufenthV).

4. Der 3. Strafsenat des BGH hat es in einem Urteil vom 11. Februar 2000 (3 StR 308/99, EZAR 355 Nr. 24 = NJW 2000, 1732) offen gelassen, ob die Einreise mit einem Touristenvisum auch dann nicht unerlaubt ist, wenn der Ausländer die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beabsichtigt und das Visum ohne Zustimmung der Ausländerbehörde erteilt ist. Unabhängig von der Strafbarkeit der Einreise und des Aufenthalts hat er es aber als strafbar angesehen, wenn der Ausländer gegenüber der Auslandsvertretung eine Touristenreise oder Besuchsabsicht vortäuscht, in Wirklichkeit aber eine Erwerbstätigkeit beabsichtigt (früher § 92 II Nr. 2 Alt. 1 AuslG und jetzt § 95 II Nr. 2 AufenthG).

5. Die neue Entscheidung des 2. Strafsenats des BGH (2 StR 457/04) liegt noch nicht im Wortlaut vor (vgl. nur Presserklärung Nr. 8/2005 zur Verhandlung am 2. Februar 2005). Sie läuft aber den bisherigen Informationen zufolge darauf hinaus, dass Einreise und Aufenthalt mit dem ?falschen? Visum im Strafrecht nicht als illegal behandelt werden können. Im Strafrecht sei ein objektiver Maßstab erforderlich, der nicht von der zufälligen Nachweisbarkeit der Umstände im Einzelfall abhängen dürfe. Im Ergebnis wäre damit das Risiko für Schleuser entscheidend gemindert.

6. Einzelheiten, auch zur Frage der Strafbarkeit falscher Angaben, können zwar erst nach Kenntnis der Urteilsgründe beurteilt werden. Es sei jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass die hier vertretene Rechtsauffassung nicht unumstritten ist und der Gesetzgeber selbst es versäumt hat, für die notwendige Klarheit zu sorgen, obwohl die Auslegungszweifel schon über ein Jahrzehnt bekannt sind.

Die oben dargestellte Änderung der Gesetzesformulierung hat eine Vorgeschichte. Zu den Auslegungszweifeln bei dem alten Wortlaut hat beigetragen, dass das Bundesinnenministerium mit Zustimmung des Bundesrats im Jahre 2000 in Nr. 58.1.1.3.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz bestimmt hat: ?Eine unerlaubte Einreise liegt nicht vor, wenn der Ausländer mit einem Visum einreist, das aufgrund seiner Angaben ohne erforderliche Zustimmung der Ausländerbehörde (§ 11 DVAuslG) erteilt wurde, obwohl er bereits bei der Einreise einen Aufenthaltszweck beabsichtigt, für den er ein Visum benötigt, das nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde erteilt werden darf.?

Dieser Rechtsauffassung scheint auch der Gesetzgeber auch im Jahre 2004 zugeneigt zu haben, als er das Zuwanderungsgesetz verabschiedete. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist nämlich zu lesen (BT-Drs. 15/420 S. 73):

  • ?? soll angesichts der unterschiedlichen Auffassung in Rechtsprechung und Lehre klargestellt werden, dass sich die Erforderlichkeit des Aufenthaltstitels nach objektiven Kriterien und nicht nach dem beabsichtigten Aufenthaltszweck bemisst.?

7. Kein neuer Skandal, aber Anlass für den Gesetzgeber darüber nachzudenken, ob gewerbsmäßiger Frauenhandel im christlichen Abendland strafbar sein sollte?

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