X. § 15 Abs. 5: Zurückweisungshaft

 

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Zulässig ist auch Zurückweisungshaft zur Durchsetzung der Zurückweisung, falls diese nicht sofort möglich ist. Die Voraussetzungen ergeben sich seit der Einführung der neuen Bestimmung des Abs. 5 (Zurückweisungshaft) aus dieser selbst und nicht mehr wie bis zum 27.08.2007 aus einer entsprechenden Anwendung von (den heutigen) § 62 Abs. 2 oder 3, soweit die Zurückweisung längerer Vorbereitung oder der Sicherung bedurfte. Soweit sich Gründe für ein Zuwarten mit der Zurückweisung aus der Notwendigkeit von Ermittlungen über z.B. die Illegalität der versuchten Einreise, den möglichen Ausweisungsgrund oder die Falschangaben zum Aufenthaltszweck sowie über die Identität des Ausländers ergeben und daher ein Vollzug der Zurückweisung noch vorbereitet werden muss, ist anders als bis zum 27.08.2007 keine Vorbereitungshaft mehr möglich (§ 15 Abs. 5 verweist anders als die Vorgängervorschrift nicht auf § 62 Abs. 1-alt). Zum anderen können notwendige Verhandlungen mit dem in Betracht kommenden Aufnahmestaat und die Vorbereitung des Rücktransports längere Zeit beanspruchen, bis die bereits ausgesprochene Zurückweisung vollzogen werden kann.

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Die Einführung der Abs. 5 und 6 diente dazu, die Folgen einer Zurückweisung rechtlich zu regeln (zur Zurückweisungshaft ausführlich Melchior, Abschiebungshaft, 08/2007, Nr. 610, Winkelmann, ZAR 2007, 268

= iconWinkelmann, Neue Regelungen zum Haftrecht, Migrationsrecht.net.

Abs. 5 ist die allgemeine Regelung, während Abs. 6 eine Spezialregelung nur für Flughäfen mit Transitbereich enthält. Bisher wurde die Zurückweisungshaft als Annexregelung zu § 62 (Abschiebungshaft) in analoger Anwendung verstanden. Problematisch erschien bisher in diesem Zusammenhang die mangelnde Bestimmtheit der Norm, da § 62 auf die Abschiebungshaft zugeschnitten war und ist. Wesentliche Normen, die in das Rechtsgut Freiheit der Person eingreifen, sollten eigenständig und klar verständlich geregelt werden, mithin inhaltlich deutlich hinreichender bestimmt sein. Dieser Forderung ist der Gesetzgeber mit Abs. 5 grundsätzlich nachgekommen. Auch bisher war die Beantragung von Haft zur Vorbereitung der Zurückweisung nach § 62 Abs. 1-alt als nachrangig zu betrachten gewesen, da wie § 15 Abs. 5 ebenfalls vorsieht, grundsätzlich von einer bereits ergangenen Zurückweisungsentscheidung ausgegangen werden musste. Allerdings war die Zurückweisungshaft in der alten Fassung zur Vorbereitung einer Zurückweisungsentscheidung über § 62 Abs. 1-alt möglich. Das ist nun nicht mehr so (s.o. Rn. 1). Sofern eine Zurückweisung - unter entsprechender Berücksichtigung möglicher Zurückweisungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 1 bis 3, 5 und 7 bis 9 rechtmäßig ergangen ist, der begründete Verdacht besteht, dass die Person sich dem Vollzug der Zurückweisung entziehen will und die Haft zur Sicherung der Zurückweisung verhältnismäßig wäre, beantragt die Grenzbehörde nunmehr die Sicherungshaft gem. § 417 FamFG, in Eilfällen nach § 427 FamFG (s. dort) und in der Kurzkommentierung von

Winkelmann, iconDas neue FamFG und dessen rechtliche Auswirkungen.

Soweit Marx in InfAuslR 11/12 2013, 413, 414 mit Bezug auf die Auswirkungen der Dublin III-VO (VO (EU) Nr. 604/2013 v. 26.06.2013, ABl.EU Nr. L 180 S. 31) davon ausgeht, bei der Beantragung der Zurückweisungshaft sei bislang unklar gewesen, ob auch Haftgründe nach § 62 Abs. 3 bezeichnet werden mussten und erst jetzt mit Art. 28 Dublin III-VO gefordert werden, wird dem nicht gefolgt. Siehe schon zum bisherigen Begründungserfordernis sogleich in Rn. 41ff.
Richtig ist hingegen, dass eine Nichtberücksichtigung der Haftgründe nach § 62 Abs. 3 jedenfalls mit Anwendung der Dublin III-VO seit 01.01.2014 mit Unionsrecht unvereinbar ist. Nicht der Nichtverweis in § 15 Abs. 5 auf die Dublin III-VO führt zur Europarechtswidrigkeit, sondern die mangelnde Anwendung im Lichte der europarechtlichen Vorgaben (so auch LG Dresden, B. v. 28.01.2014 – 2 T 44/14 –, das folgerichtig davon ausgeht, die Haft sei nunmehr in Art. 28 Dublin III-VO geregelt und verdränge qua Verordnungsrecht entgegenstehendes nationales Recht. So jedenfalls bei verbindlichen europäischen Regeln, wie sie mit Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO geschaffen worden sind. Nach Art. 28 Abs. 1 Dublin III-VO dürfen Personen nicht allein deswegen in Haft genommen werden, weil sie dem durch die VO festgelegten Verfahren unterliegen. Ausschließlich zum Zwecke des Überstellungsverfahren im Einklang mit der VO dürfen Personen ausnahmsweise und bei erheblicher Fluchtgefahr im Rahmen einer Einzelfallprüfung in Haft genommen werden. Dies auch nur dann, wenn die Inhaftnahme verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen (Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO). Die Definition der Haftgründe, die Art. 2 Buchst. n Dublin III-VO verlangt, ist dem nationalen Recht zu entnehmen, nachdem eine gesetzliche Regelung auf europäischer Ebene nicht erfolgt oder beabsichtigt ist und die VO insofern auf nationales Recht verweist. Nachdem Art. 2 Buchst. n Dublin III-VO eine gesetzliche Regelung der Haftgründe verlangt, kann insofern auf § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 und die hierzu ergangene Rechtsprechung direkt zugegriffen werden. Art. 28 Abs. 4 Dublin III-VO verweist auf die haftrechtlichen Vorschriften der Art. 9-11 RL 2013/33/EU. In der Umsetzungsphase der RL in Bezug auf diese Vorschriften bis 20.07.2015 gilt dieser Verweis als Verweis auf die RL 2003/3/EG bzw. RL 2005/85/EG (vgl. Art. 49 Abs. 1, 3. UA Dublin III-VO). Letztere RL weist in Art. 18 keine besonderen Vorschriften auf. Schon wegen dieser dynamischen Verweisung auf inhaltlich nicht miteinander vergleichbarer Haftvorschriften ist eine Inhaftierung in dieser Übergangszeit nicht schon deshalb unzulässig, weil es an einer gesetzlichen Normierung im nationalen Recht fehlt. Um dem gesetzgeberischen Willen des Verordnungsgebers gleichwohl Geltung zu verschaffen, müssen die nationalen haftrechtlichen Beschlüsse bis zum 20.07.2015 im Lichte der RL 2013/33/EU bewertet werden.
Von der Bezeichnung der Haftart als "Überstellungshaft" (so Stahmann in ANA-ZAR 1/2014)  zu folgern, diese sei derzeit im nationalen Recht gar nicht geregelt und insbesondere keine solche Haft nach § 14 Abs. 3 AsylVfG, mit der weiteren Folge, dass die Überstellungshaft zurzeit nicht zulässig sei, ist fehlgehend. Die Bezeichung in Art. 28 Abs. 1 Dublin III-VO spricht von Haft zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren. Das ist auch die derzeitige Zurückweisungs- oder Zurückschiebungshaft (s. dazu unter § 57), soweit sie den zuvor genannten Voraussetzungen entspricht und europarechtskonform angewendet wird. Insoweit liegt hier auch kein Verstoß gegen das Zitiergebot vor. Einer konkretisierenden Klarstellung im nationalen Recht bedarf es natürlich dennoch.

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Durch die Einführung des § 15 Abs. 5 hat der Gesetzgeber die Zurückweisungshaft als neue Haft begründende Norm spezialgesetzlich geregelt, aber versäumt auf § 62 Abs. 3 Satz 3-5 zu verweisen (s.u. Rn 42). Zurückweisungshaft soll nach Abs. 5 dann anzuordnen sein, wenn eine Zurückweisungsentscheidung ergangen ist und diese nicht unmittelbar vollzogen werden kann, etwa weil ein Ausländer aufgrund fehlender Heimreisepapiere, nicht zurückgeschoben werden kann. Abweichend von der Sicherungshaft sollen - ohne dass spezifische Haftgründe vorliegen - allein deshalb freiheitsentziehende Maßnahmen durchgeführt werden, weil eine zuvor ergangene Zurückweisungsentscheidung nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
 

Die Zurückweisungshaft ist an folgende Voraussetzungen (s. bei Winkelmann, ZAR 2007, 268 = E-Book, a.a.O. sowie

iconKommentierung zu OLG Köln, B. v. 01.07.2008 – 16 Wx 76/08

gebunden:

  • Rechtmäßig ergangene Zurückweisungsentscheidung,
  • Unmöglichkeit der der sofortigen Vollziehung der Zurückweisung,
  • begründeter Verdacht, dass die Person unerlaubt einreisen will und
  • kein Hinderungsgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 4.
  • Verhältnismäßigkeit

Nicht mehr persönlich vorwerfbares Verhalten, sondern allein das öffentliche Interesse an einem reibungslosen und jederzeit möglichen Vollzug administrativer Maßnahmen soll danach eine freiheitsentziehende Maßnahme stützen.

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Nach der Gesetzesänderung 2007 ist nur noch der Verweis auf die Anwendung des § 62 Abs. 4 (alt) erhalten geblieben (§ 15 enthält keinen Verweis auf § 62 Abs. 5. Warum dieses so geregelt wurde, ist diesseits nicht nachvollziehbar, führt aber zu einer wohl unbeabsichtigten Gesetzeslücke; s. Rn. 39, 44). Die damit eröffnete Anordnungsmöglichkeit von sechs Monaten Haft allein zur Erleichterung des Verwaltungsvollzugs, ohne dass diese aufgrund des Verhaltens des Betroffenen erforderlich sein muss, ist mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar. Zwar ist die Anordnung der Haft hier als Regelfall vorgesehen, dennoch hat das Gericht auch nach der gesetzlichen Neuregelung in jedem Einzelfall bei dem Eingriff in die persönliche Freiheit des Betroffenen immer den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, und zwar unter Abwägung mit dem Zweck der gesetzlichen Vorschrift, im Allgemeininteresse eine Einreise zu verhindern und die Durchführung der Zurückweisung zu sichern. Es ist in jedem Einzelfall die Erforderlichkeit der Haft zu prüfen. Hierbei ist abzuwägen zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen. Dabei kann das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit nur bei zu erwartenden erheblichen Rechtsverletzungen im Falle einer Einreise Vorrang haben, da die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ein besonders hohes Rechtsgut ist, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Ist die Zurückweisungshaft ultima ratio, so wird man fordern müssen, dass eine konkrete Gefahr besteht, dass der Ausländer entgegen der Zurückweisung den Versuch unternehmen wird, (unerlaubt) einzureisen. Insoweit ist der Rechtsgedanke des § 62 Abs. 3 Satz 3, wonach von der Anordnung der Sicherungshaft ausnahmsweise abgesehen werden kann, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will, entsprechend anzuwenden.

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Bei tatsächlichen Hinderungsgründen (z.B. Passlosigkeit, ungeklärte Identität) ist der Rechtsgedanke des § 62 Abs. 3 Satz 4 weiterhin zu beachten, wonach die Sicherungshaft unzulässig wäre, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Zurückweisung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. In diesen Fällen wäre auch bereits die Beantragung unzulässig. Umfangreiche Passbeschaffungsmaßnahmen dürfen allerdings nicht in Ermangelung der Anwendung des § 62 Abs. 3 Satz 4 zu der Vorstellung führen, die Sicherungshaft könne jederzeit beantragt werden, auch wenn die Beschaffung von Heimreisedokumenten unabsehbar lange dauern könnte. Die Zurückweisungshaft kann nach §§ 15 Abs. 5 Satz 2, 62 Abs. 4 Satz 1 bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann nach §§ 15 Abs. 5 Satz 2, 62 Abs. 3 Satz 2 in Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert, um höchstens zwölf Monate verlängert werden.

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Sofern die Vorbereitung der Zurückweisungsentscheidung längere Zeit in Anspruch nimmt und der Ausländer währenddessen festgehalten werden soll, bleibt die Frage der Haft ungeregelt. Die Beantragung kann indes nicht auf Abs. 5 gestützt werden. Ebenso noch Melchior, Abschiebungshaft, 08/2007, Nr. 610:

„Die Haft zur Sicherung der Zurückweisung bedarf stets einer richterlichen Anordnung und kann nicht von der Grenzbehörde auf eigene Faust angeordnet und/oder vollzogen werden. Die Vorgabe, dass der Betroffene in Haft genommen werden "soll", ist allein an den Richter gerichtet“.

Gegen einen zu extensiven Gebrauch der Zurückweisungshaft sprechen verfahrensrechtliche Hürden bei der Vorführung vor den Richter. § 15 Abs. 5 verweist nicht auf § 62 Abs. 4, so dass der Grenzbehörde diese Festnahmebefugnis nicht zur Verfügung steht, um den Ausländer dem Haftrichter vorführen zu können. Die Grenzbehörde kann auf der Grundlage einer polizeilichen Gewahrsamnahme nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG eine Vorführung erreichen. Diese ist aber nur zulässig, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern. Außerdem muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Ausländer die Einreiseverweigerung nicht freiwillig befolgt. Da der Versuch einer unerlaubten Einreise nach § 95 Abs. 1 Nrn. 3, 2, 1 lit. a, Abs. 3 strafbar ist, ist eine polizeiliche Gewahrsamnahme grundsätzlich möglich. Voraussetzung ist aber die Verhinderung weiterer Straftaten und nicht nur der Zweck, den Ausländer dem Haftrichter vorführen zu wollen. Demgegenüber ist in Fällen des § 15 Abs. 2 und 3 keine polizeiliche Gewahrsamnahme möglich, da mangels unerlaubter Einreise keine Straftat des Ausländers konkret bevorsteht (so auch Westphal/Stoppa, a.a.O., S. 581).

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Liegen die Voraussetzungen für eine polizeiliche Gewahrsamnahme nach § 39 BPolG nicht vor, so kann nur ein Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 427 FamFG gestellt werden. Eine Freiheitsentziehung für den Zeitraum bis zur richterlichen Anordnung von Haft ist in diesen Fällen nicht ohne weiteres möglich. Ggf. wäre hilfsweise ein Betretensverbot für an den Kontrollbereich (in den Flughäfen etwa auch der Transitbereich, Teile eines Terminals) angrenzende Bereiche über einen Platzverweis nach § 38 BPolG möglich. Eine Missachtung der Maßnahme könnte durch Beobachtung und notfalls mittels unmittelbaren Zwanges verhindert werden. In besonderen Fällen wäre auch ein Durchsetzungsgewahrsam nach § 39 Abs.1 Nr. 2 BPolG denkbar, wenn die Maßnahme unerlässlich zur Durchsetzung dieses Platzverweises wäre. Bis zum Erlass oder ggf. bis zur Ablehnung des Antrages nach § 427 FamFG könnte die Maßnahme aus gefahrenabwehrenden Gründen (im Rahmen der gesetzlich max. zulässigen Frist) als zulässig erachtet werden. Einer unverzüglichen Herbeiführung der richterlichen Entscheidung, bedarf es in diesem Fall insofern ausnahmsweise nicht, da mit einer Entscheidung im Eilverfahren nach dem FamFG alsbald zu rechnen ist.

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Sofern der erstmalige Antrag oder die Verlängerung der Haft abgelehnt wird, ist eine Einreise zu ermöglichen, da die Zurückweisung nunmehr außer Vollzug gesetzt wird (nach § 15 Abs. 5 Satz 3 findet Abs. 1 keine Anwendung mehr). In diesen Fällen blieb die Zurückweisungsentscheidung der Behörde bislang weiterhin bestehen (aA Huber/Göbel-Zimmermann, a.a.O., Rn. 65; HK-AuslR/Fränkel in: Hofmann/Hoffmann (Hrsg.), Ausländerrecht, § 15, Rn. 20). Der Richter hat dabei über die Anordnung der Haft zu entscheiden, nicht über die Einreise ins Bundesgebiet (so auch Hailbronner, a.a.O., § 15, Rn. 81). Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung ist ihm verwehrt; die Haftgerichte sind grundsätzlich an die behördliche Zurückweisungsentscheidung gebunden; die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung muss daher vor dem VG geltend gemacht werden. In die Kompetenz des Haftrichters fällt die Prüfung der Anwendbarkeit des § 15 Abs. 5, d.h. insbesondere die Frage, ob ein Fall des § 1 Abs. 2 vorliegt (etwa Unionsbürger). Durch eine entsprechende Verfahrengestaltung hat der Haftrichter – sofern die Gefahr besteht, dass durch die Behörde vollendete rechtswidrige Tatsachen geschaffen werden – dafür Sorge zu tragen, dass effektiver Rechtsschutz gegen die Zurückweisung sichergestellt ist. Schließlich ist auch in dem Haftverfahren dem Schutz besonders schutzbedürftiger Personengruppen (Kinder, Jugendliche, Schwangere, alte Menschen, Kranke usw.) Rechnung zu tragen. Unter Berücksichtigung der RL 2008/115/EG ist der Ausländer frei und eine Einreise zu ermöglichen.

icon Zur nationalen Umsetzung der Rückführungsrichtlinie, S. 8

Die Zurückweisung wird außer Vollzug gesetzt (nach § 15 Abs. 5 S. 3 findet Absatz 1 keine Anwendung mehr, s.o.). Die ausländerrechtliche Einreise ist nach § 13 AufenthG daher vollendet (§ 13 Abs. 2 S. 2 kann nicht mehr begründet werden; zum bisherigen Recht vgl. in „Neue Regelungen zum Haftrecht“, Winkelmann, MNet, Nr. 2.3).

icon Neue Regelungen zum Haftrecht

Zusätzlich zum Eintritt der gesetzlichen Ausreisepflicht ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen. Das Verfahren richtet sich nach der RüFü-RL.

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Einreise und Aufenthalt sind entgegen der Nr. 15.5.4 AVwV solange nicht unerlaubt, wie der Betroffene der behördlichen Zurückweisungsentscheidung zu dem vorgesehenen Abflugtermin auch nachkommt. Die aufschiebende Wirkung der Zurückweisung besteht solange sie nicht vollzogen werden kann und sollte durch eine Verfügung der Grenzbehörde, die dem Betroffenen auszuhändigen ist, deutlich gemacht werden. In unabsehbar langen Fällen (eine Zurückweisung ist aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen zunächst gar nicht oder jedenfalls nicht innerhalb von 3 Monaten (Rechtsgedanke aus § 62 Abs. 4 Satz 4) möglich), ist Verbindung mit der zuständigen Ausländerbehörde aufzunehmen, um den faktischen Aufenthalt über eine Duldung (§ 60a Abs. 2 Satz 1, 4) rechtlich zu ermöglichen. Auch wenn die Einreise des Ausländers von der Grenzpolizei nicht verhindert werden kann, so macht dies die Einreise nicht rechtmäßig. Die Einreise ist vielmehr unerlaubt und eröffnet ggf. die Möglichkeit der Zurückschiebung nach § 57 Abs. 1 AufenthG.

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Die Bundespolizei hat in diesen Fällen keine Möglichkeit, ein Ausnahmevisum zu erteilen. Eine Erteilung eines Ausnahmevisa an der Grenze für einen Kurzaufenthalt richtet sich nach § 14 Abs. 2 i.V.m. Art. 5 Abs. 4 lit. b, c SGK und Art. 35, 36 VK. Eine Visumerteilung scheitert hier bereits an der Grundvoraussetzung nach Art. 5 Abs. 4 lit. b SGK; 35 Abs. 1 lit. a VK, da die Person gerade nicht die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 Abs. 1 lit. a, c d oder e SGK erfüllt. Dies deshalb, weil es dem Ausländer nicht aus zwingenden Gründen verwehrt war, bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung ein Visum einzuholen und er unter Vorlage entsprechender Nachweise einen unvorhersehbaren dringenden Einreisegrund geltend machen müsste.

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Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach dem FamFG (§ 106 Abs. 2 Satz 1). Nach § 23a Abs. 1 Nr. 2, 2 Nr. 6 GVG sind die Amtsgerichte sachlich zuständig. Nach § 106 Abs. 2 Satz 2 kann in Fällen, in denen über die Fortdauer der Zurückweisungshaft zu entscheiden ist, das Amtsgericht das Verfahren durch unanfechtbaren Beschluss an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Zurückweisungshaft vollzogen wird. Diese Regelung war mit der Neuerung im FamFG (§ 416 Satz 2 FamFG) nach Ansicht des Gesetzgebers zunächst überholt (mit dem 2. Richtlinienumsetzungsgesetz - Entwurf der Bundesregierung vom 15.09.2010 - sollte die Bestimmung gestrichen werden).

iconEntwurf des 2. Richtlinienumsetzungsgesetzes Stand: September 2010

Dieses Vorhaben wurde im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens auf Anraten des Bundesjustizministeriums jedoch aufgegeben.
Die neue Regelung sieht vor, dass das Gericht für die Entscheidung zuständig ist, in dessen Bezirk sich der Betroffene zum Zeitpunkt der Entscheidung der Haft befindet, ohne dass es einer Abgabeentscheidung nach § 106 Abs. 2 Satz 2 bedürfte (s. dazu Hoppe, ZAR, 7/2009, S. 209 f.). Zunächst spricht nach dem gegenwärtigen Stand der Betrachtung nach diesseitiger Auffassung vieles dafür, dass die Beibehaltung des § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kein Redaktionsversehen des Gesetzgebers darstellt (so aber Hoppe, a.a.O.), denn dies lässt sich jedenfalls mit der Gesetzbegründung zum FamFG nicht vereinbaren. Der Gesetzgeber hat ausweislich der Gesetzesbegründung einen Änderungsbedarf nur im Hinblick auf § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gesehen. Nur insoweit hat der Gesetzgeber eine Folgeänderung wegen der Übernahme des Inhalts des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen im Buch 7 des FamFG gesehen (vgl. BT-Drucks. 16/6308, S. 317 rechte Spalte; RA Peter Fahlbusch, Hannover in:

iconWinkelmann, Zur Zuständigkeit der Gerichte bei Abgabeentscheidungen

und vertiefend zum FamFG:

iconWinkelmann, FamFG, Nr. 8). sowie unter § 416 Rn. 8f.

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Anzumerken ist, dass die Regelung des § 62 Abs. 3 Satz 5 im Rahmen der Zurückweisungshaft keine Anwendung findet. Bei der Rückführung aus der Zurückweisungshaft heraus wird also die bisherige Haftanordnung bei einem Scheitern der Rückführung stets wirkungslos (siehe dazu unter § 62).
 

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