Gliederung
56.0 Allgemeines
Der besondere Ausweisungsschutz nach § 56 ist unabhängig davon zu berücksichtigen, ob die Ausweisung auf §§ 53, 54 oder 55 gestützt wird. § 56 lässt die Schutzvorschriften des § 55 Absatz 3 sowie völkervertragliche Schutzbestimmungen, die einer Ausweisung entgegenstehen können, unberührt (zu den Wirkungen von Artikel 8 EMRK vgl. Nummer Vor 53.5.6). Die einer Ausweisung entgegenstehenden Belange des Ausländers sind von Amts wegen zu berücksichtigen.
56.1 Ausweisungsschutz
56.1.0
Der Ausweisungsschutz des nach § 56 Absatz 1 begünstigten Personenkreises erschöpft sich nicht nur in der Beschränkung der Zulässigkeit der Ausweisung auf schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sondern bewirkt auch eine Herabstufung der Rechtsfolgen gemäß § 56 Absatz 1 Satz 4 und 5. Eine zwingende Ausweisung nach § 53 wird daher bei Ausländern, die nach § 56 Absatz 1 begünstigt sind, zur Regelausweisung herabgestuft. Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 54 erfolgt eine Herabstufung zur Ermessensausweisung.
56.1.0.1.1
Asylbewerber haben besonderen Ausweisungsschutz nach Maßgabe des § 56 Absatz 4, nicht nach § 56 Absatz 1. Vor dem Abschluss des Asylverfahrens dürfen diese grundsätzlich nur bei Vorliegen schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (§ 56 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 i.V.m. Absatz 1 Satz 2 und 3).
56.1.0.1.2
Den in § 56 Absatz 1 genannten Personen sind die heimatlosen Ausländer (§ 23 Absatz 1 HAuslG) gleichgestellt.
56.1.0.2
Die Ausweisung der nach § 56 Absatz 1 begünstigten Ausländer ist nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zulässig. Die Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs durch die Ausländerbehörde unterliegt uneingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung. Er umfasst nicht nur Ausweisungsgründe nach §§ 53 und 54 (siehe Nummer 56.1.0.2.3), sondern kann im Einzelfall auch Ausweisungsgründe nach § 55 (z. B. mittlere und schwere Kriminalität) umfassen.
56.1.0.2.1
Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen dann vor, wenn das öffentliche Interesse an der Einhaltung von Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers ein deutliches Übergewicht hat. Bei der Auslegung des Begriffs ist auf die besonderen Umstände des Einzelfalls, insbesondere auf das Strafmaß, die Schwere des Eingriffs in ein besonders geschütztes Rechtsgut, die daraus erwachsenden Folgen und die Häufigkeit der bisher begangenen Rechtsverstöße abzustellen.
56.1.0.2.2
Die von § 56 Absatz 1 geforderte Qualifizierung des Grundes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als schwerwiegend kann sich insbesondere ergeben – aus dem gleichzeitigen Zusammentreffen mehrerer Ausweisungsgründe und sonstigen besonderen Begleitumständen, – aber auch aus der wiederholten Verwirklichung von Ausweisungsgründen, insbesondere wiederholter Begehung nicht geringfügiger Straftaten. Bei gefährlichen oder nur schwer zu bekämpfenden Taten wie etwa Betäubungsmittel- und Waffendelikten, politisch motivierter Kriminalität, Menschenhandel oder Beteiligung an der organisierten Kriminalität sind die Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr nicht zu hoch anzusetzen.
56.1.0.2.3
Schwerwiegende Gründe i. S. v. § 56 Absatz 1 sind i. d. R. bei zwingenden Ausweisungsgründen nach § 53 und den Regelausweisungsgründen nach § 54 Nummer 5, 5a und 7 gegeben (vgl. § 56 Absatz 1 Satz 3). Sie können aber auch bei den anderen Regelausweisungsgründen nach § 54 vorliegen. Generell muss der Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht haben, das sich aus den Umständen der jeweils in Frage stehenden Verhaltensweisen des Betroffenen, bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Fälle schwerer und mittlerer Kriminalität, insbesondere schwere Gewalttaten, können einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund darstellen, jedoch nicht die mehr lästigen als gefährlichen oder schädlichen Unkorrektheiten des Alltags, Ordnungswidrigkeiten, Bagatellkriminalität und ganz allgemein die minder bedeutsamen Verstöße gegen Strafgesetze. Darüber hinaus müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Bei den nach § 56 Absatz 1 geschützten Ausländern ist eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen nur in besonders schwerwiegenden Fällen zulässig. Eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen ist unter dem besonderen Ausweisungsschutz des § 56 Absatz 1 ausnahmsweise nur dann zulässig, wenn die Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis dafür besteht, durch die Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Schwerwiegende Gründe liegen insbesondere dann vor, wenn der Ausländer durch wiederholtes strafbares Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich beeinträchtigt.
56.1.1
Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 56 Absatz 1 Nummer 1 ist, dass der Ausländer im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ausweisungsentscheidung im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn lediglich eine Niederlassungserlaubnis beantragt wurde oder lediglich die Anspruchsvoraussetzungen für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis erfüllt sind. Die Wirkung der Ausweisung nach § 51 Absatz 1 Nummer 5 (Erlöschen des Aufenthaltstitels wegen Ausweisung) lässt den Ausweisungsschutz nach § 56 Absatz 1 unberührt. Der Ausweisungsschutz nach § 56 Absatz 1 Nummer 1 ist auch dann nicht gegeben, wenn der Ausländer zwar im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, sich aber weniger als fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Diese Voraussetzung ist in den Fällen von Bedeutung, in denen der Ausländer bereits innerhalb kurzer Zeit nach der Einreise eine Niederlassungserlaubnis erhält (§ 19 Absatz 1, § 21 Absatz 4, § 23 Absatz 2), kann aber auch in Fällen des § 26 Absatz 4 fehlen, weil die Zeiten der Aufenthaltsgestattung und – gemäß § 102 Absatz 2 – Duldungszeiten angerechnet worden waren.
56.1.1a
§ 56 Absatz 1 Nummer 1a erstreckt in Umsetzung des Artikels 12 der Richtlinie 2003/ 109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. EU 2004 Nummer L 16 S. 44, so genannte Daueraufenthalt-Richtlinie) den besonderen Ausweisungsschutz auf Personen, die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen. Dies entspricht dem Ausweisungsschutz, den Artikel 12 der Daueraufenthalt-Richtlinie vorsieht. Dabei ist Satz 2 des Erwägungsgrundes 8 der Daueraufenthalt-Richtlinie zu beachten, wonach der Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Verurteilung wegen der Begehung einer schwerwiegenden Straftat umfassen kann. In den Fällen des § 53 liegt aber eine solche Verurteilung – stets wegen einer schwerwiegenden Straftat – vor. Da es sich um eine Regel-, nicht um eine Ist-Ausweisung handelt, ist im Zusammenhang mit der notwendigen Prüfung, ob eine Ausnahme vorliegt, eine Einzelfallprüfung i. S. d. Artikels 12 der Richtlinie vorzunehmen.
56.1.2
Unter § 56 Absatz 1 Nummer 2 fallen diejenigen Ausländer, deren Aufenthalt durch Geburt oder durch Einreise als Minderjähriger begründet wurde und die eine Aufenthaltserlaubnis besitzen und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Gemeint ist ein ununterbrochener Aufenthalt im Bundesgebiet von mindestens fünf Jahren bis zum Ergehen der Ausweisungsverfügung. Unerheblich ist, nach welcher Vorschrift die Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Der Ausweisungsschutz erstreckt sich nicht auf Ausländer, die zwar im Bundesgebiet geboren sind, jedoch als Minderjährige ausgereist sind (vgl. § 51 Absatz 1 Nummer 6 und 7) und nach Vollendung des 18. Lebensjahres in das Bundesgebiet wieder eingereist sind. Soweit einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 37 Absatz 1 bzw. Absatz 2 erteilt wurde, ist dies i. S. v. Absatz 1 Nummer 2 zu berücksichtigen.
56.1.3
§ 56 Absatz 1 Nummer 3 setzt neben dem Besitz einer Aufenthaltserlaubnis das rechtliche und tatsächliche Bestehen einer ehelichen oder lebenspartnerschaftlichen Lebensgemeinschaft mit einem der in Nummer 1 bis 2 dieser Vorschrift genannten Ausländer voraus. Befindet sich der Ausländer in Haft, ist darauf abzustellen, ob die eheliche oder lebenspartnerschaftliche Lebensgemeinschaft unmittelbar vor Beginn der Haft bestanden hat und konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Lebensgemeinschaft unmittelbar nach der Haftentlassung fortgesetzt wird. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (z. B. Wirksamwerden des Widerspruchsbescheids).
56.1.4.1
Der erhöhte Ausweisungsschutz nach § 56 Absatz 1 Nummer 4 erstreckt sich auf die mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft (vgl. § 27 Absatz 1 und 2) lebenden Ausländer. Es kommt weder auf den Aufenthaltsstatus des Ausländers an noch ist darauf abzustellen, wie die Lebensgemeinschaft hergestellt worden ist. Zu den Familienangehörigen eines Deutschen zählen nicht die Verwandten seines ausländischen Ehegatten, auch wenn sie in seinem Haushalt aufgenommen sind.
56.1.4.2
Hinsichtlich des Bestehens einer familiären oder lebenspartnerschaftlichen Lebensgemeinschaft inhaftierter Ausländer wird auf die Ausführungen in Nummer 56.1.3 hingewiesen. Der Ausweisungsschutz erstreckt sich im Regelfall nur auf Ausländer, die schon einmal – wenn auch unterbrochen etwa durch Haft – in dieser Lebensgemeinschaft gelebt haben. Die Ausweisung muss daher in eine bereits bestehende familiäre oder lebenspartnerschaftliche Lebensgemeinschaft eingreifen. Der Schutzgrund entfällt nicht, wenn sich der Ausländer gegenüber dem deutschen Staatsangehörigen strafbar gemacht hat, wohl aber, wenn die Lebensgemeinschaft nicht fortgesetzt werden soll.
56.1.5.1
Von der Schutzvorschrift des § 56 Absatz 1 Nummer 5 werden folgende Ausländer erfasst:
56.1.5.1.1
– Asylberechtigte i. S. v. Artikel 16a Absatz 1 GG i.V. m. § 2 AsylVfG,
56.1.5.1.2
– Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (§ 3 Absatz 4 AsylVfG),
56.1.5.1.3
– ausländische Flüchtlinge, für die Deutschland die Verantwortung übernommen hat (Artikel 1 Abschnitt A Genfer Flüchtlingskonvention, §§ 6 und 11 des Anhangs zur Genfer Flüchtlingskonvention, Europäisches Übereinkommen zum Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 16. Oktober 1980, BGBl. 1994 II S. 2645),
56.1.5.1.4
– Ausländer, die einen Reiseausweis für Flüchtlinge besitzen, der von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellt worden ist.
56.1.5.2
Der Ausweisungsschutz des § 56 Absatz 1 Nummer 5 erstreckt sich nicht auf Ehegatten und Kinder des Ausländers, wenn diese nicht Familienasyl oder Familienflüchtlingsschutz nach § 26 AsylVfG genießen; § 55 Absatz 3 findet Anwendung.
56.2 Minderjährige und Heranwachsende
56.2.1.1
§ 56 Absatz 2 Satz 1 stellt sicher, dass ein heranwachsender Ausländer der zweiten Generation, dessen Aufenthalt sich im Bundesgebiet rechtlich verfestigt hat, sowie ein minderjähriger Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis besitzt, lediglich im Ermessenswege ausgewiesen werden kann. Bei der Ermessensentscheidung ist zu beachten, dass eine Ausweisung i. d. R. dann nicht verhältnismäßig ist, wenn der Ausländer nur geringfügige Straftaten bzw. Jugendverfehlungen begangen hat und er keinerlei kulturelle, sprachliche und soziale Kontakte im Herkunftsland hat. Eine Ausweisung findet bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 53, 54 nur nach Ermessen statt. Im Übrigen ist auch eine Ausweisung nach § 55 möglich.
56.2.1.2
Bei der Begriffsbestimmung des Heranwachsenden wird an das Jugendstrafrecht angeknüpft, wonach Heranwachsender ist, wer im Zeitpunkt der Tat 18, aber noch nicht 21 Jahre alt ist. Die Ausweisungsschutzvorschrift begünstigt heranwachsende Ausländer, die zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entscheidung der Ausländerbehörde das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Weder der Zeitpunkt der Begehung der Straftat noch der Zeitpunkt der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung sind für die Beurteilung der Sachund Rechtslage hinsichtlich der Ausweisung eines heranwachsenden Ausländers maßgebend.
56.2.1.3
Das Tatbestandsmerkmal „im Bundesgebiet aufgewachsen" erfüllt beispielsweise auch ein Ausländer, der zwar erst im Alter von zehn Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist, jedoch vor Vollendung seines 18. Lebensjahres über einen längeren Zeitraum, in den der überwiegende Teil der Schulzeit fällt, ununterbrochen in Deutschland gelebt hat.
56.2.2.1
§ 56 Absatz 2 Satz 2 begünstigt Minderjährige, die im Bundesgebiet familiäre Anknüpfungspunkte haben. Die Ausweisung eines minderjährigen Ausländers, dessen Eltern oder dessen allein sorgeberechtigter Elternteil sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, ist nach § 56 Absatz 2 Satz 2 grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Ausweisung ist jedoch zulässig, wenn der minderjährige Ausländer die Voraussetzungen für eine zwingende Ausweisung nach § 53 erfüllt. Die Ausweisung setzt dem entsprechend eine rechtskräftige Verurteilung voraus und wird daher erst verfügt, wenn der Ausländerbehörde ein entsprechendes strafgerichtliches Urteil mit Rechtskraftvermerk vorliegt (vgl. § 87 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3).
56.2.2.2
Begünstigt sind durch § 56 Absatz 2 Satz 2 minderjährige Ausländer ohne Rücksicht auf ihren aufenthaltsrechtlichen Status. Der Schutz gilt selbst im Falle eines unerlaubten Aufenthalts. Voraussetzung ist neben der Minderjährigkeit lediglich der rechtmäßige Aufenthalt beider Elternteile oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils im Bundesgebiet. Der Aufenthalt ist bis zum Erlöschen der Aufenthaltsgestattung rechtmäßig. Das alleinige Personensorgerecht muss sich beispielsweise aus einer familienrechtlichen Sorgerechtsentscheidung ergeben. Auch eine ausländische Sorgerechtsentscheidung ist zu berücksichtigen, wenn sie nicht aus Sicht der deutschen Rechtsordnung gegen den Ordre public verstößt. Der Ausweisungsschutz erfordert nicht eine familiäre Lebensgemeinschaft der Eltern oder des personensorgeberechtigten Elternteils mit dem minderjährigen Ausländer. Geschützt ist auch der bei einem Dritten oder in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebrachte Minderjährige. Die Schutzwirkung des § 56 Absatz 2 Satz 2 entfällt, wenn der Ausländer das 18. Lebensjahr vollendet hat.
56.2.3
§ 56 Absatz 2 Satz 3 reduziert den besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Absatz 2 Satz 1 für Heranwachsende, falls diese wegen serienmäßiger Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten, schwerer Straftaten oder einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden sind. Eine Herabstufung zur Ermessensausweisung ist bei Vorliegen von zwingenden und Regelausweisungsgründen nicht erforderlich, sofern dies nicht bei sonstiger Privilegierung nach § 56 Absatz 1 Satz 1 durch § 56 Absatz 1 Satz 5 geboten ist. Der neue Satz 3 knüpft an die in § 48 Absatz 2 Satz 1 AuslG vorgesehene Ausnahme vom besonderen Ausweisungsschutz Minderjähriger und Heranwachsender bei Serientaten bzw. Straftaten mit erheblichem Unrechtsgehalt an. Für die Gruppe der im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländer wird auf die in Nummer 53.0.3 und 54.0.3 dargelegten Grundsätze hingewiesen.
56.2.3.1
Die Ausweisung setzt in jedem Fall eine rechtskräftige Verurteilung voraus und wird erst dann verfügt, wenn der Ausländerbehörde ein strafgerichtliches Urteil mit Rechtskraftvermerk vorliegt (§ 87 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3).
56.2.3.2
Eine serienmäßige Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten ist zu bejahen, wenn es sich um Vorsatztaten handelt, die abstrakt nicht ausschließlich mit Geldstrafe bedroht sind, und diese Straftaten mehrfach, fortlaufend, in einer annähernd regelmäßigen zeitlichen Reihenfolge begangen worden sind. Ob von einer Begehung schwerer Straftaten auszugehen ist, beurteilt sich nach dem Unrechtsgehalt der Tat; hierbei kommen Fälle mittlerer und schwerer Kriminalität in Betracht. Besonders schwere Straftaten werden bei Mord, Totschlag, Menschenraub, schwerem Raub, Geiselnahme und besonders schwerer Brandstiftung unter Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls regelmäßig vorliegen.
56.3 Fälle des vorübergehenden Schutzes
§ 56 Absatz 3 dient der Umsetzung des Artikels 28 der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. EG Nummer L 212 S. 12, so genannte Richtlinie zum vorübergehenden Schutz). Da die Richtlinie die Ausstellung eines Aufenthaltstitels verlangt, kann der Aufenthaltstitel auch nur in den Fällen durch Ausweisung entzogen werden, in denen die Richtlinie die Versagung des vorübergehenden Schutzes gestattet. Danach kann in Fällen, in denen der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 oder nach § 29 Absatz 4 besitzt, eine Ausweisung nur dann erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 3 Absatz 2 AsylVfG oder des § 60 Absatz 8 Satz 1 vorliegen.
56.4 Asylantragsteller
56.4.0
Asylantragsteller i. S. d. § 56 Absatz 4 sind Ausländer, die einen Asylantrag i. S. d. § 13 AsylVfG gestellt haben. Danach liegt ein Asylantrag vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm die in § 60 Absatz 1 bezeichneten Gefahren drohen.
56.4.1
Hat ein nach § 56 Absatz 4 begünstigter Ausländer, über dessen Asylantrag noch nicht unanfechtbar entschieden ist, einen Ausweisungstatbestand erfüllt, kann er unter der aufschiebenden Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgeschlossen wird (§ 56 Absatz 4 Satz 1).
56.4.2
Von der Aufnahme dieser Bedingung in die Ausweisungsverfügung wird abgesehen, wenn
56.4.2.1
– der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i. S. v. § 56 Absatz 1 ausgewiesen werden kann oder
56.4.2.2
– eine nach den Vorschriften des AsylVfG erlassene Abschiebungsandrohung vor Abschluss des Asylverfahrens vollziehbar geworden ist.
56.4.3.1
Im Falle der Ausweisung eines Asylantragstellers ist beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf eine bevorzugte und beschleunigte Behandlung des Asylverfahrens hinzuwirken. Die Polizei unterrichtet die zuständige Ausländerbehörde unverzüglich unter Angabe der gesetzlichen Vorschriften über ein von der Staatsanwaltschaft eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen einen Asylantragsteller (§ 87 Absatz 4). Im Hinblick auf § 72 Absatz 4 ist die Staatsanwaltschaft zu beteiligen.
56.4.3.2
Die Meldung an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wegen beschleunigter Durchführung des Asylverfahrens kommt insbesondere in Betracht, wenn ein Asylantragsteller einer erheblichen Straftat, insbesondere eines Verbrechens oder eines besonders schweren Falls des Diebstahls oder der gewerbsmäßigen Hehlerei, eines Betäubungsmitteldelikts, eines Sexualdelikts, eines vorsätzlichen Delikts der Körperverletzung oder terroristischer Aktivitäten, Bestrebungen oder Unterstützungshandlungen verdächtig ist oder wenn er als Wiederholungs- bzw. Mehrfachtäter in Erscheinung getreten ist, wobei insoweit auch Straftaten der mittleren und leichten Kriminalität genügen. Eine Meldung entfällt dann, wenn bezüglich etwaiger Vortaten der Tatverdacht entfallen ist. Die Ausländerbehörde unterrichtet das Bundesamt über die Erledigung eines gemeldeten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens.