Gesetz:
Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980
Paragraph:
Art. 13 ARB 1/80
Autor:
Dienelt
Stand:
Dienelt in: OK-MNet-ARB 1/80 (01.07.2012)

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Wirkungsweise der Stillhalteklauseln

1. Sprachfassungen

2. Unterschiedliche Stillhalteklauseln

3. Wirkungsweise

End

1. Sprachfassungen

Entgegen der bislang zitierten Fassung, die im ANBA 1981, Seite 4) veröffentlicht worden war, enthält der original Text – ebenso wie die anderen Sprachfassungen – die Worte „der Bedingungen“ und lautet daher wie folgt:

Deutsche Fassung:

„Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.“

Englische Fassung:

„The Member States of the Community and Turkey may not introduce new restrictions on the conditions of access to employment applicable to workers and members of their families legally resident and employed in their respective territories.”

Französische Fassung:

„Les Etats membres de la Communauté et la Turquie ne peuvent introduire de nouvelles restrictions concernant les conditions d'accès à l'emploi des travailleurs et des membres de leur famille qui se trouvent sur leur territoire respectif en situation régulière en ce qui concerne le séjour et l'emploi.”

Niederländische Fassung:

„De Lid Staten van de Gemeenschap en Turkije mogen geen nieuwe beperkingen invoeren met betrekking tot de toegang tot de werkgelegenheid van werknemers en hun gezinsleden wier verblijf en arbeid op hun onderscheiden grondgebied legaal zijn.”

Italienische Fassung:

„Gli Stati membri della Comunità e la Turchia non possono introdurre nuove restrizioni sulle condizioni d’accesso all’occupazione dei lavoratori e dei loro familiari che si trovino sui loro rispettivi territori in situazione regolare quanto al soggiorno e all'occupazione.”

Türkische Fassung:

"Toplulugun Üye Ülkeleri ve Türkiye, kendi ülkelerinde yasal olarak ikamet eden ve istihdam edilen isçiler ve bunlarin aile üyeleri için geçerli olan istihdam sartlari konusunda yeni kisitlamalar uygulayamazlar."

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2. Unterschiedliche Stillhalteklauseln

Die Standstill-Problematik erfordert eine Differenzierung zwischen den begünstigten Personengruppen, da sich nicht alle türkische Staatsangehörige auf Standstill-Klauseln berufen können und die einschlägigen Bestimmungen zudem unterschiedliche Voraussetzungen aufweisen. Demgemäß muss genau geprüft werden, ob und ggf. welcher der verschiedenen Standstill-Klauseln der jeweilige türkische Staatsangehörige unterfällt. Dabei macht es einen Unterschied, ob es sich um Arbeitnehmer, ihre Familienangehörigen, Selbständige oder Dienstleistungserbringer bzw. -empfänger handelt.

Insgesamt sind folgende Bestimmungen anzuwenden:

  • Für Arbeitnehmer: Art. 7 ARB 2/76; Art. 13 ARB 1/80.
  • Für Familienangehörige der Arbeitnehmer: Art. 13 ARB 1/80.
  • Für Selbstständige: Art. 41 Abs. 1 ZP.
  • Für Dienstleistungserbringer und -empfänger: Art. 41 Abs. 1 ZP.

Bei der Anwendung der einzelnen Standstill-Klauseln sind nicht nur die unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen zu beachten, sondern auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sie zu unterschiedlichen Zeiten wirksam geworden sind. Hinsichtlich der Rechtsstellung von Arbeitnehmern ist zu beachten, dass diese bereits vor dem Inkrafttreten des Art. 13 ARB 1/80 durch Art. 7 ARB 2/76 begünstigt worden waren. Der Wortlaut der Vorgängervorschrift war weitgehend identisch mit dem Art. 13 ARB 1/80. Denn diese Bestimmung enthielt eine Standstill-Klausel, deren Wortlaut sich nur dadurch von Art 13 ARB 1/80 unterscheidet, dass sie ausschließlich Arbeitnehmer und nicht auch ihre Familienangehörigen begünstigt. Erst durch Art 13 ARB 1/80 wurde nach „Arbeitnehmer“ zusätzlich die Worte „und ihre Familienangehörigen“ aufgenommen. Damit stärkt der ARB 1/80 die Rechtsstellung der Familienangehörigen, was auch beabsichtigt war, wie seiner Vorbemerkung entnommen werden kann: „Im sozialen Bereich führen die vorstehenden Erwägungen im Rahmen der internationalen Verpflichtungen jeder der beiden Parteien zu einer besseren Regelung zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen gegenüber der mit Beschluss Nr. 2/76 des Assoziationsrats eingeführten Regelung.“

Auch wenn das ARB 2/76 mit dem Inkrafttreten des ARB 1/80 nach Art. 11 ARB 2/76 aufgehoben worden war und daher unmittelbar nicht mehr Anknüpfungspunkt für Rechte türkischer Arbeitnehmer sein kann, stellt sich die Frage, ob Art. 13 ARB 1/80 intertemporal auf den Zeitraum des Inkrafttreten des ursprünglichen Art. 7 ARB 2/76 zurückwirkt. Dies hätte zur Folge, dass alle seither eingetretenen aufenthalts- und arbeitsmarktrechtlich Beschränkungen auf türkische Arbeitnehmer nicht erst seit dem 01.12.1980, sondern bereits seit dem 01.12.1976, d. h. dem Inkrafttreten des ARB 2/76, unanwendbar sind.

Nach Auffassung des EuGH ist der ARB 2/76 zwar grundsätzlich unanwendbar, da der ARB 1/80 für die türkischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen günstigere Regelungen enthält.

EuGH, U. v. 06.06.1995 – Rs. C-434/93 –, Bozkurt, InfAuslR 1995, 261

Dieser Vorrang des ARB 1/80 vermag aber nicht für die Standstill-Klausel des Art 7 ARB 2/76 zu gelten, denn andernfalls würde der Rechtsstatus der Arbeitnehmer in zeitlicher Hinsicht verschlechtert, weil alle negativen aufenthalts- und arbeitsrechtlichen Veränderungen bis zum Inkrafttreten des ARB 1/80 am 01.12.1980 plötzlich wirksam geworden wären (offengelassen VG Berlin, U. v. 03.07.2002 – VG 11 A 565.01 –, InfAuslR 2002, 384 [390]). Ein dahin gehender Wille des Assoziationsrates kann dem ARB 1/80 nicht entnommen werden; vielmehr sollte auch die Rechtsstellung der Arbeitnehmer verbessert werden. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob der Assoziationsrat die Kompetenz zur Rücknahme von gewährten aufenthaltsrechtlichen Vergünstigungen hat.

Für die maßgeblichen Zeitpunkte der Stillhalteklauseln gilt:

  • Das Zusatzprotokoll vom 23.11.1970 ist am 01.01.1973 in Kraft getreten.
  • Der ARB 1/80 vom 19.09.1980 ist am 01.07.1980 in Kraft getreten. Nach Art. 16 ARB 1/80 ist aber Art. 13 ARB 1/80 erst ab dem 01.12.1980 anwendbar.
  • Der ARB 2/76 vom 20.12.1976 ist am 01.12.1976 in Kraft getreten.

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3.Wirkungsweise

Standstillklauseln wirken verfahrensrechtlich, indem sie in zeitlicher Hinsicht festlegen, nach welchen Bestimmungen eines Mitgliedstaates die Situation eines türkischen Staatsangehörigen zu beurteilen ist (so auch Hailbronner, NVwZ 2009, 760 [761]). Sie verbieten allgemein die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit oder der Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Standstillklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten. Damit ist die Wirkung der Standstillklausel in dem Mitgliedstaaten Europas von dem jeweiligen Zeitpunkt ihres Inkrafttretens abhängig mit der Folge, dass die Wirkung innerhalb der Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sein kann.

Zu Art. 13 vgl. EuGH, U. v.17.09.2009 – C- 242/06 –, Sahin, Rn. 63.

Zu Art. 41 ZP vgl. EuGH, U. v. 29.09.2007 – C-16/05 –, Tum und Dari, Rn. 49.

Nach Art 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei „für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neue Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.“ Die Vorschrift, die rechtlich eine reine Unterlassungspflicht beinhaltet, verleiht nicht unmittelbar ein Aufenthaltsrecht, sondern verwehrt den Vertragsparteien, die innerstaatlichen Regelungen für die Begünstigten gegenüber dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Klausel zu erschweren.

EuGH, U. v. 11.05.2000 – Rs. C-37/98 –, Savas, InfAuslR 2000, 326

Nicht erfasst werden daher Beschränkungen, die eine Vertragspartei bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Standstill-Klausel erlassen hatte; deren Beibehaltung, auch in veränderter Form, ist daher grds unschädlich.

Dabei richtet sich die Standstill-Klausel nicht nur gegen Beschränkungen durch Gesetz oder Verordnung, sondern erfasst auch nachteilige Veränderungen durch Verwaltungsvorschriften.

Hierzu hat der EuGH in der Rechtssache Toprak (C-300/09) und Oguz (C-301/09) ausgeführt:

„30 Zunächst ist festzustellen, dass Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht nur auf Bestimmungen in einer Gesetzes- oder Verordnungsvorschrift, sondern auch auf Bestimmungen in einer Rundverfügung angewandt werden kann, in der die betreffende Regierung darlegt, wie sie das Recht anwenden will.
31 Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 bezieht sich auf die von den Mitgliedstaaten eingeführten Beschränkungen, ohne anzugeben, durch welche Art Rechtsakt solche Beschränkungen eingeführt werden.“

EuGH, U. v. 09.12.2010 – C-300/09 und C-301/09 –, Toprak und Oguz, Rn. 30 f.

Ebenso BVerwG, U. v. 30.04.2009 – 1 C 6.08 –, juris.

Der EuGH hat in der Rs Sahin zudem auch eine belastende Veränderung der Rechtslage für zulässig erachtet, wenn die Belastung auch für Unionsbürger Geltung beanspruchte. Folglich können sich die türkischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen nicht erfolgreich auf eine der Status-quo-Bestimmungen im Rahmen der Assoziation EWG-Türkei – wie Art. 13 1/80 – berufen, um zu verlangen, dass der Aufnahmemitgliedstaat sie nach der im Zeitpunkt des Inkrafttretens geltenden günstigen Recht behandelt, sofern Unionsbürger einer entsprechenden Belastung ausgesetzt sind. Denn eine andere Auslegung wäre mit Art. 59 ZP nicht vereinbar, der den Mitgliedstaaten untersagt, türkischen Staatsangehörige eine günstigere Behandlung zukommen zu lassen als Gemeinschaftsangehörigen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden.

EuGH, U. v. 17.09.2009 – C-242/06 –, Sahin, Rn. 69 ff.

Dabei hat der EuGH bereits in der Rechtssache Servince klargestellt, dass sowohl Art. 7 ARB 2/76 als auch Art. 13 ARB 1/80 unmittelbare Wirkung haben:

EuGH, U. v. 20.09.1990 – Rs. C-192/89 –, Sevince, Slg. 1990, I-3461 = InfAuslR 1991, 2

„Ebenso enthalten Art. 7 des Beschlusses Nr. 2/76 und Art. 13 des Beschlusses 1/80 eine eindeutige Stillhalteklausel, die die Einführung neuer Beschränkungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer verbietet, deren Aufenthalt und Beschäftigung im Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind.“

Diese Rechtsauffassung wurde in den Rechtssachen Savas und Sahin erneut bestätigt.

EuGH, U. v. 11.05.2000 – Rs. C-37/98 –, Savas, InfAuslR 2000, 326

EuGH, U. v. 17.09.2009 – C-242/06 –, Sahin, Rn. 62

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