Gesetz:
Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980
Paragraph:
Art. 6 ARB 1/80
Autor:
OK-MigNet
Stand:
MigNet in: OK-MNet-ARB 1/80 (25.12.2022)

B.   Rechtsstellung

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Liegen die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 vor, so hat der türkische Staatsangehörige eine von dem AufenthG unabhängige Rechtsstellung erlangt. Bei Art. 6 Abs. 1 handelt es sich jedenfalls dann um einen Daueraufenthaltsstatus, wenn die Verfestigungsstufe des 3. Spiegelstrichs erreicht wurde.

Weitergehend die Rechtsansicht vom BMI, s. Nr. 4.3.1.3. vorläufige Verwaltungsvorschrift zum StAG und Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke v. 4.6.2010 (BT-Drs. 17/1927).

Denn mit Erreichen des 3. Spiegelstrichs hat der türkische Staatsangehörige eine Rechtsstellung erlangt, die es ihm erlaubt, seinen Arbeitsplatz frei zu wechseln. Auch wenn das Aufenthaltsrecht davon abhängig bleibt, dass der türkische Staatsangehörige dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, also weder das Rentenalter erreicht hat noch arbeitsunfähig wird, ist der Status so weit verfestigt, dass er einem Daueraufenthaltsrecht gleichsteht.

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Bei Erreichen des 2. Spiegelstrichs ist gleichfalls davon auszugehen, dass der Status des türkischen Arbeitnehmers sich weitgehend verselbstständigt hat. Zwar ist auch hier ein Berufswechsel nicht zulässig, jedoch kann der Arbeitgeber gewechselt werden, ohne dass die Rechtsstellung entfällt.

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Gleiches gilt nicht für das Aufenthaltsrecht aus dem 1. Spiegelstrich des Art. 6 I. Denn die Rechtsstellung ist davon abhängig, dass der türkische Staatsangehörige weiterhin bei demselben Arbeitgeber beschäftigt bleibt. Wird der Arbeitsplatz gekündigt oder wird der Arbeitnehmer schuldhaft arbeitslos, so erlischt die Rechtsstellung. Das Aufenthaltsrecht nach dem 1. Spiegelstrich des ARB 1/80 ist daher nicht so weit verselbstständigt, dass es einem Daueraufenthaltsrecht gleichzustellen ist.

OVG Bremen,  U. v. 08.12.2015 – 1 LC 18/14, InfAuslR 2016, 338 Rn. 23;
VG Bremen, U. v. 09.12.2013 – 4 K 270/13, AuAS 2014, 31 Rn. 14.

Insoweit ist es auch kein unbefristetes Aufenthaltsrecht im Sinne des § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StAG.

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Eine Aufenthaltserlaubnis, die ein assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht nach Art. 6 bescheinigt, muss eine Gültigkeitsdauer von wenigstens fünf Jahren aufweisen.

  So BVerwG, U. v. 22.05.2012 – 1 C 6.11 -, zu Art. 7 S. 1 ARB 1/80.

Außerdem muss sie eindeutig erkennen lassen, dass ihr ein assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht zugrunde liegt. Nur mit diesen Angaben können die betroffenen Ausländer im Rechtsverkehr das ihnen zustehende Daueraufenthaltsrecht auf einfache und praxisgerechte Weise dokumentieren .

   So BVerwG, U. v. 22.05.2012 – 1 C 6.11 -, zu Art. 7 S. 1 ARB 1/80.

Auf ein Jahr befristete Aufenthaltstitel, wie sie in der Praxis häufig ausgestellt werden, entsprechen nicht der Rechtsnatur der Rechtsstellung.

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Verleiht Art. 6 I Art. 6 Abs. 1 2. und 3. Spiegelstrich ein unbefristetes Aufenthaltsrecht, ohne dass es einer nationalen Bescheinigung bedarf, so hat dies auch Auswirkungen auf das StAG. Denn nach § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StAG erwirbt ein nach dem 27.8.2007 im Bundesgebiet geborenes Kind die deutsche Staatsangehörigkeit, sofern ein Elternteil

seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt.

Wurde das Kind vor dem 28.8.2007 geboren, findet die alte Fassung des § 4 Abs. 3 StAG Anwendung, die noch verlangte, dass der Elternteil – sofern er nicht Unionsbürger, Schweizer oder EWR-Bürger war – im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gewesen ist.

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Inhaber der Rechtsstellung nach Art. 6 I Art. 6 Abs. 1 2. und 3. Spiegelstrich können ihren Kindern die deutsche Staatsangehörigkeit vermitteln, ohne dass der Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU erforderlich wäre. Voraussetzung ist allein, dass der Elternteil sich seit acht Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Diese Rechtsansicht wird auch vom BMI geteilt, wie sich aus der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke v. 4.6.2010 (BT-Drs. 17/1927) ergibt.

Wurde die deutsche Staatsangehörigkeit nicht richtig ermittelt, so kann dieser Fehler nachträglich korrigiert werden.

In der Praxis wird es aus folgenden Gründen Probleme bei der Umsetzung geben: Nach § 34 der VO zur Ausführung des PStV verlangt das Standesamt bei der Anzeige einer Geburt zur Prüfung der deutschen Staatsangehörigkeit Angaben der Eltern dazu, ob ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besteht. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, aber auch wenn Zweifel an der Richtigkeit der Angaben bestehen oder keine Angaben zur Rechtsstellung gemacht werden (§ 34 Abs. 2 PStV), holt das Standesamt durch ein Formblatt (Anlage 12 zu § 34 PStV) Auskunft bei der zuständigen Ausländerbehörde ein, ob die Angaben zutreffen und ob zum Zeitpunkt der Geburt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht bzw. ein seit acht Jahren rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt im Inland vorlagen. In dem Formblatt bzgl. des Aufenthaltsstatus sind zum Ankreuzen die Möglichkeiten vorgesehen: „Freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger, EWR-Staatsangehöriger oder deren Familienangehöriger, Niederlassungserlaubnis, Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG, Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger“. Das Aufenthaltsrecht infolge von Art. 6 und 7 fehlt in dieser Auflistung, allenfalls ein Ankreuzen bei „Sonstiges“ oder „unbekannt“ wäre möglich (http://www.migrationsrecht.net/nachrichten-auslaenderrecht-europa-und-eu/staatsangehoerigkeit-stag-geburt-tuerkei.html).

Das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit kann nach § 30 StAG festgestellt werden. Dies gilt auch in den Fällen des § 4 Abs. 3 StAG. Der Hinweis im Geburtenregister auf den Staatsangehörigkeitserwerb nach § 4 Abs. 3 StAG wird entsprechend berichtigt (§§ 47 und 21 Abs. 3 Nr. 4 PStG). Fristen hierfür sind nicht vorgesehen.

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Verliert der türkische Arbeitnehmer seine türkische Staatsangehörigkeit, führt dies nicht zum Wegfall von bereits erworbenen Rechtsstellungen der Familienangehörigen nach Art. 7 S. 1.

OVG RhPf, B. v. 29.06.2009 – 7 B 10454/09 -; VG Freiburg, U. v. 19.01.2010 – 3 K 2399/08 -.

Denn der EuGH hat mehrmals klargestellt, dass die Rechtsstellung der Familienangehörigen nach Erwerb der Rechtsposition nur noch unter zwei Voraussetzungen entfallen kann: Entweder stellt die Anwesenheit des türkischen Wanderarbeitnehmers im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit iSv im Sinne von Art. 14 I dar oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet des Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen. Dabei ist grundsätzlich vom abschließenden Charakter der beiden genannten Verlustgründe auszugehen.

Vgl. BVerwG, U. v. 30.04.2009 – 1 C 6.08 -;
EuGH, U. v. 25.9.2008 – C-453/07 - Hakan Er.

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Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass während der Erwerbsphase der Rechtsstellung nach Art. 7 S. 1 von dem Arbeitnehmer die deutsche Staatsangehörigkeit erworben wird. Tritt diese im Wege der doppelten Staatsangehörigkeit neben die deutsche Staatsangehörigkeit, so kann der Familienangehörige weiterhin Rechte von dem türkischen Arbeitnehmer ableiten. Insoweit hat der EuGH in den Rechtssache Kahveci und Inan entschieden, dass Art. 7 dahin auszulegen ist, dass die Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, sich weiterhin auf diese Bestimmung berufen können, wenn dieser Arbeitnehmer die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erhalten hat und gleichzeitig die türkische Staatsangehörigkeit beibehält.

EuGH, U. v. 29.03.2012, Kahveci und Inan, C-7/10 und C-9/10.

Gibt der türkische Arbeitnehmer hingegen während der Erwerbsphase seine bisherige Staatsangehörigkeit auf, so kann er die Rechte aus Art. 7 S. 1 nicht mehr an seine Familienangehörigen vermitteln.

Vgl. BVerwG, U. v. 10.12.2014 – 1 C 15.14, InfAuslR 2015, 135 Rn. 14;
OVG RhPf, B. v. 29.06.2009 – 7 B 10454/09, NVwZ-RR 2009, 978;
OVG RhPf, B. v. 29.06.2009 – 7 B 10454/09, juris;
HessVGH, B. v. 23.07.2007 – 11 ZU 601/07, InfAuslR 2008, 7;
vgl. auch EuGH, U. v. 11.11.1999, Mesbah, C-179/89, zum Kooperationsabkommen mit Marokko, wonach sich der Familienangehörige eines marokkanischen Wanderarbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaates erwirbt, bevor der Familienangehörige beginnt, mit ihm in dem betr. Mitgliedstaat zusammenzuleben, nicht auf das Abkommen berufen kann.

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Mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit bedarf der Betreffende weder eines Beschäftigungs- noch eines davon abhängigen Aufenthaltsrechts nach dem ARB 1/80. Wegen des Erwerbs des Inländerstatus und des Verlusts der türkischen Staatsangehörigkeit kann er für seinen Aufenthalt in Deutschland keine Rechte mehr aus dem Assoziierungsabkommen herleiten, denn Art. 7 dient der Integration der Familienangehörigen im Mitgliedstaat.

VG Freiburg, U. v. 19.01.2010 – 3 K 2399/08, unter Hinweis auf BVerwG, U. v. 30.04.2009 – 1 C 6.08, NVwZ 2009, 1162.

Beide Zwecke haben sich aber mit dem Erwerb der deutschen und dem gleichzeitigen Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit erledigt. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Betreffenden die türkische bzw. die ausländische Staatsangehörigkeit wieder erwerben und dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren könnten und dann wieder auf die Rechtsstellung aus dem Assoziationsratsbeschluss angewiesen sein könnten. Denn die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband ist auf Dauer angelegt und hat grundsätzlich eine Entlassung aus der früheren Staatsangehörigkeit zur Voraussetzung, mit allen aus dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erwachsenden günstigen sowie aus dem Verlust der türkischen bzw. ausländischen Staatsangehörigkeit sich ergebenden negativen Folgen für die Betroffenen.

VG Freiburg, U. v. 19.01.2010 – 3 K 2399/08.

Dazu zählt auch der Verlust der Rechtsstellung aus dem Assoziationsratsbeschluss.

 

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