Gesetz:
Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980
Paragraph:
Art. 13 ARB 1/80
Autor:
Dienelt
Stand:
Dienelt in: OK-MNet-ARB 1/80 (12.01.2011)

F.   Selbständige

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Neben den speziellen Standstill-Klauseln für türkische Arbeitnehmer und deren Familienangehörigen findet sich in Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll (im Folgenden: ZP) eine Sandstill-Klausel, die den Vertragsparteien untersagt, neue Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen.

Art. 41 ZP, die zweite vom vorlegenden Gericht angeführte Gemeinschaftsbestimmung, findet sich in dessen Titel II („Freizügigkeit und Dienstleistungsverkehr“) Kapitel II („Niederlassungsrecht, Dienstleistungen und Verkehr“) und lautet wie folgt:

„(1) Die Vertragsparteien werden untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen.

(2) Der Assoziationsrat setzt nach den Grundsätzen der Artikel 13 und 14 des Assoziierungsabkommens die Zeitfolge und die Einzelheiten fest, nach denen die Vertragsparteien die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs untereinander schrittweise beseitigen. Der Assoziationsrat berücksichtigt bei der Festsetzung der Zeitfolge und der Einzelheiten für die verschiedenen Arten von Tätigkeiten die entsprechenden Bestimmungen, welche die Gemeinschaft auf diesen Gebieten bereits erlassen hat, sowie die besondere wirtschaftliche und soziale Lage der Türkei. Die Tätigkeiten, die in besonderem Maße zur Entwicklung der Erzeugung und des Handelsverkehrs beitragen, werden vorrangig behandelt.“

Bisher hat der Assoziationsrat keine Maßnahme auf der Grundlage von Art. 41 Abs. 2 ZP erlassen.

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Der Gerichtshof hat im Urteil Costa zu dem letztgenannten Artikel folgendes festgestellt:

„Diese Verpflichtung der Mitgliedstaaten ist rechtlich eine reine Unterlassungspflicht, die durch keinerlei Bedingungen eingeschänkt ist und zu ihrer Erfüllung oder Wirksamkeit keiner weiteren Handlungen der Staaten oder der Kommission bedarf. Sie ist also vollständig, rechtlich vollkommen und infolgedessen geeignet, unmittelbare Wirkungen in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den einzelnen hervorzurufen. Dieses klar ausgesprochene Verbot, das in der ganzen Gemeinschaft mit dem Vertrag in Kraft getreten und damit Bestandteil der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten geworden ist, ist für diese selbst verbindlich und betrifft ihre Angehörigen unmittelbar; diese können Rechte aus ihm herleiten, die die staatlichen Gerichte zu beachten haben.“

EuGH, U. v. 15.07.1964, Costa, C-6/64.
EuGH, U. v. 11.5.2000, Savas. C-37/98, Rn. 47 f.,

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Diese Bestimmung, die sich nicht auf Arbeitnehmer bezieht und deren Reichweite unten im Einzelnen dargelegt wird, ist bereits am 01.01.1973 in Kraft getreten. Sie ist – ebenso wie Art 7 ARB 2/76 und Art 13 ARB 1/80 – unmittelbar anwendbar.

EuGH, U. v. 11.5.2000, Savas. C-37/98

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Art. 41 Abs. 1 ZP schützt zwar aufgrund seiner unmittelbaren Wirkung den türkischen Wanderarbeiter, der eine selbständige Tätigkeit ausübt. Dies gilt jedoch nur insofern, als er es den Mitgliedstaaten untersagt, nach seinem Inkrafttreten eventuelle neue Beschränkungen einzuführen, die die Niederlassung von türkischen Wirtschaftsteilnehmern und Unternehmern einer Regelung unterwerfen, die ungünstiger als die zuvor geltende Behandlung ist. Mit dem Abkommen und dem Zusatzprotokoll änderten die Vertragsparteien folglich nicht die Beschränkungen, die für die Niederlassungsfreiheit bereits am 1. Januar 1973 bestanden

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Damit gewährt Art. 41 Abs. 1 ZP nicht die Niederlassungsfreiheit, sondern setzt diese als Rechtsposition voraus. Der einzelne Ausländer kann sich demnach auf die Niederlassungsfreiheit erst berufen, wenn und soweit sie mit innerstaatlicher Wirkung für die jeweilige Erwerbstätigkeit hergestellt worden ist.

So bereits BVerwG, U. v. 9.5.1986 – 1 C 39.83 –, InfAuslR 1986, 237.

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Beantragt ein türkischer Staatsangehöriger die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ist daher zu prüfen, ob die Anwendung des Ausländergesetzes 1990 im Vergleich zu dem im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls geltenden Ausländergesetzes 1965 zu einer Verschärfung führt. Zwar wurde der Zugang türkischer Staatsangehöriger zur selbständigen Erwerbstätigkeit im Inland seit dem Inkrafttreten des Zusatzprotokolls nicht erschwert, sondern vielmehr durch die Ratifizierung des Europäischen Niederlassungsabkommens vom 13.12.1955 (BGBl. 1959 II S. 998), das für die Türkei am 20.03.1990 in Kraft getreten ist (BGBl. 1991 II S. 397), wegen Art. 10 und 12 ENA erleichtert. Außerdem wird den Inhabern von Aufenthaltsberechtigungen seit dem Inkrafttreten des AuslG 1990 im Unterschied zur früheren Rechtslage der freie Zugang zu selbständigen Erwerbstätigkeiten gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 AuslG1990 gewährt.

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Jedoch brachte bereits das Ausländergesetz 1990 insoweit eine Verschärfung, als nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach anderen Ermessensgesichtspunkten erteilt werden konnte. Eine weitere Verschärfung ist durch § 21 AufenthG eingetreten, der daher nicht anwendbar ist.

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Maßgeblich ist damit für die Zulassung einer selbständigen Beschäftigung § 2 Abs. 1 Satz 1 AuslG1965

So bereits VG Darmstadt, B. v. 15.01.2004 - 8 G 2407/03 -, juris.

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Die Ausländerbehörden durften sich bei der Entscheidung über die Gestattung selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 davon leiten lassen, ob von dem Ausländer nach seinem bisherigen Aufenthalt zu erwarten war, dass er sich als Selbständiger in das Wirtschaftsleben einfügen konnte und die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt war.

BVerwG, U. v. 27.09.1978 – I C 28.77 -, Buchholz 402.24 Nr. 13a zu § 2 AuslG 1965

Daher war zu prüfen, ob der Ausländer inzwischen mit den deutschen Lebensverhältnissen und der deutschen Sprache ausreichend vertraut geworden ist. Dabei durfte allerdings kein zu scharfer Maßstab angelegt werden.

BVerwG, U. v. 09.05.1986 – 1 C 39/83 –, BVerwGE 74, 165 ff. = NVwZ 1986, 1026 ff. = NJW 1986, 3037 ff. = InfAuslR 1986, 237 ff.

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Art und Umfang der beabsichtigten Erwerbstätigkeit mussten berücksichtigt werden. Entscheidend war, ob die vom Ausländer bisher gesammelten Erfahrungen im Umgang mit Behörden und Geschäftsleuten und seine Sprachkenntnisse für die geplante selbständige Tätigkeit eine ausreichende Grundlage bildeten. Der festgestellte Sachverhalt musste den Schluss rechtfertigen, der Ausländer werde sich tatsächlich in das Wirtschaftsleben einfügen.

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Demgegenüber bestimmte schon die Verwaltungsvorschrift zum Ausländerrecht1990 unter Ziffer 10.3.2.0, dass die Aufenthaltsgenehmigung zur Ausübung eine selbständigen Tätigkeit regelmäßig nur erteilt werden soll, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt; dabei soll auch der Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit berücksichtigt werden. Im Rahmen der Prüfung des öffentlichen Interesses gelten die Gesichtspunkte der Ziffer 10.3.2.1 der Verwaltungsvorschrift. Diese regeln, dass von einem öffentlichen Interesse nur auszugehen ist, wenn und soweit an der Ausübung einer bestimmten selbständigen Erwerbstätigkeit durch den Ausländer insbesondere ein übergeordnetes wirtschaftliches Interesse oder ein besonderes öffentliches Bedürfnis besteht. Da diese Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung zwingend zu berücksichtigen sind, ist die Abwägungsentscheidung gegenüber der Rechtslage im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls nach engeren Kriterien durchzuführen und stellt sich damit als Verschärfung dar.

 

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