I. Entstehungsgeschichte

II. Beteiligung des Bundesministeriums des Innern

III. Weisungsbefugnis der Bundesregierung

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I. Entstehungsgeschichte

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Die Vorschrift stimmte in vollem Umfang mit dem Gesetzentwurf (BT-Drucks. 15/420 S. 28) überein.

icon Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz - BT-Drucks. 15/420 v. 07.02.2003

Abs. 2 wurde an die geänderte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 85 GG angepasst (BVerfG, U. v. 02.03.1999 - 2 BvF 1/94 -, juris). Danach ist davon auszugehen, dass auch im Fall des Art 84 Abs. 5 GG nur die Bundesregierung als Kollegium zum Erlass von Einzelweisungen ermächtigt ist.

II. Beteiligung des Bundesministeriums des Innern

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Die Beteiligungsbefugnis des BMI begrenzt die Kompetenz der Ausländerbehörden der Länder, die für Folgeentscheidungen nach Erteilung des Visums durch die Auslandsvertretungen des Bundes allein zuständig sind (vgl. hierzu § 71). Sie beruht auf der Überlegung, dass die Zulassung und die Voraussetzungen für die Zuwanderung von Ausländern auch im Einzelfall Interessen des Gesamtstaats berühren können. Anders als nach § 65 Abs. 1 AuslG gilt die Vorschrift nicht für Erteilung oder Verlängerung der Duldung. Diese Änderung war ursprünglich mit dem Fortfall der Duldung begründet (BT-Drucks. 15/420 S. 28), wurde dann aber trotz Aufrechterhaltung der Duldung nicht rückgängig gemacht.

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Die Beteiligung des Bundes liegt nach Abs. 1 in der „Maßgabe“ der Wahrung politischer Interessen, die sich begrifflich auf folgende - abschließende - Beteiligungsformen bezüglich der Erteilung eines Visums erstrecken darf: Herstellen des Benehmens oder Einvernehmens wegen

  • Verlängerung des Visums oder
  • Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels oder
  • Aufhebung, Änderung von Auflagen, Bedingungen oder sonstigen Beschränkungen.

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Die „Maßgabe“ ist kein justitiabler Vorgang der Qualität eines Verwaltungsaktes, sondern eine innerdienstliche Vorgabe oder Anweisung (vgl. HK-AuslR/Hofmann, § 74 Rn. 10). In den angeführten Fallgruppen kann das einzelne Visum mit einer Nebenbestimmung versehen werden, welche die Herstellung des Benehmens oder des Einvernehmens des BMI oder einer von ihm bestimmten Stelle sichert. Benehmen bedeutet Nichtbeanstandung nach Anhörung, während Einvernehmen ein ausdrückliches Einverständnis erfordert. Ohne Benehmen oder Einvernehmen darf die Ausländerbehörden keine positive Entscheidung über die genannten Fragen treffen (zum Verwaltungs- und Gerichtsverfahren § 72). Die Maßgabe richtet sich an die für die Visumerteilung zuständige Stelle. Das sind nach Art. 4 Abs. 1 VK die Konsulate. Das birgt Konfliktpotential, denn die Konsulate unterstehen dem AA und nicht dem BMI. Eine Weisungsbefugnis gegenüber dem AA besteht durch das BMI schon aus verwaltungsorganisatorischen und -rechtlichen Gründen nicht; insbesondere nicht aufgrund von § 74 (so auch HK-AuslR/Hofmann, § 74 Rn 8; a.A. Kloesel-Christ-Häuser, § 65 AuslG, Rn 2). Jedoch ist das BMI gegenüber den mit der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden (Ausnahmevisaerteilung an der Grenze) direkt weisungsbefugt. Gleichwohl vertritt das BMI aufgrund von Abs. 1 die „politischen Interessen“ des Bundes in Gänze, die hier ganzheitlich zu betrachten sind und nicht auf innenpolitische Gründe beschränkt sind. Ob Abs. 1 damit verfassungsrechtlich haltbar ist, war noch nicht Gegenstand eines Verfahrens, dürfte aber zu bezweifeln sein (Ebenda Hofmann, Rn. 11 mit Hinweis auf GK-AufenthG, § 74 Rn. 6). Jedenfalls müsste bzgl. der Visaantragstellung und Bearbeitung im Ausland eine Ressortabstimmung BMI-AA vorgesehen sein, die in der entsprechenden Weisung des AA an die Konsulate endet.

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Die politischen Interessen des Bundes, die eine Beteiligung des BMI veranlassen können, sind nicht weiter begrenzt. Sie können auch andere Politikfelder betreffen als Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sicherheits- und Außenpolitik. Die Interessen des Bundes sind nicht notwendig auf die ihm zugewiesenen Bereiche der Gesetzgebung und Verwaltung beschränkt. Die Wahrung einzelstaatlicher Belange kann, wenn diese auf andere Länder oder den Gesamtstaat ausstrahlen, Angelegenheit des Bundes sein. Die jeweils maßgeblichen Interessen müssen im Einzelfall genannt werden; angesichts der weitreichenden Formulierung entziehen sie sich aber der näheren Darstellung u. Überprüfung.

III. Weisungsbefugnis der Bundesregierung

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Entsprechend Art. 84 Abs. 5 S. 1 GG sind Einzelweisungen der Bundesregierung an die Länderbehörden „für besondere Fälle“ zugelassen. Sie sind außer im Falle der Dringlichkeit an die oberste Landesbehörde zu richten (Art. 84 Abs. 5 S. 2 GG), nicht also unmittelbar an die Ausländerbehörden. Sie brauchen sich nicht in der Regelung eines einzelnen Falls zu erschöpfen, sondern können eine Reihe gleich oder ähnlich gelagerter Fälle betreffen. Immer muss es dabei um die Ausführung des AufenthG oder einer darauf basierender RVO gehen. Ausführung bedeutet sowohl Rechtsauslegung als auch Anwendung im Einzelfall. Einzelweisungen an Bundesbehörden zur Ausführung des AufenthG darf die Bundesregierung ohnehin erteilen, also ohne Bindung an den Katalog des Abs. 2.

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Unter Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ist dasselbe zu verstehen wie nach § 58 a Abs. 1 S. 1. Sonstige erhebliche Interessen sind tangiert, wenn Rechtsgüter der in § 47 Abs. 1 genannten Art gefährdet sind. Die Notwendigkeit einer Intervention des Bundes braucht sich nicht unmittelbar aus dem Einzelfall zu ergeben. Die Weisung selbst kann aber nur für den Einzelfall ergehen. Sie kann auch auf Bedenken gegen eine entsprechende allgemeine Verwaltungspraxis in gleich oder ähnlich gelagerten Fällen beruhen. Insoweit kann die Bundesregierung auch über Einzelfallentscheidungen die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung sichern, freilich nur zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder andere erhebliche Bundesinteressen. Letztere können auch auf Interessen eines Landes oder einzelner Länder zurückgehen.

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Den Ausgleich von Meinungsunterschieden der Länder untereinander darf die Bundesregierung nur dann zum Anlass für Einzelweisungen nehmen, wenn dadurch erhebliche Interessen eines Landes beeinträchtigt werden. Uneinheitlichkeit des Gesetzesvollzugs allein rechtfertigt noch keinen Eingriff, sondern nur die schädlichen Folgen desselben für ein Land, z.B. in Form einer für die Gleichmäßigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland unzuträglichen Binnenwanderung von Flüchtlingen oder ausreisepflichtigen Ausländern (betr. Spätaussiedler vgl. die Einschränkungen durch Gesetz v. 26. 2. 1996, BGBl. I 225, in der zuletzt gültigen Fassung).

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Die Ausweisung einer Person aus dem diplomatischen oder konsularischen Dienst kann immer außenpolitische Belange des Bundes berühren. Maßgeblich ist der Grund für die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels, nicht eine bestimmte dienstliche Stellung; es kann sich auch um Hauspersonal oder Familienangehörige handeln. An einer einschlägigen Pflicht zur Benachrichtigung der Bundesregierung fehlt es bislang.

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Ein mögliches verwaltungsrechtliches oder gerichtliches Verfahren durch den betroffenen Ausländer im Falle der Beschwer ist schwierig, da der Betroffene sich gegen die Beteiligung des Bundes nicht direkt wehren kann. Im jeweiligen Verfahren muss daher die Beteiligung des Bundes und die Weisungsvorgabe inzident geprüft werden (ausführlich HK-AuslR/Hofmann, § 74 Rn. 14).

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