Nachzug zu international Schutzberechtigten

Soweit die Regelung des § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG an § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative AufenthG anknüpft, verstößt sie gegen Art. 23 Abs. 1 RL 2011/95/EU. Denn Art. 23 Abs. 1 RL 2011/95/EU enthält mit der Formulierung, „Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann", ein Verpflichtung, die Familieneinheit von Familien, die bereits für der Flucht des Stammberechtigten bestanden, herzustellen.

Diese Regelung bezieht sich auf Familienangehörige, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde. Denn Art. 20 Abs. 2 RL 2011/95/EU regelt hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Abschnitts Folgendes: „Sofern nichts anderes bestimmt wird, gilt dieses Kapitel sowohl für Flüchtlinge als auch für Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz." Subsidiärer Schutz wird nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 AsylVfG 2013 für Abschiebungsverbote festgelegt, die vormals in § 60 Abs. 2, 3, und 7 Satz 2 AufenthG verankert waren. Die Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 1 zweite Alternative AufenthG erfasst aber gerade Personen, den subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylVfG 2013 zuerkannt wurde und die damit dem Regelungsbereich des Art. 23 Abs. 1 RL 2011/95/EU unterfallen.

Familienangehörige sind nach Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU Mitglieder der Familie der Person mit Anspruch auf internationalen Schutz, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat. Erfasst werden grundsätzlich

  • der Ehegatte,
  • die minderjährigen, ledigen Kinder und
  • die Eltern.

Die Beschränkung in § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird – unabhängig von ihrer Unvereinbarkeit mit der Qualifikationsrichtlinie – wegen der Erweiterung des Familienasyls in § 26 Abs. 5 AsylVfG weitgehend leerlaufen. Grund für die Erweiterung des Familienasyls auf Familienangehörige von internationale Schutzberechtigte dürfte der Rechtsgedanke, der in der 36 Begründungserwägung der RL 2011/95/EU zum Ausdruck kommt, gewesen sein: „Familienangehörige sind aufgrund der alleinigen Tatsache, dass sie mit dem Flüchtling verwandt sind, in der Regel gefährdet, in einer Art und Weise verfolgt zu werden, dass ein Grund für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gegeben sein kann."

Dieser Gedanke ist auch Grundlage für das Vorliegen eines dringenden humanitären Grundes im Sinne des § 29 Abs. 3 AufenthG in Fällen des nationalen subsidiären Schutzes.