V. Betretenserlaubnis

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Das Aufenthaltsverbot des Ausländers nach Ausweisung, Zurückweisung oder Abschiebung ist nach deutschem Recht nicht als Nebenstrafe konzipiert; Sanktionsgedanken sind dem Aufenthaltsverbot fremd (VG Darmstadt, U. v. 17.12.2009 – 5 K 115/09.DA –, MNet).

icon VG Darmstadt - 5 K 115/09.DA - Urteil vom 17.12.2009

Das Betretungsrecht nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG beinhaltet kein freies Bewegungsrecht; es will lediglich sicherstellen, dass der Berechtigte den zwingenden Gründen, die seine Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern, auch tatsächlich entsprechen kann. Dies gilt namentlich dann, wenn begründete Zweifel hinsichtlich seiner Rückkehrbereitschaft bestehen.
Die Erlaubnis nach Abs. 2 stellt keinen Aufenthaltstitel i.S.d. § 4 abs. 1 Satz 2 AufenthG dar. Sie setzt das Verbot des Abs. 1 zeitweilig und zweckgebunden außer Kraft, indem sie zum Grenzübertritt und zur Hin- und Rückreise zu dem Ort, an dem die Anwesenheit des Ausländer erforderlich ist, berechtigt; sie gilt auch für Unionsbürger (vgl. § 11 FreizügG/EU). Sie legalisiert Einreise u. Aufenthalt unmittelbar („erlaubt“) und bedarf – anders als im Falle des Abs. 1 Satz 3 – keiner Ergänzung durch einen anschließenden Aufenthaltstitel i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 (Westphal/Stoppa, a.a.O. S. 87; a.A. Nr. 11.2.2 AVwV-AufenthG). Nichts deutet darauf hin, dass insoweit die frühere Rechtslage geändert werden sollte. Unter der Geltung von § 15 Abs. 2 AuslG-1965 wurde nur die Betretenserlaubnis nach Muster A 22 erteilt, nicht eine zusätzliche Aufenthaltserlaubnis (Nr. 6 AuslVwV 1965 zu § 15; Muster A 22 in GMBl. 1967, 285). Demnach braucht auch für Personen, die nicht von der Genehmigungspflicht befreit sind, nicht außer der Betretenserlaubnis noch ein Schengen-Visum erteilt zu werden.

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Die Dauer des erlaubten Verweilens richtet sich nach dem Zweck der Reise und kann Übernachtungen und Wohnen einschließen. Sie kann in der Erlaubnis ebenso vorgeschrieben werden wie Reiseweg und Aufenthaltsort (zur Beteiligung der Ausländerbehörde § 72 Abs. 1 AufenthG). Eine nachträgliche Änderung ihres Inhalts ist unter entsprechender Anwendung der Vorschriften des § 12 Abs. 2 AufenthG zulässig, obwohl diese auf Visum und Aufenthaltserlaubnis beschränkt sind; denn die Interessenlage ist bei der Betretenserlaubnis ähnlich wie bei diesen Aufenthaltstiteln, wenn man in ihr selbst schon die Erlaubnis zu Einreise und Betreten sieht (s. nun auch Nr. 11.2.4 AVwV-AufenthG).

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Zwingende Gründe für Einreise und kurzfristigen Aufenthalt während der Sperrzeit nach Abs. 1 sind anzuerkennen, wenn sie in den persönlichen Verhältnissen begründet sind, aber auch dem öffentlichen Interesse entsprechen, etwa für Wahrnehmung von Terminen bei Gerichten oder Behörden oder Regelung von Streitfragen materieller oder immaterieller Art mit Behörden. Hat ein Gericht das persönliche Erscheinen eines Ausländers zu einem Verhandlungstermin angeordnet, erfordern in der Regel zwingende Gründe seine Anwesenheit im Bundesgebiet. Die Anordnung ist von den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten hinzunehmen. Gegenläufige öffentliche Sicherheitsinteressen können nur dann zu einem anderen Ergebnis führen, wenn sie selbst zwingend die ausnahmslose Fernhaltung des Ausländers gebieten und das öffentliche und private Interesse an der Beachtung der gerichtlichen Anordnung überwiegen. Die Betretenserlaubnis ist zu erteilen, wenn zwingende Gründe die Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Das Ermessen der Ausländerbehörde beschränkt sich auf die Frage, ob und wie die Betretenserlaubnis mit Nebenbestimmungen ausgestaltet werden soll (OVG Bremen, B. v. 18.03.2010 – 1 B 45/10 –, MNet). Eine unbillige Härte kann sich vor allem im verwandtschaftlichen oder humanitären Bereich ergeben, etwa bei Familienfeiern, Erkrankung oder Tod naher Angehöriger. Die Gefahr einer erneuten Beeinträchtigung oder Gefährdung öffentlicher Interessen muss entweder ausgeräumt sein oder als so gering erscheinen, dass sie angesichts zwingender Gründe oder einer sonst eintretenden unbilligen Härte hinzunehmen ist. Sie kann sich daraus ergeben, dass die spätere freiwillige Ausreise oder die Abschiebung nicht gesichert oder frühere Abschiebungskosten nicht beglichen sind (NdsOVG, B. v. 20.02.2007 – 11 ME 386/06 –, MNet).

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Vor Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Betretenserlaubnis für einen Gerichtstermin muss durch die zuständige Behörde geprüft werden, ob das Strafverfahren durch eine geschickte Terminierung auf einen oder wenige Tage beschränkt und der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet von vornherein sehr kurz gestaltet werden kann. Für diesen Fall ist zugleich zu erwägen, den unbegleiteten Aufenthalt des Ausländers auf den Transitbereich eines Flughafens zu beschränken und seine Zuführung zum Gericht ggf. durch polizeiliche Begleitung zu gewährleisten. Die hierfür entstehenden Kosten fallen dem Betroffenen zur Last (§§ 66, 67 AufenthG). Insoweit kann zugleich ein Kostenvorschuss verlangt werden. Die Frage, ob der Betroffene diesen aufbringen kann, ist eine solche des Verwaltungsvollzuges; sie kann nicht bereits im Prozesskostenhilfeverfahren geklärt werden. Die Betretenserlaubnis kann auch nur Zug um Zug gegen die Hinterlegung eines Rückflugscheines erteilt werden (vgl. auch NdsOVG, B v. 20.2.2007 - 11 ME 386/06 -, InfAuslR 2007, 197 [201]). Durch diese Maßnahmen kann gewährleistet werden, dass sich der Aufenthalt des Ausländers von vornherein auf den geltend gemachten Zweck - die Durchführung des Gerichtsverfahrens - beschränkt (BayVGH, B. v. 10.06.2009 – 19 C 09.1178 –, MNet).

icon Anforderungen an die Erteilung oder Versagung einer Betretenserlaubnis, § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG

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Kriterien für eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung können sein (VG Darmstadt, U. v. 17.12.2009 – 5 K 115/09.DA –, MNet, s.o. Rn. 37):

  • Gefährlichkeit des Klägers bis zu seiner Abschiebung (Erarbeitung eines Persönlichkeitsbildes des Klägers; Strafbiographie; Einschätzungen und Beurteilungen der Strafgerichte, eventuell durch Beiziehen der Strafakten),
  • Derzeitige persönliche Situation des Klägers in seinem Heimatland (vor allem Art und Dauer der Berufstätigkeit; Höhe des Erwerbseinkommens; soziale Integration; Freundeskreis; soziale Konstanz, auch: Straffreiheit),
  • Hinweise auf positive Änderungen seines Persönlichkeitsbildes (Abstand zur letzten Tat; Läuterung durch Lebensalter; sonstige Hinweise auf Persönlichkeitswandel, z. B. soziales Engagement im Heimatland),
  • Möglichkeiten der sozialen Reintegration in Deutschland (ausreichender Wohnraum; stabile familiäre Verhältnisse; Sprachkenntnisse; Berufsausbildung; Arbeitsplatz in Aussicht?),
  • Herabsetzung der gebotenen Sperrfrist bei familiärer Lebensgemeinschaft (Prüfung der Aufrechterhaltung der familiären Kontakte trotz bestehender Trennung; Klärung, ob Kläger Unterhalt aus der Heimat geleistet hat; Besuche der Familienangehörigen im Heimatland; Ernsthaftigkeit des Interesses des Klägers an seiner Familie und ihrem Wohlergehen, ggf. Anhörung der Familienangehörigen)

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