Verlängerung der Ehebestandszeit auf 3 Jahre

Die bis zum 30. Juni 2011 geltende Fassung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sah eine Ehebestandszeit von 2 Jahren vor. Die zum 1. Juli 2011 durch das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften vom 23. Juni 2011 (BGBl. 2011 S. 1266) beschlossenen Änderungen des Aufenthaltsgesetzes, setzt insbesondere die erforderlichen Ehebestandszeiten von 2 auf 3 Jahren herauf.

In den Fällen, in denen die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als eheunabhängiges Aufenthaltsrecht vor dem 1. Juli 2011 beantragt wurde, stellt sich die Frage, auf welche Rechtslage abzustellen ist:

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof weist unter Aufgabe der noch in seinem Beschluss vom 12. September 2011 - 3 B 1806/11 und 3 D 1807/11 - vertretenen Rechtsauffassung darauf hin, dass zumindest in Fällen, in denen sowohl der Zeitpunkt der Beantragung des eheunabhängigen Aufenthaltsrechtes als auch der Zeitraum der - gedachten - Verlängerung von einem Jahr gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG vor Inkrafttreten der Rechtsänderung liegt, maßgeblicher Zeitpunkt der Entscheidung ausnahmsweise derjenige der Beantragung des Aufenthaltstitels ist.

Dem liegen folgende Überlegungen zugrunde: Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die gerichtliche Prüfung eines Klagebegehrens nach den für Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels geltenden Regeln. Danach kommt es grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der Tatsacheninstanz an, und zwar sowohl hinsichtlich der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen als auch hinsichtlich einer behördlichen Ermessensentscheidung (vgl. BVerwG, U. v. 09.06.2009 – 1 C 11.08 –, juris unter Hinweis auf BVerwG, U. v. 07.04.2009 – 1 C 17.08 –, juris). Ohne gesetzliche Übergangsregelungen eingeführte Rechtsänderungen, wie etwa das Spracherfordernis des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG entfalten lediglich unechte Rückwirkung, da die Regelung sich nur auf noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft bezieht. Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Grundsatzes des Vertrauensschutzes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips sind dabei nicht ersichtlich, der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz bewahrt nicht vor jeder Enttäuschung; verfassungsrechtlich schutzwürdig ist nur ein betätigtes Vertrauen, d. h. eine „Vertrauensinvestition“, die zur Erlangung einer Rechtsposition oder zur entsprechenden anderen Dispositionen geführt hat (vgl. BVerwG, U. v. 30.03.2010 – 1 C 8.09 –, juris unter Hinweis auf BVerfG, B. v. 12.09.2007 – 1 BvR 58.06 – , juris Rdnr. 20 mit Verweis auf BVerfG, U. v. 16.07.1985 – 1 BvL 5.80 – u. a., juris und BVerfG, B. v. 05.05.1987 – 1 BvR 724.81 u. a. –, juris). Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat auch insoweit folgt, allerdings dann, wenn besondere Gründe des anzuwendenden materiellen Rechts es gebieten, auf einen früheren Zeitpunkt abzustellen. Dies ist etwa geboten, wenn sich ein Begehren auf eine eigenständige Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG richtet, die im Anschluss an die eheabhängige Aufenthaltserlaubnis (nur) für ein Jahr beansprucht werden kann, während danach die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Ermessen der Behörde steht (§ 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG) (vgl. BVerwG, U. v. 09.06.2009, a.a.O.; Discher in Gemeinschaftskommentar zur Aufenthaltsgesetz, GK–AufenthaltG, August 2011, § 7 Rdnr. 279 ff., 282, 284 m.w.N.). Das Bundesverwaltungsgericht führt in der zitierten Entscheidung weiter aus, da ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG damit allenfalls für einen vergangenen Zeitraum bestehen könne, komme es „jedenfalls hinsichtlich der Sachlage“ zwangsläufig auf die damaligen Umstände an (BVerwG, U. v. 09.06.2009, a.a.O.).

In Fällen wie dem hier vom HessVGH entschiedenen, in denen die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft, die Beantragung des eheunabhängigen Aufenthaltstitels sowie die - gedachte - Verlängerung von einem Jahr gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG vor Inkrafttreten der Rechtsänderung liegen, ist maßgeblich auf die Stellung des Verlängerungsantrages (hier: Verlängerungsantrag vom 31. Mai 2010) abzustellen, da das materielle Recht nicht nur hinsichtlich der Sachlage, sondern auch hinsichtlich der Rechtslage ein Abstellen auf diesen Zeitpunkt gebietet. Unter Berücksichtigung der von dem Bundesverwaltungsgericht geäußerten Rechtsauffassung, dass im Falle der erstmaligen Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG streitgegenständlich lediglich die Erteilung der eheunabhängigen Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr ist, handelt es sich zumindest in den Fällen, in denen der gesamte zur Entscheidung stehende Sachverhalt in der Vergangenheit liegt, um einen abgeschlossenen Lebenssachverhalt, auf den eine später eingetretene Rechtsänderung keinen Einfluss - mehr - haben kann. Dabei ist anerkannt, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nach der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis beansprucht werden kann, wenn der Ausländer ein schutzwürdiges Interesse hieran hat (vgl. Discher, GK-Aufenthaltsgesetz, a.a.O., § 7 Rdnr. 287). Dies muss gerade im Fall der Beantragung einer eheunabhängigen Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG angenommen werden, da die erstmalige eheunabhängige Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr Voraussetzung für eine weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Ermessenswege (§ 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG) ist. Wirkt mithin der Antrag auf Erteilung einer eheunabhängigen Aufenthaltserlaubnis (für ein Jahr) nicht als Zeitkontinuum in die Zukunft und damit in den Geltungsbereich der gesetzlichen Neufassung des § 31 Abs. 1 AufenthG in der ab dem 1. Juli 2011 geltenden Fassung hinein, kann die Neuregelung mit der Heraufsetzung der erforderlichen Ehebestandszeiten von 2 auf 3 Jahre auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis keine Rechtsgültigkeit beanspruchen. Dies wäre als „echte“ Rückwirkung, also als Rückwirkung von belastenden Rechtsfolgen auf Tatbestände, die bereits vor dem Zeitpunkt der Normverkündung abgeschlossen sind, grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig (vgl. BVerfG, B. v. 07.07.2010 - 2 BvR 14/02, 2 BvR 2/02, 2 BvR 13/02 - unter Hinweis auf BVerfGE 97, 67, 78).

HessVGH, B. v. 21.09.2011 – 3 B 1693/11 –, juris

Die schützenswerte Integration im Bundesgebiet wird vom Gesetzgeber, wie sich aus § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ergibt, grundsätzlich erst dann zugunsten des Bleiberechts des ausländischen Ehegatten anerkannt, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft mindestens rechtmäßig zwei Jahre (nach der seit dem 1. Juli 2011 geltenden Neufassung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (BGBl. I S. 1266) nunmehr sogar dreijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebengemeinschaft) im Bundesgebiet bestanden hat. Bei einer kürzeren Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet führt auch eine ansonsten gelungene Integration nicht zu einem eigenständigen Aufenthaltsrecht.

BayVGH, B. v. 27.06.11 – 10 Cs 11.1193 –, juris