Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt des Weiteren voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist.

Welches Visum im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als das erforderliche Visum anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird.

BVerwG, U. v. 16.11.2010 –1 C 17.09 –, juris, Rn. 19, so auch die ganz überwiegende Rspr der OVG: etwa HessVGH, B. v. 16.03.2005 – 12 TG 298/05 –, NVwZ 2006, 111; VGH BW, B. v. 14.03.2006 – 11 S 1797/05 –, juris, Rn. 12 ff.; NdsOVG, B. v. 28.08.2008 – 13 ME 131/08 –, juris, Rn. 3; OVG Bremen, B. v. 26.06.2009 – 1 B 552/08 –, juris, Rn. 30; zur alten Rechtslage noch offengelassen im U. v. 18.06.1996 –1 C 17.95 –, BVerwGE 101, 265 ). Für dieses Verständnis der Vorschrift spricht neben ihrer systematischen Stellung bei den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln auch der Sinn und Zweck der Regelung. Sie dient anders als § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht primär der Verhinderung oder Sanktion einer unerlaubten Einreise, sondern soll die Einhaltung des Visumverfahrens als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung gewährleisten (BT-Drs 15/420 S. 70). Diesem Zweck der Vorschrift wird eine weite, auch nachträgliche Änderungen des Aufenthaltszwecks erfassende Auslegung der Vorschrift am ehesten gerecht. Nur bei einem solchen Verständnis der Vorschrift erlangen im Übrigen die in § 39 Nr. 2, 3 und 6 AufenthV vorgesehenen Ausnahmen eine eigenständige Bedeutung. In den dort geregelten Fällen einer nachträglichen Änderung des Aufenthaltszwecks würde andernfalls schon nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Beantragung eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet zulässig sein.

BVerwG, U. v. 11.01.2011 – 1C 23/09 –, FamRZ 2011, 641 LS und juris.

Die vorgenannte und grundlegende Entscheidung des BVerwG betrifft die Fälle der in Dänemark geschlossenen Ehen, bei denen der Ausländer zunächst mit einem mit einem Schengen–Visum für einen Kurzaufenthalt von bis zu drei Monaten im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG und damit nicht unerlaubt im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in das Bundesgebiet eingereist ist und die Ehe nach der Einreise in Dänemark geschlossen wurde.

Da der Kläger des dortigen Verfahrens "nur" mit einem Schengen–Visum und nicht mit dem nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen nationalen Visum eingereist ist, fehlt es – ungeachtet des Umstandes, dass er auch nicht die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Eheschließung und Eheführung erforderlichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat – an der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.

Der Ausländer ist in diesen Fällen (sog. Dänemark-Ehe) ausnahmsweise auch nicht berechtigt, nach den auf § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beruhenden Regelungen der §§ 39 ff. AufenthV, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen, und damit von dem Visumerfordernis befreit.

Die in Betracht kommende Regelung in § 39 Nr. 3 AufenthV ist in der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes (vgl. Art. 7 Abs. 4 Nr. 13 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BGBl I S. 1970) anzuwenden.

Nach § 39 Nr. 3 AufenthV kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. In der alten Fassung lautete der letzte Halbsatz: "..., sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind."

BVerwG, U. v. 11.01.2011 – 1C 23/09 –, FamRZ 2011, 641 LS und juris.

Der Kläger des vom BVerwG entschiedenen Verfahrens, für den allein die zweite Alternative der Vorschrift in Betracht kommt, war zwar bei der Stellung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug im Besitz eines gültigen Schengen–Visums für kurzfristige Aufenthalte. Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sind jedoch nicht nach, sondern vor seiner letzten Einreise in das Bundesgebiet entstanden.

Die Stellung der Vorschrift im Vierten Abschnitt der Aufenthaltsverordnung, der nur Ausnahmen vom Visumerfordernis für die Erteilung nationaler Aufenthaltstitel gemäß § 6 Abs. 4 AufenthG betrifft, deutet darauf hin, dass mit diesem Tatbestandsmerkmal nicht die Einreise in den Schengen-Raum, sondern die (letzte) Einreise in das Bundesgebiet gemeint ist. Der Verordnungsgeber unterliegt bei der Regelung von Ausnahmen zur nationalen Visumpflicht keinen unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. Art. 18 Satz 1 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985, ABl 2000 Nr. L 239 S. 19 – SDÜ). Allein die Anknüpfung an unionsrechtliche Tatbestände rechtfertigt nicht die Annahme, er habe in § 39 Nr. 3 AufenthV auf die Einreise in den Schengen–Raum abgestellt (a.A. Benassi, InfAuslR 2008, 127 ). Dagegen sprechen vor allem Sinn und Zweck des § 39 Nr. 3 AufenthV. Denn die Vorschrift soll nur diejenigen Ausländer begünstigen, die im Schengen-Visumverfahren zutreffende Angaben gemacht haben und bei denen sich aufgrund nach der Einreise eingetretener neuer Umstände der Aufenthaltszweck geändert hat. Sie soll aber nicht den Versuch honorieren, einen von Anfang an beabsichtigten Daueraufenthalt in Deutschland unter Umgehung der nationalen Visumvorschriften durchzusetzen. Andernfalls würde die bewusste Umgehung des Visumverfahrens folgenlos bleiben und dieses wichtige Steuerungsinstrument der Zuwanderung (so BT-Drs 15/420 S. 70) entwertet. Dieser Regelungszweck kommt in der Begründung der Neufassung der Vorschrift durch das Richtlinienumsetzungsgesetz durch das Beispiel der Eheschließung im Ausland deutlich zum Ausdruck (BT-Drs 16/5065 S. 240).

BVerwG, U. v. 11.01.2011 – 1C 23/09 –, FamRZ 2011, 641 LS und juris.

Für die Beurteilung, wann die Voraussetzungen eines Anspruchs im Sinne des § 39 Nr. 3 AufenthV entstanden sind, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das zentrale Merkmal der jeweiligen Anspruchsnorm, das den Aufenthaltszweck kennzeichnet (hier: Eheschließung gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), erfüllt worden ist (ebenso NdsOVG, B. v. 01.03.2010 – 13 ME 3/10 –, juris, Rn. 9 f.; BayVGH, B. v. 29.09.2009 –, 19 CS 09.1405 –, juris, Rn. 4; OVG Bremen, B. v. 26.06. 2009 – 1 B 552/08 –, InfAuslR 2009, 380 ; a.A. VGH BW, B. v. 8.07.2008 – 11 S 1041/08 –, InfAuslR 2008, 444 ).

BVerwG, U. v. 11.01.2011 – 1C 23/09 –, FamRZ 2011, 641 LS und juris.

Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann auf die Einhaltung der Visaregeln ausnahmsweise abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind oder die Nachholung des Visumverfahrens aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist. Unter dem in § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG genannten „Anspruch auf Erteilung“ ist nur ein gesetzlich gebundener Anspruch zu verstehen, der auch in Fällen der Ermessensreduzierung auf Null nicht erfüllt ist (vgl. SächsOVG, B. v. 7.08.2009 – 3 B 225/08 –, juris Rn. 7; VGH BW, B.v. 10.03.2009, InfAuslR 2009, 236 m. w. N.).

SächsOVG, B. v. 07.03.2011 – 3 B 538/09 –, juris.

Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 2.Alt. AufenthG kann auch von der Durchführung des Visumverfahrens abgesehen werden, wenn dies nicht zumutbar ist.

Für die Zumutbarkeitsprüfung ist eine Güterabwägung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anzustellen. Dabei ist das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens mit den persönlichen und familiären Belangen des Ausländers abzuwägen, wobei auch die Grundrechte zu beachten sind. Für das öffentliche Interesse streitet insbesondere die Erwägung, dass das Visumverfahren ein wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung ist (vgl. BT–Drs. 15/420, S. 70), von dem nur ausnahmsweise abgewichen werden soll. Auch aus generalpräventiven Gründen ist es gerechtfertigt, dem Eindruck bei anderen Ausländern entgegenzuwirken, man könne durch die Einreise mit einem Schengen–Visum, das zu einem anderen Aufenthaltszweck erteilt worden ist, vollendete Tatsachen schaffen.

NdsOVG, B. v. 07.04.2011 – 11 ME 72/11 –, juris.

Demgegenüber ist selbst die zeitweilige Trennung von Eheleuten oder eines Elternteils von minderjährigen Kindern vor dem Hintergrund von Art. 6 GG grundsätzlich zumutbar (vgl. Bäuerle in. GK–AufenthG, § 5 Rn. 17 m. N. a. d. Rspr.).

NdsOVG, B. v. 07.04.2011 – 11 ME 72/11 –, juris.

Handelt es sich um entfernte Verwandte, wie im Falle des Nachzugs einer erwachsenen Ausländerin zur Betreuung ihrer Neffen, sind die sich aus Art. 6 GG ergebenden Schutzwirkungen geringer zu bewerten. Wie der besondere Ausnahmecharakter des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG deutlich macht, ist für diesen Personenkreis eine Aufenthaltserlaubnis nur zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte und nach Ermessen vorgesehen. Die Betreuungsbedürftigkeit von minderjährigen Kindern im Bundesgebiet vermag aber in der Regel keine außergewöhnliche Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, die einen Zuzug sonstiger Familienangehöriger zur Übernahme der Betreuung rechtfertigen könnte, zu begründen (vgl. BayVGH, v. 22.11.2006 – 24 C 06.2269 –, juris; Hailbronner, a.a.O., § 36 Rn. 32; Huber, Aufenthaltsgesetz, Kommentar, § 36 Rn. 7; Storr u.a., Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., § 36 AufenthG, Rn. 15). Dies gilt selbst dann, wenn die Eltern die Kinderbetreuung nicht übernehmen können, weil sie beispielsweise beide (ganztätig) erwerbstätig sind (vgl. Hailbronner, AuslR § 36 AufenthG Rn. 32; Dienelt in: Renner, AuslR, § 36 AufenthG Rn. 30; Huber, a.a.O., § 36 AufenthG Rn. 7). Eine außergewöhnliche Härte kann in derartigen Fällen allerdings angenommen werden, wenn ein Elternteil nicht mehr zur Kinderbetreuung in der Lage ist (vgl. Hailbronner, a.a.O. und auch Nr. 36.2.2.7 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG des BMI v. 26.10.2009).

NdsOVG, B. v. 07.04.2011 – 11 ME 72/11 –, juris.