IV. Grenzübertritt und Einreise

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Abs. 2 soll das Verhältnis zwischen Grenzübertritt und Einreise beschreiben und mögliche Zweifel beseitigen. Die Definition des Abs. 2 nimmt keine Rücksicht auf die Ordnungsgemäßheit der Einreise nach Abs. 1; sie hebt nur auf die Möglichkeit der Kontrolle und der Zurückweisung an der Grenze ab, und diese besteht unabhängig von den festgesetzte Verkehrsstunden und der tatsächlichen Ausführung der Kontrolle. Aus welchen Gründen die Einreise stattfindet, ist unerheblich. Sie kann auch zu Transitzwecken erfolgen.

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Grenzübertritt und Einreise fallen danach nur zusammen, wenn der Ausländer außerhalb einer zugelassenen Grenzübergangsstelle einreist. An einer zugelassenen Grenzkontrollstelle ist die Einreise erst mit dem Passieren dieser Stelle beendet, also nicht schon mit deren Erreichen. Außerdem muss sich die Kontrollstelle auf deutschem Hoheitsgebiet befinden; liegt sie (als gemeinsame Kontrollstelle) auf fremdem Staatsgebiet, erfolgt die Einreise erst mit Überschreiten der Grenzlinie. Ob die Grenzbehörde geöffnet und besetzt ist, ist unerheblich. Bei einer Bahnfahrt ist die Einreise erfolgt, wenn die Grenzlinie überfahren ist und mitreisende Grenzbeamte die Kontrolle beendet haben. Passagiere, die sich versteckt und der Kontrolle entzogen haben, sind eingereist, wenn sie erst später entdeckt werden.

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Am Flughafen muss die Kontrollstelle passiert sein und die Möglichkeit bestehen, sich frei in Richtung Inland zu bewegen. Betreten und Aufenthalt im Transitbereich, z.B. während des Verfahrens nach § 18 a AsylVfG, sind nicht mit der Einreise gleichzusetzen.
Damit ist der Aufenthalt üblicherweise das Verbleiben in Deutschland nach der Einreise und setzt grundsätzlich eine vollendete Einreise voraus. Inwieweit die Einreise auch zugleich mit der Vollendung strafrechtlich beendet ist, hat Auswirkung auf die Strafnormen der §§ 95-97 AufenthG (s. dort). In Flughafentransitbereichen z.B. ist eine besondere Situation vorherrschend, soweit nicht das AsylVfG greift. Hier ist auch ein ausländerrechtlicher Aufenthalt möglich, der denknotwendig keine vollendete Einreise voraussetzt. Der Unterschied liegt hier in der bereits völkerrechtlich vollendeten Einreise bei gleichzeitigem fehlenden Einreisewillen (so z.B. bei dauerhaften Verbleiben eines Ausländers im Transitbereich eines internationaler Großflughafens ohne Einreise- oder Weiterreiseabsicht); a.A. Westphal/Stoppa, a.a.O., 3. Aufl., S. 698.
Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist an einer zugelassenen Grenzübergangsstelle ein Ausländer im Rechtssinne erst eingereist, wenn er die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat. Ansonsten - z.B. an der Binnengrenze - ist ein Ausländer im Rechtssinne eingereist, wenn er die Grenze überschritten hat. Das doppelte Erfordernis des § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach sowohl ein Grenzübertritt als auch ein Passieren der Grenzübergangsstelle erforderlich ist, damit eine Einreise im Rechtssinne angenommen werden kann, ist auf sämtliche Fälle zu beziehen, in denen im Zusammenhang mit dem gewählten Reiseweg zur ordnungsgemäßen Einreise eine Grenzübergangsstelle zu benutzen wäre. Wenn also ein Ausländer die Grenze überschreitet, aber nicht die zur ordnungsgemäßen Einreise zu passierende Grenzübergangsstelle passiert, damit aber auch nicht eine Grenzübergangsstelle umgeht, reist er im Rechtssinne auch nicht ein. Dieses Verständnis entspricht der bisherigen Handhabe, beispielsweise in den folgenden Fällen keine ausländerrechtlichen Kontrollen durchzuführen:

  • Durchfahren von Küstengewässern,
  • Fahrt auf einem Schiff zu einem Freihafen und Rückfahrt auf die Hohe See oder Transit zu einem anderen Schiff, ohne den Freihafen zu verlassen,
  • Flughafentransit (zum Flughafentransitvisum vgl. unten), oder Überflug des Bundesgebietes ohne Landung.
  • Anhand der Beispiele wird ersichtlich, dass ein Ausländer erhebliche Wege zurücklegen und auch eine erhebliche Zeit im Bundesgebiet verbringen kann, ohne dass er im Rechtssinne einreist. Zeit und Ort des Grenzübertritts und der Einreise im Rechtssinne können somit deutlich auseinander fallen. Es kann vor diesem Hintergrund nicht angenommen werden, ein Ausländer, der noch nicht im Rechtssinne eingereist ist, halte sich im Rechtssinne auch nicht im Bundesgebiet auf bzw. unterliege keinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen. Begrifflich kann der Aufenthalt eines Ausländers also nicht von seiner Einreise abhängig gemacht werden. Eine andere Sichtweise würde zu nicht hinnehmbaren Konsequenzen führen:
  • Gegen Ausländer, die im Transitbereich eines Flughafens oder in einem Freihafen straffällig werden, könnten keine aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen (Ausweisung, Abschiebung) verhängt werden, solange sie nicht eingereist wären. Somit könnten sich Ausländer (wenn man nicht auf die polizeirechtliche Generalklausel zurückgreift) jahrelang in Transitbereichen von Flughäfen aufhalten; oder Ausländer, die noch nicht im Rechtssinne eingereist sind, sich aber im Bundesgebiet befinden, würden nicht den ausweisrechtlichen Pflichten des § 56 AufenthV unterliegen, was insbesondere im Hinblick auf § 56 Nr. 8 AufenthV widersinnig wäre.
  • Ausländer könnten von einem Drittstaat aus in das Gelände eines Freihafens oder in den Transitbereich eines Flughafens reisen und dort eine Beschäftigung ausüben, ohne den hierfür eigentlich erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen.

Zu diesen Ergebnissen sollte die dargestellte Definition der Einreise aber ganz offensichtlich nicht führen. Ihr Sinn besteht vielmehr darin, dass auch bei einer Verlagerung der Grenzübergangsstelle in das Inland eine Zurückweisung, die eben bei der Einreise erfolgt, möglich ist, und dass aufenthaltsrechtliche Verpflichtungen, die bei der Einreise bestehen (etwa nach § 13 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), sich auf das Passieren der Grenzübergangsstelle beziehen. Auch Ausländer, die zwar die Grenze überschritten haben, die aber noch nicht im Rechtssinne eingereist, sind, halten sich also im Bundesgebiet auf und würden daher im Prinzip dem Erfordernis des § 4 Abs. 1 AufenthG unterliegen, während des Aufenthaltes einen Aufenthaltstitel zu besitzen. Aus diesem Grunde regelt § 26 Abs. 1 AufenthV, dass Ausländer, die sich im Bundesgebiet befinden, ohne im Sinne des § 13 Abs. 2 AufenthG eingereist zu sein, grundsätzlich keinen Aufenthaltstitel benötigen. In den oben genannten Beispielsfällen ist daher ein Aufenthalt ohne Aufenthaltstitel erlaubt. Nicht erlaubt ist aber die Ausübung der Erwerbstätigkeit im Freihafen bzw. Transitbereich ohne den Aufenthaltstitel, weil hierfür kein besonderer Ausnahmetatbestand zu § 4 Abs. 3 AufenthG besteht.

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Wer ein Visum für den Flughafentransit (ausführlich unter § 6, Rn. 5) benötigt, also ein Visum zur Durchreise durch die internationalen Transitzonen eines oder mehrerer Flughäfen der Mitgliedstaaten (Art. 2 Nr. 5, Art. 3 i.V.m. Anhang IV VK - VO (EG) Nr. 810/2009 vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex), ABlEU L 243/1 vom 15.9.2009),

icon Visakodex

für den findet die Ausnahme des § 26 Abs. 1 AufenthV nur dann Anwendung, wenn dieses Flughafentransitvisum auch vorhanden ist. Das Flughafentransitvisum selbst ist dabei kein Aufenthaltstitel i.S.v. § 4 AufenthG. Die EU-Kommission hat in dem Entwurf zum Visakodex ausgeführt, dass das Flughafentransitvisum kein Visum im eigentlichen Sinne ist und nicht unter den Begriff Visa im Sinne von Art. 62 Nr. 2 b EGV (jetzt Art. 77 Abs. 2 a AEUV) fällt. Besitzt ein nach Art. 3 VK zum Besitz eines Flughafentransitvisums verpflichtete Ausländer also im Transitbereich eines Flughafens weder ein Flughafentransitvisum noch einen sonstigen Aufenthaltstitel, der (auch) für das Bundesgebiet gilt, gilt für ihn auch nicht die Ausnahme des § 26 Abs. 1 AufenthV. Obwohl er also nicht oder noch nicht eingereist ist, macht er sich nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG strafbar. Zudem ist er grundsätzlich vollziehbar (§ 58 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG) und kann gegebenenfalls zurückgewiesen werden (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 AufenthG), wofür die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden zuständig sind (§ 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG). Darüber hinaus hat das befördernde Luftfahrtunternehmen den Ausländer entgegen § 63 Abs. 1 AufenthG unerlaubt nach Deutschland befördert (so auch Maor, ZAR 2005, 185, 188. a.A. Stoppa in Huber, AufenthG, Aufl. 2010, § 95 Rn. 113).

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Seereisende überschreiten die Grenze mit Überfahren der seewärtigen Begrenzung des deutschen Küstenmeeres (12-Meilen-Zone) oder dem Überfahren der seitlichen Begrenzung des deutschen Küstenmeeres zu dem Nachbarstaat. Sie sind erst nach der Kontrolle im nächsten Hafen eingereist, Wer diese Kontrolle zu umgehen beabsichtigt und an anderer Stelle an Land gehen will oder geht, ist bereits (unerlaubt) eingereist (vgl. Nr. 13.2.6.1-13.2.6.4. AVwV).

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In den Fällen des Abs. 2 Satz 2 ist noch kein Grenzübertritt im Rechtssinne erfolgt, obwohl tatsächlich die Kontrollstation überschritten ist (Fiktion der Nichteinreise). Der Ausländer befindet sich nämlich unter Kontrolle für einen bestimmten Zweck vorübergehend im Bundesgebiet (z.B. Krankenhausbehandlung, Besuch der Auslandsvertretung, persönliches Erscheinen in einem Gerichtstermin, Zurückweisungshaft). Entkommt der Ausländer der Kontrolle, so ist er eingereist (s. dazu OVG Sachsen, B. v. 10. 9. 2009 – 3 D 17/09 – bei Winkelmann).

icon OVG Sachsen – 3 D 17/09 – B. v. 10.09.2009

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Soweit in Fällen der beantragten Zurückweisungshaft diese nicht durch das Gericht beschlossen wird, sind Einreise und Aufenthalt entgegen der Nr. 15.5.4 AVwV solange nicht unerlaubt, wie der Betroffene der behördlichen Zurückweisungsentscheidung zu dem vorgesehenen Abflugtermin auch nachkommt. Die aufschiebende Wirkung der Zurückweisung besteht, solange sie nicht vollzogen werden kann und sollte durch eine Verfügung der Grenzbehörde, die dem Betroffenen auszuhändigen ist, deutlich gemacht werden. In unabsehbar langen Fällen (eine Zurückweisung ist aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen zunächst gar nicht oder jedenfalls nicht innerhalb von 3 Monaten (Rechtsgedanke aus § 62 Abs. 3 Satz 4) möglich), ist Verbindung mit der zuständigen Ausländerbehörde aufzunehmen, um den faktischen Aufenthalt über eine Duldung (§ 60a Abs. 2 Satz 1, 4) rechtlich zu ermöglichen. Auch wenn die Einreise des Ausländers von der Grenzpolizei nicht verhindert werden kann, so macht dies die Einreise nicht rechtmäßig. Die Einreise ist vielmehr unerlaubt und eröffnet ggf. die Möglichkeit der Zurückschiebung nach § 57 Abs. 1 AufenthG (§ 15, Rn. 47). Nicht hinreichend klar ist, ob die bisherige Verfahrensweise in Bezug auf die so genannte „Fiktion der Nichteinreise“ in der bisherigen Form in Bezug auf die RüFü-RL (RL 2008/115/EG) angewendet werden kann. Fraglich ist, ob Ausländer, die unter diese Bestimmung fallen, i.S.v. Art. 2 Abs. 2 a RüFü-RL eine Genehmigung bzw. das Recht erhalten, sich in dem Mitgliedstaat aufzuhalten. Damit könnte der zulässige Anwendungsbereich der Öffnungsklausel verlassen und sein und diese Fälle wären richtlinienkonform zu behandeln (Anwendung von Art. 6, 7, RüFü-RL, etc.). Als Gegenargument könnte angeführt werden, dass der Betroffene auch in diesen Fällen weiterhin unter der Kontrolle der Behörde steht und sich diese Fälle systematisch kaum von solchen des Transitaufenthaltes nach § 15 Abs. 6 AufenthG trennen lassen. Insgesamt lässt sich feststellen, das der Richtliniengeber - wenn auch nur unzureichend deutlich gemacht - nach systematischer Auslegung und nach der ratio legis wohl der Auffassung sein dürfte, dass der gesamte Bereich der Fallgestaltungen der Zurückweisung an der Grenze von der Anwendung der RüFü-RL ausgenommen werden kann. Sofern jedoch der erstmalige Antrag oder die Verlängerung der Haft zur Sicherung der Zurückweisung abgelehnt wird oder der Aufenthalt im Flughafentransit bzw. einer entsprechenden Unterkunft nach § 15 Abs. 6 AufenthG durch den Richter abgelehnt wird, ist der Ausländer frei und eine Einreise zu ermöglichen. Die Zurückweisung wird nunmehr außer Vollzug gesetzt (nach § 15 Abs. 5 S. 3 findet Absatz 1 keine Anwendung mehr). Die ausländerrechtliche Einreise ist nach § 13 AufenthG nunmehr vollendet (§ 13 Abs. 2 S. 2 kann nicht mehr begründet werden) . Zusätzlich zum Eintritt der gesetzlichen Ausreisepflicht ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen. Das Verfahren richtet sich nach der RüFü-RL.

icon Zur nationalen Umsetzung der Rückführungsrichtlinie

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Die Einreisebestimmung hat keinen Einfluss auf die Anwendbarkeit des Strafrechts. Dieses findet nach dem Territorialitätsprinzip nach § 3 StGB mit dem Überschreiten der Grenzlinie Anwendung. Gleiches gilt für die Rückkehr nach § 456a Abs. 2 StPO. Völkerrechtliche Verträge können die Anwendung deutschen Strafrechts in einer Gemeinschaftskontrollstelle bestimmen (z.B. nach Art. 11 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Erleichterungen der Grenzabfertigung vom 10.02.1994).

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