?Sicherung des Lebensunterhalts

?Der Sicherung des Lebensunterhalts kommt im Aufenthaltsrecht eine immer größere Bedeutung zu. Ist der Lebensunterhalt nicht gesichert und liegt ein Regelfall vor, steht der Erteilung eines Aufenthaltstitels § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegen und muss die Ausländerbehörde den Antrag – vorbehaltlich einer gesetzlichen Sonderregelung – zwingend ablehnen. Liegt ein Ausnahmefall vor, kann dem Ausländer jedenfalls bei einem gesetzlichen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels die fehlende Unterhaltssicherung nicht entgegengehalten werden.

Zu den Erteilungsvoraussetzungen gehört neben den speziellen Familiennachzugsvoraussetzungen der §§ 27, 29 Abs. 1 und 30 Abs. 1 AufenthG auch die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Die Frage nach dem Charakter der Entscheidung im Ausnahmefall hat das BVerwG bereits in dem Urteil vom 30.04.2009 (BVerwG, U. v. 30.04.2009 – 1 C 3/08 – AuAS 2009, 194, =FamRZ 2009, 1410=InfAuslR 2009, 333=NVwZ 2009, 1239=Buchholz 402.242 § 5 AufenthG Nr 5=ZAR 2009, 389=EzAR-NF 28 Nr 22) dahin beantwortet, dass die Entscheidung, ob ein Ausnahmefall von der Regel vorliegt, in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar ist. Liegt ein Ausnahmefall vor, kann dem Ausländer jedenfalls bei einem gesetzlichen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels – wie hier nach § 30 Abs. 1 AufenthG – die fehlende Unterhaltssicherung nicht entgegengehalten werden und eröffnet § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG der Behörde kein Ermessen. Der Gesetzgeber hat die Sicherung des Lebensunterhalts im Zuwanderungsgesetz für alle Aufenthaltstitel von einem Regelversagungsgrund (vgl. § 7 Abs. 2 AuslG 1990) zu einer Regelerteilungsvoraussetzung (vgl. § 5 Abs. 1 AufenthG) heraufgestuft. Damit bringt er zum Ausdruck, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Ausländerrecht als eine Voraussetzung von grundlegendem Interesse anzusehen ist. Ausnahmen von der Regel sind daher grundsätzlich eng auszulegen.

Die Sicherung des Lebensunterhalts ist in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG als allgemeine Regelvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels normiert. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Ausländerrecht als eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichen Interesse anzusehen ist (vgl. hierzu BTDrucks 15/420 S. 70 und BVerwG, U. v. 26.08.2008 – 1 C 32.07 –, BVerwGE 131, 370). Diese bereits im Ausländergesetz 1990 getroffene Wertung wurde durch die Neuregelung des Aufenthaltsrechts im Zuwanderungsgesetz noch verstärkt, indem die Sicherung des Lebensunterhalts nunmehr nicht nur bei der Erteilung von Titeln zum Daueraufenthalt, sondern für alle Aufenthaltstitel von einem Regelversagungsgrund (vgl. § 7 Abs. 2 AuslG 1990) zu einer Regelerteilungsvoraussetzung heraufgestuft worden ist (vgl. § 5 Abs. 1 AufenthG). Ausnahmen von der Regel sind daher grundsätzlich eng auszulegen (vgl. BVerwG, U. v. 28.10.2008 –1 C 34.07 –, NVwZ 2009, 246 zu Ausnahmen von der Unterhaltssicherung bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG).

Die in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG getroffene Regelung steht im Einklang mit der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl EG Nr. L 251 S. 12 vom 3. Oktober 2003) - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie -, die es in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c den Mitgliedstaaten erlaubt, den Nachzug von Familienangehörigen von der Sicherung des Lebensunterhalts abhängig zu machen und die Erfüllung dieser Voraussetzung auch bei weiteren aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen zu verlangen (vgl. Art. 16 der Richtlinie).

BVerwG, U. v. 30.04.2009– 1 C 3/08 – AuAS 2009, 194, =FamRZ 2009, 1410=InfAuslR 2009, 333=NVwZ 2009, 1239=Buchholz 402.242 § 5 AufenthG Nr 5=ZAR 2009, 389=EzAR-NF 28 Nr 22

Ein Ausnahmefall von der regelmäßig zu erfüllenden Voraussetzung der Unterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG liegt unter folgenden Voraussetzungen vor: Es müssen entweder besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels muss aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten sein, z.B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist.

BVerwG, Urt. v. 26.08.2008 - 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370, 381

Ob danach ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung. Der Ausländerbehörde steht insoweit kein Einschätzungsspielraum zu. Der Gesetzgeber hat mit § 5 Abs. 1 AufenthG bestimmte Erteilungsvoraussetzungen auf der Tatbestandsseite gleichsam vor die Klammer gezogen und bestimmt, dass sie in der Regel vorliegen müssen unabhängig davon, ob auf die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - wie hier im Fall des Ehegattennachzugs nach § 30 Abs. 1 AufenthG - ein Rechtsanspruch besteht oder nach Ermessen zu entscheiden ist. Daneben enthält § 5 Abs. 3 AufenthG bei der Unterhaltssicherung für bestimmte Aufenthaltstitel abweichende Regelungen, nach denen von dieser Regelerteilungsvoraussetzung abzusehen ist (Satz 1) bzw. abgesehen werden kann (Satz 2). Außerdem kann nach § 30 Abs. 3 AufenthG bei der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug von der Sicherung des Lebensunterhalts abgesehen werden. Diese Regelungen wären überflüssig, wenn der Ausländerbehörde bereits nach § 5 Abs. 1 AufenthG bei der Frage, ob ein Ausnahmefall vorliegt, ein Entscheidungsspielraum zustände. Zugleich würde die gesetzgeberische Wertung unterlaufen, in Fällen des Ehegattennachzugs bei fehlender Unterhaltssicherung Ermessen nur bei der Verlängerung, nicht aber bei der Ersterteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu eröffnen (vgl. BTDrucks 15/420 S. 82).

Ist der Lebensunterhalt nicht gesichert und liegt ein Regelfall vor, steht der Erteilung eines Aufenthaltstitels § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegen und muss die Ausländerbehörde den Antrag - vorbehaltlich einer gesetzlichen Sonderregelung - zwingend ablehnen. Liegt ein Ausnahmefall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, kann dem Ausländer jedenfalls bei einem gesetzlichen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - wie hier im Fall des Ehegattennachzugs nach § 30 Abs. 1 AufenthG - die fehlende Unterhaltssicherung nicht entgegengehalten werden. Die Rechtsprechung des Senats zu § 7 Abs. 2 AuslG 1990, wonach im Falle einer Ausnahme vom Regelfall Ermessen eröffnet war (vgl. BVerwG, U. v. 29.07.1993 –1 C 25.93 –, BVerwGE 94, 35 ), lässt sich auf § 5 Abs. 1 AufenthG nicht übertragen. Denn die Annahme eines Ausnahmefalles hatte bei den Regelversagungsgründen des § 7 Abs. 2 AuslG 1990 zur Folge, dass die Ermessensregelung des § 7 Abs. 1 AuslG 1990 Anwendung fand. Abweichend hiervon normiert § 5 Abs. 1 AufenthG die Unterhaltssicherung als Regelerteilungsvoraussetzung und enthält keine § 7 Abs. 1 AuslG 1990 vergleichbare allgemeine Ermessensregelung. Das Vorliegen eines Ausnahmefalls nach § 5 Abs. 1 AufenthG führt daher nicht dazu, dass bei einem gesetzlichen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Ermessen zu entscheiden ist.

BVerwG, U. v. 30.04.2009– 1 C 3/08 – AuAS 2009, 194, =FamRZ 2009, 1410=InfAuslR 2009, 333=NVwZ 2009, 1239=Buchholz 402.242 § 5 AufenthG Nr 5=ZAR 2009, 389=EzAR-NF 28 Nr 22

Zu den Voraussetzungen nach § 5 Abs.1 Nr. 1 AufenthG wird auf die Kommentierung zu § 5 verwiesen