VI. § 15 Abs. 1: Zurückweisung wegen Versuchs der unerlaubten Einreise

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Zwingend vorgeschrieben ist die Zurückweisung nach nationalem Recht in § 15 Abs. 1 für den Fall des Versuchs einer unerlaubten Einreise i.S.d. § 14 Abs. 1. Hierfür kommt es nur auf die formelle Berechtigung zur Einreise an. Die Zurückweisung nach § 15 Abs. 1 steht in Konkurrenz zu der Zurückweisungsregelung in § 15 Abs. 2 Nr. 2 lit. a und Nr. 3 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 SGK i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a, b und e SGK. Wird der Aufenthalt zu einem anderen als dem angegebenen Zweck angestrebt, ist die Einreise eines Ausländers mit einem einheitlichen Visum nicht unerlaubt (s. zu § 14), so dass § 15 Abs. 1 nicht anzuwenden ist. Das AufenthG stellt bei dem Grenzübertritt mit der Formulierung „dem nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel“ auf den Besitz „eines“ Aufenthaltstitels ab, der zur Einreise berechtigt. Hierdurch wird die Grenzbehörde von der Ermittlung des tatsächlich verfolgten Aufenthaltszwecks befreit. Die Frage des Einreisemotivs spielt erst bei § 5 Abs. 2 Nr. 1 eine Rolle, hier ist eine materiell-rechtliche Betrachtung erforderlich, d.h. es ist zu prüfen, ob der Ausländer den für den jeweiligen Aufenthaltszweck erforderlichen Aufenthaltstitel besitzt. Eine unerlaubte Einreise liegt daher nicht vor, wenn der Ausländer mit einem einheitlichen Visum Typ C (z.B. für touristische Zwecke) einreist, das ohne Zustimmung der Ausländerbehörde ausgestellt worden war, obwohl für den verfolgten Aufenthaltszweck (z.B. Familienzusammenführung, Arbeitsaufnahme) eine Zustimmung erforderlich gewesen wäre (ebenso Westphal/Stoppa, a.a.O., S. 471).

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Bei einer Einreise eines nach Anhang II der EU-VisumVO befreiten Ausländers liegt hingegen eine unerlaubte Einreise vor, wenn er sich länger als drei Monate im Bundes- oder Schengen-Gebiet aufhalten will und nicht über das nunmehr erforderliche Visum (nationales Visum, Typ D) verfügt. Die EU-VisumVO beruht auf Art. 62 Nr. 2 lit. b Ziff. i des EGV-1999 (heute Art. 77 Abs. 2 lit. a AEUV). Nach dieser Norm beschließt der Rat die Vorschriften für Visa für geplante Aufenthalte von höchstens drei Monaten; es obliegt ihm daher, insbesondere die Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie die Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind, aufzustellen. Damit kommt es für das Vorliegen der Befreiung auf die subjektive Einstellung des Drittstaatsangehöriger bei überschreiten der Außengrenzen an. Etwas anderes kann nur für bestimmte Personengruppen gelten, die aufgrund völkerrechtlicher Verträge zu einem längerfristigen Aufenthalt berechtigt sind (z.B. § 41 AufenthV).

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Die Grenzbehörde hat nur den Besitz eines Aufenthaltstitel und eines Passes sowie einer Betretenserlaubnis und das Bestehen eines Einreiseverbots zu prüfen. Erfüllt der Ausländer diese formellen Voraussetzungen nicht, ist der Grenzbehörde nur die Möglichkeit der Ausstellung eines Ausnahmevisums und eines Notreiseausweises (§ 14 Abs. 2) eröffnet; insoweit ist der Zwang zur Zurückweisung durchbrochen. Darüber hinaus ist sie nicht dazu befugt, ein materielles Recht auf Einreise und Aufenthalt, insbesondere das Vorliegen eines Anspruchs i.S.d. § 5 Abs. 2 zu prüfen und festzustellen. Dementsprechend vermag dem Ausländer auch der Nachweis eines ihm zustehenden Aufenthaltsrechts nichts zu nützen. Der Besitz von Aufenthaltstitel und Pass (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2) kann aber auch anders als durch Vorlage der Dokumente an der Grenze nachgewiesen werden, z.B. durch Bestätigung der zuständigen Ausländerbehörde, wenn der Ausländer den Pass samt eingestempeltem Aufenthaltstitel vergessen oder verlegt hat. Problematisch ist die Nichtmitführung trotz Besitz des Aufenthaltstitels oder des Passes in einem anderen Schengenmitgliedstaat. Hier ist der Nachweis oftmals in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit oder aus tatsächlichen Gründen schwierig. In der Praxis sind solche Fälle an der Außengrenze nicht so häufig, da insbesondere die Fluggesellschaften unzureichend ausgewiesene Passagiere nicht befördern. Die Grenzbehörde ist nicht nur dazu befugt, die Echtheit eines Aufenthaltstitels und eines Passes und die Identität des Ausländers zu prüfen (zu letzterem vgl. § 49). Da der Ausländer gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 „den erforderlichen“ Aufenthaltstitel und „einen erforderlichen“ Pass besitzen muss, obliegt dem Grenzkontrollbeamten vielmehr auch die Feststellung, welche Dokumente im Einzelfall erforderlich sind und ob die vorgelegten Papiere diesen Anforderungen genügen. Die Grenzbehörde hat deshalb z.B. festzustellen und ggf. zu untersuchen, ob ein vorgelegtes Besuchervisum genügt oder der Ausländer in Wahrheit einen über drei Monate hinausgehenden Aufenthalt oder eine Erwerbstätigkeit beabsichtigt. Hierbei ist sie allerdings aufgrund der besonderen Verhältnisse an der Grenze auf eine überschlägige und meist nur stichprobenartige Kontrolle beschränkt (vgl. Abs. 2 Nr. 2).

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Damit sind Ausländer zur Durchsetzung eines Anspruchs oder einer von einer positiven Ermessensentscheidung abhängigen Aussicht auf Zulassung von Einreise und Aufenthalt auf das Visumverfahren verwiesen. Umgekehrt kann aus der Nichtbeanstandung der Einreise durch die Grenzbehörde nicht auf die Rechtmäßigkeit der Einreise geschlossen werden. Insbesondere auch ein Einreisestempel (vgl. Art. 10 SGK) erlaubt weder die Einreise noch dokumentiert er die legale Einreise. Befindet sich der Ausländer z.B. bei der Einreise im Besitz eines Visums zum Verwandtenbesuch, beabsichtigt er aber den endgültigen Verbleib bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehegatten, sind Einreise u. Aufenthalt materiell von Anfang nicht unerlaubt. Folglich kann sich der Ausländer später z.B. auch auf den Fortbestand seines (rechtmäßigen) Aufenthalts i.S.d. § 81 Abs. 4 berufen. Auf die Frage, ob eine unerlaubte Einreise nach § 5 Abs. 2 vorliegt, wenn der Ausländer mit einem kurzfristig geltenden Visum einreist, obwohl er einen Daueraufenthalt beabsichtigt, kommt es nicht an, da in § 81 im Unterschied zu § 69 Abs. 2 Nr. 1 AuslG-1990 keine Regelung enthalten ist, die im Fall einer unerlaubten Einreise bestimmt, dass die Fiktion des Fortbestandes des ursprünglichen Aufenthaltstitel nicht eintritt (aA HessVGH, B- v- 16-3-2005 – 12 TG 298/05 – InfAuslR 2005, 304).

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