VII. § 15 Abs. 2: Ermessensabhängige Zurückweisung

 

 

 

1. Ausweisungsgrund

2. Verdacht unrichtiger Angaben über den Aufenthaltszweck

3. Absicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit

4. Nichterfüllung von Art. 5 Abs. 1 SGK

 

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1. Ausweisungsgrund

 

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Die Zurückweisung nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 steht in Konkurrenz zu der Zurückweisungsregelung in Art. 13 Abs. 1 SGK i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. e SGK und setzt keine vollendete Einreise voraus. Danach ist der Ausländer zwingend zurückzuweisen, wenn er eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationale Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellt. Der gemeinschaftsrechtliche Zurückweisungsgrund überlagert § 15 Abs. 2 Nr. 1 und führt zu einer zwingenden Zurückweisung.

 

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Die Zurückweisung ist bei Vorliegen eines Ausweisungsgrunds zulässig. Ein Ausweisungsgrund kann dem Ausländer schon bei Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach §§ 53 ff entgegengehalten werden; vor allem kommt es auf die Möglichkeit einer im Einzelfall ermessensfehlerfreien Ausweisungsverfügung nicht an. Da es nach § 18 Abs. 1 Satz 2 AuslG-1965 für die Zurückweisung auf das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausweisung des Ausländer ankam, ist die Rechtslage zu Lasten der Ausländer verändert (ebenso schon § 60 Abs. 2 Satz 1 AuslG-1990). Auch wenn die Zurückweisung nach Abs. 2 wegen des Anwendungsvorrangs des Art. 13 Abs. 1 SGK obligatorisch ist und nicht in das pflichtgemäße Ermessen der Grenzbehörde gestellt ist, muss bei der Bewertung des Ausweisungsgrundes ein Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen. Ausführlich zur Ermessensausübung bei Hailbronner, a.a.O., § 15 Rn 21 f. Außerdem darf nicht automatisch eine Ausschreibung im SIS erfolgen, denn die Ausschreibung nach Art. 96 Abs. 2 SDÜ setzt mit ihrer auf sämtliche Außengrenzen der Schengen-Staaten bezogenen Wirkung voraus, dass die Entscheidung nicht nur auf eine Interessenbeeinträchtigung, sondern auf "die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit" gestützt wird (OVG RP, U. v. 19.4.2007 – 7 A 11437/06 – DVBl 2007, 1043). Nicht ausreichend ist der Verdacht einer Straftat. Im Falle der Nicht-Zurückweisung hat sie die Ausländerbehörde zu benachrichtigen (§ 87 Abs. 2 Nr. 3). Sie dazu auch die Nachricht in MNet zur Eilentscheidung des

iconVG Wiesbaden, B. v. 13.02.2009 - 6 L 93/09.WI -

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2. Verdacht unrichtiger Angaben über den Aufenthaltszweck

 

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Die Zurückweisung nach § 15 Abs. 2 Nr. 2 ist bei begründetem Verdacht der Falschangabe hinsichtlich des Aufenthaltszwecks wegen des Anwendungsvorrangs des Art. 13 Abs. 1 SGK i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. c SGK zwingend. Die Zurückweisung knüpft dabei an § 31 Abs. 1 AufenthV an, in der die Zustimmungspflicht für bestimmte Aufenthaltszwecke im Visaverfahren festgelegt wird. Für die Zurückweisung ist das Auseinanderfallen von Absicht und Angaben hinsichtlich des Aufenthaltszwecks maßgeblich. Der Drittstaatsangehörige muss nach Art. 5 Abs. 1 lit. c, Abs. 2, 3 i.V.m. Anhang I SGK den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen.

 

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Der Zurückweisungsgrund erfasst in erster Linie Ausländer, die mit einem einheitlichen Visum einreisen wollen, aber auch Ausländer, die nach der EU-VisumVO von der Einholung eines Aufenthaltstitels in Form eines Visums befreit sind (aA Westphal/Stoppa, a.a.O., S. 524, die diese Fallgruppe i.d.R. dem § 15 Abs. 2 Nr. 3 zuordnen. Letztere werden z.B. erfasst, wenn sie einen längerfristigen Aufenthalt von mehr als drei Monaten im Bezugszeitraum von sechs Monaten anstreben, ohne aufgrund völkerrechtlicher Verträge zu einem längerfristigen Aufenthalt berechtigt zu sein (Fallgruppen des § 41 AufenthV) oder eine Erwerbstätigkeit beabsichtigen.

 

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Da der wirkliche Zweck in erster Linie durch den Willen des Ausländers bestimmt wird, lässt er sich an der Grenze wegen der dort herrschenden besonderen Verhältnisse (Schnelligkeit des Reiseverkehrs, begrenzte Erkenntnismittel) nicht immer sicher feststellen. Ausreichende Verdachtsmomente können sich aber z.B. bei einem Touristen aus dem Fehlen eines Rückreisetickets oder genügender Geldmittel ergeben und bei einem angeblichen Besuchsreisenden daraus, dass er die Anschrift eines Arbeitgebers, nicht aber die seiner angeblichen Verwandten kennt oder etwa Arbeitsgerätschaften im mitgeführtem Fahrzeug gefunden werden. Ein abweichender Zweck wird auch verfolgt, wenn ein Transitvisum (Typ C „Transit“, Durchreisedauer ehemals max. 5 Tage; nach dem VK nach der Dauer für die tatsächliche Durchreise bemessen) für den Aufenthalt benutzt oder die erlaubte Aufenthaltsdauer überschritten werden soll.

 

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Ist der Aufenthaltszweck zuvor durch eine deutsche Auslandsvertretung überprüft und ein Visum erteilt, besteht Anlass für Zweifel an der Richtigkeit des angegebenen Aufenthaltszwecks nur bei nachträglich eingetretenen oder zuvor nicht berücksichtigten Umständen. Insoweit besteht Vertrauensschutz in eine im Ausland erteilte Verwaltungsentscheidung, der das entsprechende Visumverfahren vorausgegangen war. Eine Erlaubnis zur Einreise liegt indes nicht vor (vgl. Art. 30 VK: Der bloße Besitz eines einheitlichen Visums oder eines Visums mit räumlich beschränkter Gültigkeit berechtigt nicht automatisch zur Einreise). Bei einem einheitlichen Visum reicht die Absicht aus, den abweichenden Zweck in einem anderen als dem einreisenden Schengen-Staat zu verwirklichen

Nr. 15.2.2.0 AVwV;

vgl. Mitteilung der EU-Kommission, ABlEU v. 20.03.2008, C-74/40 zu den Ausnahmen der Visumbefreiung bei Positivstaatern)

iconMitteilung zu EU-VisumVO über Ausnahmen zur Visumpflicht - C-74/40 - v. 20.03.2008.

Wird der Aufenthalt zu einem anderen als dem angegebenen Zweck angestrebt, ist die Einreise nicht automatisch unerlaubt; sonst wäre § 15 Abs. 1 vorrangig anzuwenden. Die Frage der unerlaubten Einreise ist ausschließlich eine solche des Tatbestandes, der in § 14 abschließend festgelegt ist. Jedoch ist nach § 15 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 13 Abs. 1 SGK die Einreise zu verweigern, wenn diese nach § 14 Abs. 1 Nr. 2a AufenthG unerlaubt erfolgen soll und ist daher nach Art. 34 Visakodex zu annullieren. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Reisende nicht im Besitz des Visums ist, dass seinem Hauptreisezweck entspricht, sofern dieses Schengen-Visum durch falsche Angaben gegenüber dem ausstellenden Konsulat erschlichen wurde (VG München, B. v. 04.12.13 – M 23 S 13.5250 –, juris).
Die beabsichtigte Aufnahme einer Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit unterfällt der Spezialregelung in § 15 Abs. 2 Nr. 2 lit. a. Daher muss die für Nr. 2 erforderliche Absicht auf eine längere Dauer des Aufenthalts oder auf einen anderen Aufenthaltszweck, mit Ausnahme der Erwerbstätigkeit, gerichtet sein. Soweit ein Aufenthalt von mehr als drei Monaten angestrebt wird, wird dieser Sachverhalt für Positivstaater von § 15 Abs. 1 erfasst, sofern nicht ein Fall des § 41 AufenthV vorliegt, der von § 15 Abs. 3 erfasst wird. Der beabsichtigte Zweckwechsel begründet häufig zudem eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und wird dann zusätzlich auch von § 15 Abs. 1 Nr. 1 erfasst.

 

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3. Absicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit

 

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§ 15 Abs. 2 Nr. 2 lit. a wird von Art. 13 Abs. 1 SGK i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. c SGK überlagert. Danach wird der Ausländer zwingend zurückgewiesen, wenn er nicht über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalt als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügt und nicht in der Lage ist, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben. Außerdem darf er nach Art. 5 Abs. 1 lit. e SGK keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellen, was bei einer illegalen Beschäftigung der Fall wäre.

 

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Durch die Einfügung des § 15 Abs. 2 Nr. 2 lit. a wird klargestellt, dass ein Ausländer an der Grenze zurückgewiesen werden kann (bzw. nach Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 SGK) zurückgewiesen werden muss, wenn die Einreise mit der objektiv feststellbaren Absicht der Aufnahme einer unerlaubten Erwerbstätigkeit erfolgen soll. Insoweit greift vorrangig § 15 Abs. 1, da die Absicht, eine unerlaubte Erwerbstätigkeit aufzunehmen, zur unerlaubten Einreise führt (vgl. auch § 41 Abs. 2 AufenthV, wenn ein längerfristiger Aufenthalt und eine Erwerbstätigkeit beabsichtigt sind); s.a. Westphal/Stoppa, a.a.O., S. 224 f, ebenso Nr. 14.1.2.1.1.7.1 und

Nr. 15.3.2 AVwV.

Die Absicht, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu wollen, ist nicht automatisch ein Grund für eine Zurückweisung. Denn Art. 5 Abs. 1 c SGK verdeutlicht, dass es Fälle gibt, in denen der Ausländer in der Lage ist, sich Mittel zum Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu beschaffen. Erforderlich ist eine unerlaubte Erwerbstätigkeit, d.h. eine Beschäftigung ohne erforderliche Zustimmung (vgl. für befreite Ausländer auch § 17 Abs. 2 AufenthV) oder eine Erwerbstätigkeit ohne die erforderliche Erlaubnis.

 

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§ 15 Abs. 2 Nr. 2 wird durch die Neuregelung in Nr. 2 lit. a als lex specialis verdrängt. Nr. 2 deckt diesen Sachverhalt nach der Gesetzesbegründung nicht hinreichend ab, weil die unerlaubte Erwerbstätigkeit auch „Nebenzweck“ des Aufenthalt sein kann und zu keinem erheblichen Zweckwechsel führen könnte; zudem ist bei visumfreien Einreisen oftmals der Aufenthaltszweck nicht erkennbar bzw. dieser wird nicht angegeben. Die Strafbestimmung des § 95 Abs. 1 lit. a wurde deshalb eingefügt. Ebenso sollte der oft geübten Kritik entsprochen werden, die Diskriminierung von Postivstaatern gegenüber Negativstaatern zu beseitigen, die sich in der Vergangenheit daraus ergab, dass visumpflichtige Ausländer bei erheblichem Zweckwechsel wegen der Absicht der Aufnahme der Erwerbstätigkeit nach Ansicht der überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung eine unerlaubte Einreise begingen und sich daher im Rahmen von § 95 Abs. 1 Nr. 3 strafbar machen konnten (vgl. Ausführungen in § 14). Insoweit hätte es der Neuregelung in Nr. 2 lit. a nicht bedurft. Die Fallgruppen werden danach auch über die bisherigen Regelungen des § 15 erfasst. Die Neuregelung ist für die Positivstaater kontraproduktiv, da diese ohnehin im Fall der Absicht zur Erwerbstätigkeit unerlaubt einreisen, mithin sich strafbar nach §§ 14 Abs. 1 Nr. 2, 95 Abs. 1 Nr. 3 machen und nach § 15 Abs. 1 zurückzuweisen sind.

 

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Die Aufnahme der unerlaubten Beschäftigung stellt mit der damit verbundenen Gefahr für die öffentliche Ordnung jedenfalls einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 lit. e SGK dar. Die Regelung in § 17 Abs. 1 AufenthV, wonach mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit die Visumfreiheit endet, ist im Kontext der Öffnungsklausel des Art. 4 Abs. 3 EU-VisumVO so zu interpretieren, dass Deutschland von dieser Option Gebrauch gemacht hat und damit die beabsichtigte Einreise zu einem kurzfristigen Erwerbsaufenthalt visumpflichtig gestellt hat.

 

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4. Nichterfüllung von Art. 5 Abs. 1 SGK

 

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§ 15 Abs. 2 Nr. 3 steht in Konkurrenz mit anderen Zurückweisungstatbeständen in § 15 und ist wegen Art. 13 Abs. 1 SGK nicht überflüssig. Auch wenn Art. 13 SGK für die Fälle des Art. 5 Abs. 1 SGK die Voraussetzungen abschließend regelt, so ist Art. 13 Abs. 1 SGK keine Befugnisnorm, so dass hier auf § 15 Abs. 2 Nr. 3 zurückgegriffen werden kann.
§ 15 Abs. 2 Nr. 3 knüpft unmittelbar an den ins Gemeinschaftsrecht überführten „Schengen-Acquis“ an und ermöglicht in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 Satz 1 SGK die zwingende Zurückweisung, sofern der Drittausländer nicht alle erforderlichen Einreisevoraussetzungen für einen Kurzaufenthalt (max. 3 Monate) gemäß Art. 5 Abs. 1 SGK erfüllt. Die Regelung ist abweichend vom Wortlaut (kann) mit Blick auf den Anwendungsvorrang des Art. 13 Abs. 1 SGK auf eine zwingende Zurückweisung gerichtet.

 

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