IX. § 15 Abs. 4: Zurückweisungsverbote und -hindernisse sowie Ziel der Zurückweisung

1. Zurückweisungsverbote und -hindernisse

2. Ziel der Zurückweisung

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1. Zurückweisungsverbote und -hindernisse

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Die Zurückweisung ähnelt in ihren Wirkungen der Abschiebung oder Zurückschiebung; das Einreiseverbot nach § 11 Abs. 1 Satz 1 tritt jedoch nicht ein, da die Zurückweisung dort nicht genannt ist. Deshalb gelten im Wesentlichen dieselben Verbote und Hindernisse (§ 60 Abs. 1 bis 3, 5 und 7 bis 9 sind entsprechend anzuwenden). Nur die Sperre während des Auslieferungsverfahrens (§ 60 Abs. 4) kann nicht entsprechend angewandt werden.

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Abschiebungsverbote und -hindernisse gelten überwiegend nur im Verhältnis zu einem bestimmten Staat, in dem die maßgebliche Gefahr politischer Verfolgung, von Todesstrafe oder Folter u.ä. droht. Deshalb ist die Zurückweisung (wie die Abschiebung) nur dorthin untersagt. Zulässig bleibt die Zurückweisung in den letzten Aufenthaltsstaat, wenn dieser nicht mit dem Verfolgerstaat usw. identisch ist. Zu beachten bleibt nur die Gefahr der Weiterschiebung. So verbietet z.B. Art. 16 a Abs. 1 GG auch die Überstellung in einen Staat, in dem Gefahr der Weiterschiebung in den Verfolgerstaat besteht.

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Die Sonderregelung für Asylbewerber ist wegen § 60 Abs. 8 erforderlich, wonach u.a. das Hindernis des § 60 Abs. 1 unter bestimmten Voraussetzungen entfällt. Asylsuchende sind nicht von der Visumpflicht befreit, dürfen aber nicht an der Grenze zurückgewiesen werden (§§ 18, 18 a AsylVfG). Die Aufenthaltsgestattung entsteht sofort mit dem Asylantrag i.S.d. § 13 Abs. 1 AsylVfG, setzt also keine förmliche Antragstellung nach § 14 AsylVfG voraus. Die gesetzliche Aufenthaltsgestattung entsteht schon mit Äußerung des Asylgesuchs an der Außengrenze (§ 55 AsylVfG; vgl. auch § 18 a AsylVfG betreffend des Gesuchs an Flughäfen). Sie erlischt nicht mit der Ausreise. Bei Rückreise in den Verfolgerstaat gilt der Asylantrag zwar als zurückgenommen, die Aufenthaltsgestattung erlischt aber erst mit Zustellung des Einstellungsbescheids des BAMF (§§ 32, 33 Abs. 2, 3, 67 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG). Nach Abs. 4 Satz 2 ist die Zurückweisung eines dann zurückkehrenden Asylsuchenden verboten. Die Prüfung der geltend gemachten Gefahr politischer Verfolgung und auch des § 60 Abs. 8 bleibt der Grenzbehörde entzogen. Zum Asylantrag an der Grenze und zum Dublin-Verfahren umfassend bei

iconWinkelmann, Zur Haft im Asylverfahren, Migrationsrecht.net.

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2. Ziel der Zurückweisung

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Das Gesetz verhält sich nicht über das Ziel der Zurückweisung. I.d.R. erfolgt diese entsprechend einer gängigen völkerrechtlichen Praxis in den Staat, aus dem der Ausländer einzureisen versucht. Dies beruht auf der Annahme, dass vor einer Einreise in Deutschland die Ausreise aus dem letzten Aufenthaltsstaat noch nicht beendet ist. Bei Einreise auf dem Landweg ist dies der Anrainerstaat, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Ausländer dort kontrolliert worden ist und sich dort länger aufgehalten hat. Bei Luftverkehrsreisenden kommt in erster Linie der Staat in Betracht, von dem aus der Ausländer gestartet ist, bei Zwischenaufenthalt der letzte Aufenthaltsstaat, sofern der Ausländer sich dort nicht nur im Transitgelände aufgehalten hat (zur Rückbeförderung und zu deren Kosten §§ 63, 66 Abs. 3, 4).

Nr. 15.0.5.2 AVwV bestimmt daher:

„Die Grenzbehörde kann nach pflichtgemäßem Ermessen auch einen anderen Staat als denjenigen Staat, aus dem die Einreise versucht wurde, als Zielstaat bestimmen. Als Zielstaat kommt nur ein Staat in Betracht, der völkerrechtlich zur Aufnahme des Ausländers verpflichtet oder zur Aufnahme bereit ist. Eine völkerrechtliche Verpflichtung ergibt sich aus völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere aus den Rückübernahmeabkommen, oder gewohnheitsrechtlich für den Fall einer unverzüglichen Zurückweisung in den Staat, aus dem der Ausländer auszureisen versucht. Abgesehen davon ist jeder Staat zur Rückübernahme eigener Staatsangehöriger verpflichtet. Von einer Aufnahmebereitschaft durch einen anderen als den Herkunftsstaat kann ausgegangen werden, wenn der Staat dem Ausländer einen Aufenthaltstitel oder eine Rückkehrberechtigung ausgestellt hat und diese noch gültig sind. Bei der Ermessensentscheidung, in welches Land der Ausländer zurückgewiesen werden soll, sind in erster Linie die Interessen der Bundesrepublik Deutschland und der Schengen- Staaten zu berücksichtigen. Die Auswahl erfolgt unter dem Gesichtspunkt einer effektiven Zurückweisung. Es sind aber auch die Belange des Ausländers (z. B. Hauptreiseziel) und eines ggf. kostenpflichtigen Beförderungsunternehmers (§ 64) zu berücksichtigen. Das Ziel der Zurückweisung ist dem Ausländer zusammen mit der Eröffnung der Zurückweisung bekannt zu geben. Grundsätzlich soll in Fällen, in denen der Zielstaat nicht bereits eindeutig feststeht, Folgendes eröffnet werden: „Die Zurückweisung erfolgt in den Staat, aus dem Sie einzureisen versuchten. Sie kann auch in den Staat erfolgen, in dem Sie die Reise angetreten haben, in dem Sie Ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, dessen Staatsangehörigkeit Sie besitzen oder der Ihren Pass oder Passersatz ausgestellt hat, oder in einen sonstigen Staat, in den Sie einreisen dürfen.“ Im Hinblick auf § 15 Absatz 4 Satz 1 kann der Ausländer somit unmittelbar zielstaatsbezogene Zurückweisungshindernisse geltend machen, ohne dass es wegen der späteren Eröffnung des Zielstaates zu vermeidbaren Verzögerungen kommt. Insbesondere bei Zurückweisungen auf dem Luftwege ist dies zu beachten.“

Im Einzelfall kann die Angabe des Zielstaats zu unbestimmt sein. So im Falle der der Verwendung eines Zielstaats, der im Zeitpunkt der Entscheidung ggf. nicht mehr existent ist: So in der Verwendung des Staates "Jugoslawien" (VGH, B. v. 19.10.1993 – 11 S 1183/93 –, bei juris). Nachdem Jugoslawien aufgrund der Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas sowie der völkerrechtlichen Anerkennung dieser Teilrepubliken im Zeitpunkt des Erlasses der Abschiebungsandrohung in seiner früheren Form nicht mehr existiert hatte, war die Zielstaatbestimmung zu unbestimmt. Nicht unbestimmt ist hingegen eine Abschiebungsandrohung die alternativ zwei Zielstaaten bezeichnet (OVG Hamburg, B. v. 03.06.1998 – 4 Bf 210/98 –, bei juris). Der Staat, in den der Ausländer (in erster Linie) abgeschoben werden soll, ist jedoch regelmäßig namentlich zu bezeichnen. Die Bezeichnung "Herkunftsstaat" genügt diesen Anforderungen jedenfalls dann nicht, wenn sich auch aus den Gründendes Bescheides nicht ergibt, welcher konkrete Staat damit gemeint ist (BVerwG, U. v. 25.07.2000 – 9 C 42/99 –, bei juris).

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Die anderen Alternativen können vor allem dann in Anspruch genommen werden, wenn die Zurückweisung in den letzten Aufenthalts- oder Durchreisestaat keinen Erfolg verspricht, weil der Ausländer von dort schon einmal oder öfter einzureisen versucht hat. Vorausgesetzt ist immer die Bereitschaft des betroffenen Staats zur Aufnahme. Mit den meisten Anrainerstaaten bestehen Übernahmeabkommen, in denen u.a. Einzelheiten der Überstellung geregelt sind. Sie betreffen allgemein die Überstellung von Staatsangehörigen der Vertragsstaaten und von Drittstaatern an der Grenze. Soweit sie die formlose Überstellung von illegal eingereisten Personen innerhalb einer bestimmten Frist ermöglichen, handelt es sich um eine Zurückweisung oder um eine Zurückschiebung.

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Da nach § 15 die Zurückweisung nicht ausdrücklich, aber von der Sache her zeitlich begrenzt ist, kann z.T. ohne weitere Förmlichkeiten an der Grenze zurückgewiesen werden. Immer aber müssen die Voraussetzungen des § 15 eingehalten werden. Denn die in den Übernahmeabkommen vereinbarten Modalitäten binden lediglich die Vertragspartner völkerrechtlich. Im Verhältnis zu dem betreffenden Ausländer entfalten sie schon ihrem Inhalt nach keinerlei Wirkung. Zudem fehlt es an einer Übernahme als Bundesrecht, da die Übernahmeabkommen nicht durch Zustimmungsgesetz übernommen sind und damit eine vom AufenthG abweichende gesetzliche Regelung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 5 nicht vorliegt (anders § 57 Abs. 1 Satz 2 für die Zurückschiebung).

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