I. Entstehungsgeschichte
II. Allgemeines
III. Notwendigkeit einer richterlichen Entscheidung

> End


I. Entstehungsgeschichte

1

§ 74 a soll der Umsetzung der europarechtlicher Regelungen zur Unterstützung für die Durchbeförderung von Ausländern im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg dienen und wurde durch das Änderungsgesetz 2007 mit Wirkung vom 28.08.2007 neu eingeführt.

icon Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union

Primär setzt die Vorschrift die RL 2003/110/EG vom 25.11.2003 (ABl. EG L 321 v. 6. 12. 2003, S. 26; berichtigt ABl. EG L 236 v. 7. 7. 2004, S. 18) um. Diese RL folgt der Empfehlung des Rates vom 22. 12. 1995 betreffend die Abstimmung und Zusammenarbeit bei Rückführungsmaßnahmen und dem Beschluss des Exekutivausschusses vom 21.04.1998 betreffend die Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten bei der Rückführung von Drittstaatsangehörigen auf dem Luftweg (SCH/Com-ex (98)10).

icon Richtlinien Gesamtdokument

Zweck der Regelung ist es, das Verfahren über die Unterstützung zwischen den zuständigen Behörden bei unbegleiteten und begleiteten Rückführungen auf dem Luftweg über Flughäfen der Mitgliedstaaten der EU festzulegen (aus der Gesetzesbegründung zum Entwurf des Änderungsgesetzes 2007 mit Stand 14.06.2007).

II. Allgemeines

2

Die Bundespolizei ist in originärer Zuständigkeit (abgesehen von Fällen der Amts- oder Vollzugshilfe zur Unterstützung der Ausländerbehörde zur Durchführung der Abschiebung) u.a. im Zusammenhang mit der Rücküberstellung oder Durchbeförderung von Ausländern aus den benachbarten Ländern auf dem Luft-, Land- oder Seeweg beteiligt (vgl. § 71 Abs. 3 Satz 1). Die RL 2003/110/EG regelt ausschließlich die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (s. Rn. 3). Soweit der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung darüber hinaus auch das Verfahren der Durchbeförderung auf dem Landweg regeln wollte, kann dem nicht gefolgt werden. § 74 a Satz 1 spricht insofern von der Durchbeförderung unabhängig von der Art des Transportweges. Jedoch ist dadurch kein grenzpolizeilicher Mehrwert erkennbar, da ansonsten lediglich auf die Rechtsvorschriften der EG verwiesen wird. Vermisst werden weiterhin eindeutige und umfassende Vorschriften (vgl. auch Melchior, Abschiebungshaft, 08/2007, Nr. 690), die Befugnisse für ausländische Begleitbeamte, haftungs- und kostenrechtliche Fragen und den Bereich der Freiheitsentziehung abschließend regeln.

3

Zweck der RL ist es, Maßnahmen zur Unterstützung zwischen den zuständigen Behörden bei unbegleiteten und begleiteten Rückführungen auf dem Luftweg auf den Transitflughäfen der Mitgliedstaaten festzulegen (Art 1). Vorrangig der Direktflugmöglichkeit wird das Ersuchen auf eine begleitete oder unbegleitete Durchbeförderung auf dem Luftweg und die damit verbundenen Unterstützungsmaßnahmen durch den ersuchenden Mitgliedstaat schriftlich gestellt. Es soll dem ersuchten Mitgliedstaat so frühzeitig wie möglich, spätestens jedoch zwei Tage vor der Durchbeförderung zugehen. Der ersuchte Mitgliedstaat teilt dem ersuchenden Mitgliedstaat binnen zwei Tagen seine Entscheidung mit. Diese Frist kann in besonders begründeten Fällen um höchstens 48 Stunden verlängert werden. Ohne Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats darf eine Durchbeförderung auf dem Luftweg grds. nicht begonnen werden (vgl. Art 3, 4). Der ersuchende Mitgliedstaat trifft entsprechende Vorkehrungen, um zu gewährleisten, dass die Durchbeförderung so rasch wie möglich abgewickelt wird (zur Beantragung eines richterlichen Beschlusses für eine ggf. notwendige Freiheitsentziehung s. Rn. 4f.) Die Durchbeförderung muss binnen höchstens 24 Stunden abgewickelt werden; damit unterliegen auch die Verfahren zur Beschlussfassung in Freiheitsentziehungssachen dieser europäischen Vorgabe des Beschleunigungsgebots. Der ersuchte Mitgliedstaat veranlasst in gegenseitigen Konsultationen mit dem ersuchenden Mitgliedstaat im Rahmen der verfügbaren Mittel und nach Maßgabe der einschlägigen internationalen Standards alle Unterstützungsmaßnahmen, die von der Landung und der Öffnung der Flugzeugtüren bis zur Sicherung der Ausreise des Drittstaatsangehörigen erforderlich sind. In Betracht kommen gem. Art. 5 Abs. 2 S. 3 der RL insbesondere die folgenden Unterstützungsmaßnahmen:

  1. die Abholung des Drittstaatsangehörigen am Flugzeug sowie dessen Begleitung auf dem Ge-lände des Transitflughafens, insbesondere zum Weiterflug,
  2. die notärztliche Versorgung des Drittstaatsangehörigen und gegebenenfalls der Begleitkräfte,
  3. die Verpflegung des Drittstaatsangehörigen und gegebenenfalls der Begleitkräfte,
  4. die Entgegennahme, Aufbewahrung und Weiterleitung von Reisedokumenten, insbesondere bei unbegleiteten Rückführungen,
  5. bei unbegleiteten Rückführungen die Unterrichtung des ersuchenden Mitgliedstaats über Ort und Zeit der Ausreise des Drittstaatsangehörigen aus dem Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats,
  6. die Unterrichtung des ersuchenden Mitgliedstaats über etwaige schwerwiegende Zwischenfälle während der Durchbeförderung des Drittstaatsangehörigen.
Der ersuchte Mitgliedstaat kann gem Art. 5 Abs. 3 der RL nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts:
  1. die Drittstaatsangehörigen an einen sicheren Ort bringen und dort unterbringen (Freiheitsentziehung nicht inkludiert!);
  2. rechtmäßige Mittel zur Verhinderung oder Beendigung von durch den Drittstaatsangehörigen versuchten Widerstandshandlungen gegen die Durchbeförderung anwenden.


In Notfällen kann der ersuchte Mitgliedstaat auf Ersuchen von und im Benehmen mit dem ersuchenden Mitgliedstaat alle erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen für die Fortsetzung der Durchbeförderung bis zu einer Frist von höchstens 48 Stunden durchführen.
Nach Art. 7 der RL beschränken sich die Befugnisse der Begleitkräfte bei der Durchführung der Durchbeförderung auf Notwehr. Darüber hinaus können die Begleitkräfte, wenn keine Beamten der Strafverfolgungsbehörden des Durchbeförderungsmitgliedstaats zugegen sind oder zur Unterstützung der Strafverfolgungsbeamten, in vernünftiger und verhältnismäßiger Weise auf eine unmittelbar bevorstehende schwerwiegende Gefahr reagieren, um zu verhindern, dass der Drittstaatsangehörige flüchtet und dabei sich oder Dritte verletzt oder Sachschaden verursacht. Die Begleitkräfte müssen unter allen Umständen die Rechtsordnung des ersuchten Mitgliedstaats einhalten.

III. Notwendigkeit einer richterlichen Entscheidung

4

Die Fassung des § 74 a durch das Änderungsgesetz 2007, verzichtet auf den noch in der Fassung vom 06.01.2006 enthaltenen – umstrittenen – Abs. 2 (Durchbeförderungshaft). Nach § 74 a Satz 4 hat der durchbeförderte Ausländer die erforderlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit seiner Durchbeförderung zu dulden. Das Kernproblem der Durchführung ist die Planbarkeit der beabsichtigten Freiheitsentziehungen. Freiheitsentziehungen bei angekündigter Rücküberstellung sind ohne vorherige richterliche Anordnung unzulässig (Winkelmann, ZAR 2007, 268 unter Hinweis auf OLG Köln, B. v. 29. 6. 2005 – 16 Wx 76/05 –).

Ausführlich zur Problematik der vorherigen richterlichen Entscheidung in § 62 AufenthG.

Aufgrund des durch die RL geregelten Verfahrens sind den Dienststellen regelmäßig die Termine für Durchbeförderungen bekannt. Nach Art. 4 der RL muss das Ersuchen schriftlich spätestens zwei Tage vor der Durchbeförderung zugehen (s.o. Rn. 3). Sofern die Zuführung aus der Abschiebehaft des ersuchenden Mitgliedstaates erfolgt, bleibt wegen der Planbarkeit einer möglicherweise notwendigen Freiheitsentziehung bei Landung und Öffnung der Außentüren auf deutschem Boden kein Raum für eine rechtmäßige Spontanfestnahme. Das gilt sowohl für die deutsche Polizeibeamten, als auch für die begleitenden ausländischen Beamten, die sich ohnehin mangels eigener Befugnis (s.o. Rn. 3; insoweit wurde Art 7 RL 2003/110/EG, der die Möglichkeit der Ausgestaltung von Befugnissen vorsieht, nicht in nationales Recht umgesetzt) nur auf die nationale deutsche Vorschriften im Rahmen der Notwehr/-hilfe und des Notstandes berufen können. Eine bloße Durchsetzung der Durchbeförderung mittels Zwang ohne richterliche Entscheidung, scheidet aufgrund des besonderen Charakters dieser Maßnahme jedenfalls dann aus, wenn der Durchzubefördernde bereits aus der Haft zugeführt wird und Rückführungen zuvor bereits mehrfach gescheitert sind.

5

Problematisch ist hier auch die Rechtsgrundlage für den Haftantrag. Der Durchzubefördernde reist mit luftseitigem Überschreiten der Binnengrenze völkerrechtlich und ausländerrechtlich, spätestens mit Betreten deutschen Bodens, auch vollendet ein. Sein Aufenthalt ist trotz Fehlens eines nunmehr erforderlichen Aufenthaltstitels so lange nicht unerlaubt, wie § 30 AufenthV den Ausländer für die Zwecke der Durchbeförderung für eine Dauer von bis zu drei Tagen vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit. Ist der Aufenthalt nicht unerlaubt, so scheidet eine Zurückschiebung und ein hierauf gestützter Haftantrag aus. Vielmehr steht auch hier der zuständige Richter vor einem Dilemma, da ein etwa auf § 427 FamFG gestützter Eilantrag zu keinem Haftbefehl. nach bisherigem deutschem Recht führen kann (so aber Nr. 62.0.3.6 AVwV). Es ist weder § 62 noch eine andere Rechtsgrundlage ersichtlich, die für eine Freiheitsentziehung in diesem Fall einschlägig wäre (vgl. dazu bei Melchior, a.a.O., der den Grenzbehörden empfiehlt, sich bereits vor einer Durchbeförderung (die stets rechtzeitig angekündigt ist) durch einen entsprechenden Antrag bei dem zuständigen Haftgericht zu vergewissern, ob und inwieweit die beabsichtigten Maßnahmen rechtlich zulässig sind, aber offen lässt, welches materielle Recht für den Haftbeschluss zur Anwendung gelangen soll.

6

Die Wendung „Der durchbeförderte Ausländer hat die erforderlichen Maßnahmen in Zusammenhang mit seiner Durchbeförderung zu dulden.“ (§ 74 a Satz 4), impliziert keine generalklauselartige Befugnis zur Anwendung von Verwaltungszwang (vgl. auch HK-AuslR/Kessler, § 74a Rn 8f.). Die zwangsweise Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen erfordert nach § 6 VwVG regelmäßig eine rechtmäßige Befugnisnorm, die ggf. in Eilfällen (sofortiger Zwang, § 6 Abs. 2 VwVG) ohne tatsächliche Verfügung durch den Beamten vollzogen werden kann. Mangels eigenständiger Befugnisse für die Durchbeförderung wären diese insbesondere im BPolG zu erblicken. Eine polizeiliche Aufforderung an den Durchzubefördernden sich nach Landung z.B. vom Rollfeld zum Bus und weiter zu bestimmten Bereichen im Terminal zu begeben könnte auf § 14 Abs. 1 BPolG (Generalermächtigung) gestützt werden. Die Weigerung des betroffenen Ausländers könnte notfalls (insbesondere unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit) mit Hilfe unmittelbaren Zwanges durchgesetzt werden. Sobald Zwangsmaßnahmen in Freiheitsentziehungen münden, ist die vorgenannte Problematik (Rn. 3f.) zu beachten (a.A. Melchior, a.a.O., der generell der Auffassung ist, das die Durchbeförderung, wenn der Betroffene nicht kraft eigener Einsicht reist, stets mit freiheitsentziehenden Maßnahmen einher geht. Nicht so das BVerwG, NJW 1982, 537, welches in der Durchführung der Abschiebung allein durch Anwendung einfachen unmittelbaren Zwangs keine Freiheitsentziehung erblickt; ausführlich dazu Winkelmann, ZAR 2007, 268).

7

Damit können derzeit keine Freiheitsentziehungen im Rahmen von angekündigten Durchbeförderung von Ausländern rechtstaatlich begründet werden (so auch Westphal in: Huber, § 74 a Rn. 3; Kessler, a.a.O., Rn. 9). Vorzugsweise wäre eine Ergänzung im IRG vorzunehmen, das in seinem dritten Teil das Durchlieferungsverfahrens in den §§ 43–47 regelt.

8

In Bezug auf die völkerrechtlichen Durchbeförderungsabkommen und die RL 2003/110/EG selbst lässt sich kein subjektives Recht des Betroffenen auf gerichtlichen Schutz herleiten. Art. 8 der RL berührt jedoch nicht die Verpflichtungen aus dem Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 in der Fassung des New Yorker Protokolls vom 31. Januar 1967, aus internationalen Übereinkünften über Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie aus internationalen Übereinkommen über die Auslieferung von Personen. Daraus lässt sich ein Antragsrecht auf einstweiligen Rechtsschutz gem. § 123 VwGO gegen die zentrale Behörde (nach § 74a S. 3 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 3 Nr. 1b BPolZV das Bundespolizeipräsidium in Potsdam) bei zuständigen VG begründen, soweit der Betroffene z.B. eine konkrete Verletzung des Refoulementverbotes befürchtet oder drohende Gewaltanwendung beklagt (vgl. Kessler, a.a.O., Rn. 17). Nach Erwägungsgrund 7 der RL darf gem. den geltenden internationalen Verpflichtungen sollte eine Durchbeförderung auf dem Luftweg weder beantragt noch genehmigt werden, wenn dem Drittstaatsangehörigen im Ziel- oder Transitdrittland die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, Folter oder die Todesstrafe droht oder sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Überzeugung bedroht wäre. Eine Verletzung von Art 104 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GG durch ungerechtfertige Freiheitsentziehung wegen des Mangels an einfachgesetzlicher Grundlage muss beim zuständigen AG anhängig gemacht werden (§ 428 Abs. 2 FamFG). Nach § 416 FamFG ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sonst das Gericht, in dessen Bezirk das Bedürfnis für die Freiheitsentziehung entsteht.

> Top