III. Passpflicht

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Die Passpflicht ist von der Pflicht, einen Aufenthaltstitel (§ 4 Abs. 1) oder bei der Einreise ein Visum (VO (EG) Nr. 539/2001) zu besitzen, zu unterscheiden. Der Pass ersetzt den notwendigen Aufenthaltstitel nicht. Pass und Aufenthaltstitel sind unabhängige Dokumente, auch wenn der Aufenthaltstitel überwiegend in den Pass eingeklebt wird (Erteilung als separate Karte mit Lichtbild möglich: vgl. Liste von Aufenthaltstiteln gemäß Art. 2 Nr. 15 SGK. Wird der Pass ungültig (etwa durch Zeitablauf), so berührt dies nicht die Gültigkeit des Aufenthaltstitels (ebenso Westphal/Stoppa, a.a.O., S. 124). Etwas anderes kann gelten, wenn die Gesamturkunde so verändert wird, dass auch dem Aufenthaltstitel ein neuer Inhalt, etwa durch Einfügen einer neuen Identität, beigelegt wird. Handelt es sich um fiktive Personendaten, so führt dies ggf. zur Nichtigkeit des Aufenthaltstitels nach § 44 Abs. 1 VwVfG.

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Passpflicht besteht nicht für Personen, auf die das AufenthG nicht anzuwenden ist (§ 1 Abs. 2 AufenthG). Staatsoberhäupter benötigen nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen auch bei Privatreisen keinen Pass. Angehörige des diplomatischen und konsularischen Dienstes i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG sind nicht von der Passpflicht befreit.

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Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihnen gleichgestellte Personen (EWR-Staatsangehörige) unterliegen nicht der Passpflicht, sondern nur der Ausweispflicht nach § 8 FreizügG/EU (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU). Bei einem Verstoß liegt eine Ordnungswidrigkeit vor (§ 10 FreizügG/EU), keine Straftat (zur Unverhältnismäßigkeit der Ahndung des Nichtbesitzes eines Ausweises bei Unionsbürgern vgl. EuGH, U. v. 30.4.1998 – Rs. C-24/97 –, Kommission vs. Deutschland).

iconEuGH, U. v. 30.04.1998 – Rs. C-24/97 – Kommission vs. Deutschland

Der Nichtbesitz eines Ausweises führt nicht zur Illegalität des Aufenthalts und berechtigt nicht zu dessen Beendigung (Art. 5 Abs. 4, 15 Abs. 2 RL 2004/38/EG). Schweizer Bürger unterfallen nicht dem FreizügG/EU. Eine subsidiäre Anwendung der Vorschriften aus dem § 98 AufenthG ist unter Beachtung der Freizügigkeitsrechte (insbesondere unter Beachtung des Diskriminierungsverbots in Bezug auf den Grad der Vorwerfbarkeit sowie der Sanktionshöhe) möglich. Das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz sieht selbst keine Sanktionen gegen passrechtliche Vorschriften vor (so auch Westphal/Stoppa, a.a.O., S. 789).

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Die Ermächtigungen des BMI zur Befreiung von der Passpflicht und zur Einführung eigener und zur Zulassung anderer amtlicher Ausweise als Passersatz (§ 99 Abs. 1 Nr. 4-6 AufenthG) sind hinreichend bestimmt (Art. 80 Abs. 1 GG) und auch auf Unionsbürger anzuwenden (§ 11 Abs. 1 FreizügG/EU). Von ihnen hat das BMI in den §§ 2 ff AufenthV Gebrauch gemacht (dazu Maor, a.a.O.; zu den Passersatzpapieren, vgl. Rn 12 ff).

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Befreiungen gelten einmal in begründeten Einzelfällen aufgrund einer Anordnung des BMI (§ 3 Abs. 2 AufenthG) und außerdem für Rettungsflug- und Begleitpersonal und Katastrophenhelfer (§ 14 AufenthV). Andere Personengruppen sind derzeit nicht von der Passpflicht allgemein befreit.

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Die Passpflicht kann der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland notfalls mit einem Ausweisersatz erfüllen, der den Anforderungen des § 48 Abs. 2 AufenthG genügt oder mit Passersatzpapieren (§§ 3, 4 AufenthV), z.B. mit einem Reiseausweis nach Art. 28 GFK oder Art. 28 Staatenlosenübereinkommen. § 3 Abs. 1 Satz 2 AufenthG hat klarstellenden Charakter. Die Regelung lässt die Verpflichtung zur Passbeschaffung nach § 48 Abs. 3 AufenthG und die Pflichten nach § 56 AufenthV unberührt. Der Ausweisersatz berechtigt nicht zum Grenzübertritt und ist folglich nicht in § 4 AufenthV (von deutschen Behörden ausgestellte Passersatzpapiere) aufgeführt. Bei Ausländern unter 16 Jahren reicht die Eintragung in den Pass des gesetzlichen Vertreters aus; vom zehnten Lebensjahr an muss ein eigenes Lichtbild des Kindes im Pass oder Passersatz angebracht sein (§ 2 AufenthV). Für Asylbewerber gelten die Sonderegelungen der §§ 15 Abs. 2 Nr. 4; 21 Abs. 1 und 5; 50 Abs. 6; 64 Abs. 1, 65 AsylVfG über die Abgabe des Passes und die Erfüllung der Ausweispflicht durch die Aufenthaltsgestattung.

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Besitz eines Passes oder Ausweises ist nicht gleichbedeutend mit Mitführen oder Vorlegen. Es genügt, wenn der Ausländer die Sachherrschaft über den Pass i.S.d. § 868 BGB ausübt (vgl. HessVGH, B. v. 19.11.2003 – 12 TG 2668/03 – InfAuslR 2004, 141) und den Besitz in angemessener Frist nachweist. Dies kann außer durch Vorlage auch durch Übermittlung per Fax oder von (möglichst beglaubigten) Ablichtungen geschehen. Besitz bedeutet daher grds. nicht, dass der Pass von dem Ausländer ständig mitgeführt werden muss. Durch eine ihrer Natur nach vorübergehende Verhinderung der Aufgabe der Gewalt wird der Besitz nicht beendigt (§ 856 Abs. 2 BGB); Aufgabe oder Verlieren in anderer Weise liegt vor bei erkennbaren und willentlichen Handlungen wie z.B. das Vernichten oder durch Unterlassung der Mitwirkung bei Wiederbeschaffung sowie bei Verlieren, Diebstahl oder Verlegung. Deshalb liegt ein Verstoß gegen die Passpflicht nicht schon deshalb vor, weil der Pass in einem anderen Staat vor Reiseantritt zu Hause vergessen wurde oder bei der Auslandsvertretung oder sonstiger zuständiger Behörden hinterlegt wurde. Die Mitführungspflicht, die insbesondere bei Grenzübertritt nach § 13 Abs. 1 Satz 2 AufenthG besteht, ist aber von der Besitzpflicht zu unterscheiden. Zu beachten ist hier nämlich eine schengenrechtliche Implikation: Nach Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2a SDÜ können Drittausländer, die Inhaber eines gültigen von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitel sind oder die Inhaber eines von einem der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 18 erteilten gültigen Visums für den längerfristigen Aufenthalt sind, sich aufgrund dieses Dokumentes und eines gültigen Reisedokumentes höchstens bis zu 3 Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen, soweit sie die in Art. 5 Abs. 1 a, c, und e SGK aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen. Das Recht aus Art. 21 Abs. 1 SDÜ steht dem Drittausländer nur dann zu, wenn er u.a. die Einreisevoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1a SGK erfüllt. Zusätzlich reicht für die Inanspruchnahme des Rechtes aus Art. 21 Abs. 1 SDÜ nicht schon der bloße Besitz eines Reisepasses aus. In Art. 21 Abs.1 SDÜ ist ausdrücklich davon die Rede, dass die Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels/nationalen Visums sich aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokumentes höchstens bis zu 3 Monaten freiem Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen können, soweit sie die in Art. 5 Abs. 1a SGK aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen. Diese Forderung wird in den insoweit vergleichbaren Regelungen der Art. 19 und 20 SDÜ nicht aufgestellt (vgl. VG Frankfurt, B. v. 09.04.2002 – 1 G 790/02(V); U. v. 21.07.2004 – 1 E 2479/04)

iconVG Frankfurt, B. v. 09.04.2002 – 1 G 790/02 (V)) –; U. v. 21.07.2004 – 1 E 2479/04 –

Der Ausländer muss daher das Grenzübertrittspapier im Bundesgebiet besitzen (vgl. Nr. 95.1.1.2 u 95.1.2.1.1 AVwV-AufenthG). Der Nichtbesitz führt hier zum Erlöschen des schengenrechtlichen Reiserechts von Anfang an, mit der Folge, dass der Ausländer wegen der Nichterfüllung von § 4 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig wird, da der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte Aufenthaltstitel oder das von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte nationale Visum keinen Aufenthaltstitel nach deutschem Recht darstellt.

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Es muss sich um einen noch gültigen Pass handeln. Hieran fehlt es, wenn der Pass durch Manipulationen nicht mehr die Gültigkeitsanforderungen erfüllt. Der Besitz an einem Pass geht verloren, wenn der Inhaber die tatsächliche Gewalt aufgibt (z.B. Vernichtung des Passes, Wegwerfen) oder in anderer Weise die tatsächliche Sachherrschaft verliert (z.B. Verlust des Passes). Nicht ungültig wird der Pass durch Wechsel der Wohnanschrift, Wechsel des Familiennamens durch Eheschließung (Stoppa in: Huber (Hrsg.), AufenthG, § 95 Rn 18) oder Verwendung im Sinne der zwei- und mehrseitigen Abkommen über die Weitergeltung von abgelaufenen Pässen. Das Ablaufen eines Passes führt im zuletzt genannten Fall nicht automatisch dazu, dass sie ihre Funktion verlieren. Denn Deutschland ist Vertragspartei von sechs Abkommen, die u.a. die Weitergeltung abgelaufener Pässe regeln (ausführlich hierzu Westphal/Stoppa, a.a.O., S. 137 f). Hierzu gehört das Europäische Abkommen über die Regelung des Personenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats vom 13.12.1957 (BGBl. 1959 II, 389, 395. Einzelheiten unter http://conventions.coe.int., Vertragsbüro, Vertragsnummer 025)

iconEuropäisches Übereinkommen über die Regelung des Personenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats

mit Regelungen über abgelaufene Pässe für Belgien, Deutschland, Österreich, Frankreich, Luxemburg, Schweiz, Portugal und Spanien. Ziel des Abkommens ist es, die Reisen von Staatsangehörigen der Vertragsparteien zu erleichtern, die mit einem in der Anlage zu diesem Abkommen aufgeführten Pass oder Ausweis über alle Grenzen in das Hoheitsgebiet der anderen Parteien einreisen und von dort ausreisen können. Jede Vertragspartei gestattet ohne Förmlichkeit dem Inhaber eines solchen Passes oder Ausweises die Wiedereinreise in ihr Hoheitsgebiet, auch wenn die Staatsangehörigkeit des Betreffenden strittig ist. Die vorgesehenen Erleichterungen gelten nur für einen Aufenthalt von höchstens drei Monaten und ohne Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Das Abkommen regelt für die Bundesrepublik Deutschland u.a., dass für die Einreise nur ein seit weniger als einem Jahr abgelaufener Reisepass oder Kinderausweis der Bundesrepublik Deutschland erforderlich ist. Dieses Abkommen beeinträchtigt nicht die jetzt oder in Zukunft geltenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und zwei- oder mehrseitigen Verträge oder Abkommen, die den Staatsangehörigen anderer Vertragsparteien hinsichtlich des Grenzübertritts eine günstigere Behandlung gewähren. Günstigere Regelungen finden sich z.T. in zweiseitigen Abkommen, die die Bundesrepublik Deutschland mit Monaco (GMBl. 1959 S. 287 und 1960 S. 75.), Luxemburg (GMBl. 1956 S. 357.), der Schweiz (GMBl. 1956 S. 356.), Liechtenstein (GMBl. 1956 S. 356.), den Niederlanden (GMBl. 1958 S. 191.) und Österreich (BGBl. 1969 II S. 1457.) geschlossen hat. Staatsangehörige der vorgenannten Vertragsstaaten können z.T. mit bis zu fünf Jahre abgelaufenen Pässen in das Bundesgebiet einreisen.

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