Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG)

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Es bedarf mithin der positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs und des zur Verfügung stehenden Einkommens seit dem 1. Januar 2005 bei erwerbsfähigen Ausländern im Grundsatz nach den entsprechenden Bestimmungen des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches - SGB II -. Erstrebt ein erwerbsfähiger Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zum Zusammenleben mit seinen Familienangehörigen in einer häuslichen Gemeinschaft oder lebt er bereits in einer solchen, so gelten für die Berechnung seines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II grundsätzlich die Regeln über die Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 SGB II.

BVerwG, U. v. 16.11.2010 – 1 C 20/09 –, InfAuslR 2011, 144 = AuAS 2011, 62

Somit scheidet eine isolierte Betrachtung des Hilfebedarfs für jedes Einzelmitglied der familiären Gemeinschaft aus. Vielmehr gilt in einer Bedarfsgemeinschaft, wenn deren gesamter Bedarf nicht gedeckt werden kann, jede Person im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II). Insofern ergibt sich schon aus der Regelung in § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, dass im Aufenthaltsrecht die Sicherung des Lebensunterhalts des erwerbsfähigen Ausländers allgemein den Lebensunterhalt des mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden Ehepartners und der unverheirateten Kinder bis zum 25. Lebensjahr umfasst.

BVerwG, U. v. 16.11.2010 – 1 C 20/09 –, InfAuslR 2011, 144 = AuAS 2011, 62

Im Bereich des Familiennachzugs zeigt - unabhängig von weiteren allgemeinen Erwägungen - auch die in § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG getroffene Regelung, dass bei der Sicherung des Lebensunterhalts auf den Gesamtbedarf der Kernfamilie des Ausländers abzustellen ist. Nach dieser Vorschrift werden bei der Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug "Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt". Wie diese Bestimmung zu verstehen ist, ist zwar im Einzelnen umstritten. Das Bundesverwaltungsgericht lässt zum Einen offen, ob unter Familienangehörige im Sinne dieser Vorschrift - entsprechend der Terminologie in den Bestimmungen zum Familiennachzug - (auch) der nachziehende Familienangehörige fällt (so Hailbronner, AuslR, § 2 AufenthG, Stand April 2008, Rn. 41) oder ob darunter nur sonstige Familienangehörige fallen. Zum Anderen bleibt offen, ob mit Beiträgen im Sinne dieser Vorschrift sämtliche Einkünfte des Familienangehörigen oder nur die den eigenen Bedarf übersteigenden Einkünfte gemeint sind.

BVerwG, U. v. 16.11.2010 – 1 C 20/09 –, InfAuslR 2011, 144 = AuAS 2011, 62

Jedenfalls macht die Verwendung des Begriffs "Haushaltseinkommen" deutlich, dass der Gesetzgeber insoweit von einer einheitlichen Betrachtung der häuslichen Familiengemeinschaft ausgeht. Dies entspricht auch den Bestimmungen der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG), die mit dem Aufenthaltsgesetz umgesetzt werden sollte. Nach deren Art. 7 Abs. 1 Buchst. c können die Mitgliedstaaten verlangen, dass der sich in dem Mitgliedstaat aufhaltende Zusammenführende über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen. Auch die Richtlinie geht insoweit von einer familieneinheitlichen Betrachtung aus (vgl. auch Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie). Die historische Auslegung spricht ebenfalls dafür, dass der Gesetzgeber an dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts mit Blick auf die schon vor der Neuregelung maßgebliche Familiengemeinschaft festhalten wollte. Bereits nach dem Ausländergesetz 1990 war jedenfalls beim Familiennachzug nicht allein auf den Nachziehenden, sondern in erster Linie auf die wirtschaftliche Situation des Stammberechtigten und seiner Familie abzustellen. Eine Berücksichtigung der Erwerbseinkünfte des nachziehenden Familienangehörigen selbst war nur in besonderen Härtefällen unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Auch in diesen Fällen musste aber der Lebensunterhalt der Familie insgesamt gesichert sein (§ 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG 1990).

BVerwG, U. v. 16.11.2010 – 1 C 20/09 –, InfAuslR 2011, 144 = AuAS 2011, 62

Bei der Frage, ob eine Ausnahme von der Regelvoraussetzung der Unterhaltssicherung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu bejahen ist, sind die in Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta enthaltenen Wertentscheidungen zugunsten der Familie zu berücksichtigen. Damit müssen Ausnahmen vom Familiennachzug unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausgelegt werden. Insbesondere darf der Umstand, dass der Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis anstrebt, seinen eigenen Unterhaltsbedarf in Deutschland decken kann, nicht unberücksichtigt bleiben.

BVerwG, U. v. 16.11.2010 – 1 C 20/09 –, InfAuslR 2011, 144 = AuAS 2011, 62

Dies muss erst recht gelten in den Fällen des Ehegattennachzugs, in denen nach § 30 Abs. 3 AufenthG von der Voraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts (der Bedarfsgemeinschaft) im Ermessenswege abgesehen werden kann und in denen der den Aufenthaltstitel anstrebende Ausländer den deutlich höheren Beitrag zur Sicherung des Lebensunterhalts der Bedarfsgemeinschaft leistet. Im Übrigen kommt bei der Ermessensausübung nach § 30 Abs. 3 AufenthG nach der Wertung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 82) dem Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft, die rechtmäßig im Bundesgebiet geführt wird, ein besonderes Gewicht zu. Das Ermessen ist am Wert der ehelichen Lebensgemeinschaft und dem nach Art. 6 GG gebotenen Schutz des Ehelebens im Inland auszurichten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang, für welche Dauer und aus welchen Gründen der notwendige Unterhalt nicht zur Verfügung steht. Eine Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis kommt etwa in Betracht, wenn der Ausländer und/oder sein Ehegatte keine Anstrengungen unternehmen, den Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen (vgl. zum Ganzen: NdsOVG, Beschl. v. 20.08.2008 – 11 ME 1/08 –, AuAS 2008, 257).

OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 04.05.2011 – 2 M 44/11 –, juris