Mit Stellung eines Asylantrags geht die Prüfverantwortung für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG gemäß § 24 Abs. 2 AsylG von der Ausländerbehörde auf das Bundesamt über.

BVerwG, U. v. 27.05.2021 - 1 C 6.20 - Rn. 12

Damit erstreckt sich die Zuständigkeit des Bundesamts über die primären Verfahrensgegenstände eines Asylverfahrens nach § 31 Abs. 2 AsylG (Asyl, Flüchtlingsschutz und subsidiärer Schutz) hinaus auch auf die - an sich originär ausländerrechtliche - Prüfung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.

BVerwG, U. v. 27.05.2021 - 1 C 6.20 - Rn. 12

Inhalt und Grenzen der Entscheidungsbefugnis des Bundesamts ergeben sich aus § 31 Abs. 3 und 5 und § 32 AsylG. Nach dem dort festgelegten (objektivrechtlichen) „Entscheidungsprogramm“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2017 - 1 C 10.17 - Buchholz 402.251 § 31 AsylG Nr. 2 Rn. 16) muss das Bundesamt abhängig vom Ergebnis der Prüfung des eigentlichen Asylantrags sowie im Falle der Antragsrücknahme oder des Verzichts auch über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach nationalem Recht entscheiden.

BVerwG, U. v. 27.05.2021 - 1 C 6.20 - Rn. 12

Nach der Grundregel des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG hat das Bundesamt sowohl bei zulässigen als auch bei unzulässigen Asylanträgen und selbst bei Vorliegen eines Nichtantrags, der nach § 30 Abs. 5 AsylG als (offensichtlich) unbegründeter Asylantrag gilt, über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach nationalem Recht zu entscheiden. Dabei bezieht sich die nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG zu treffende Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen, in den Fällen unzulässiger Asylanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AsylG nicht auf den Herkunftsstaat des Asylbewerbers, sondern auf den Zielstaat der Abschiebung bzw. Überstellung (BVerwG, Beschluss vom 3. April 2017 - 1 C 9.16 - Buchholz 402.251 § 31 AsylG Nr. 1 Rn. 9). Dies stellt sicher, dass eine ggf. zu erlassende Rückführungs- oder Überstellungsentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG oder einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ohne Verletzung des konventionsrechtlichen Refoulementverbots (Art. 33 GK) oder grund- und menschenrechtlicher Garantien (insbesondere aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 EMRK) ergeht. Eine solche „Vorratsentscheidung“ ist - abgesehen von den ausdrücklich im Gesetz genannten Fällen - auch dann nicht entbehrlich, wenn aus tatsächlichen Gründen (z.B. wegen zielstaatsunabhängiger Duldungsgründe) wenig Aussicht auf Durchsetzung der Ausreisepflicht besteht. Insoweit dient § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG dem gesetzgeberischen Ziel, Asylverfahren zu konzentrieren und zu beschleunigen, um im Falle der Ablehnung des Asylbegehrens die Aufenthaltsbeendigung ohne weitere Verzögerungen durchsetzen zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2003 - 1 C 21.02 - BVerwGE 118, 308 <311 f.> zu § 53 AuslG).

BVerwG, U. v. 27.05.2021 - 1 C 6.20 - Rn. 13

Von der nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG an sich gebotenen Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten kann nach Satz 2 abgesehen werden, wenn der Betroffene als Asylberechtigter anerkannt oder ihm internationaler Schutz zuerkannt wird. Beruht die Anerkennung als Asylberechtigter auf § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG (Familienasyl) bzw. die Zuerkennung internationalen Schutzes auf § 26 Abs. 5 AsylG (internationaler Schutz für Familienangehörige), verdichtet sich das Ermessen nach § 31 Abs. 5 AsylG und soll von der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abgesehen werden.

BVerwG, U. v. 27.05.2021 - 1 C 6.20 - Rn. 14

 

 

Ein Schutzersuchen, das materiell dem internationalen Schutz zuzuordnen ist, kann nur beim Bundesamt in einem Asylverfahren geltend gemacht werden.

BVerwG, U. v. 26.09.2019 - 1 C 30.17 - Rn. 22

Ein Antragsteller ist zwingend auf das Asylverfahren vor dem Bundesamt zu verweisen, wenn er sich auf Gefahren beruft, die ihrer Art nach objektiv geeignet sind, die Zuerkennung von Asyl oder Flüchtlingsschutz, aber auch lediglich von subsidiärem Schutz zu begründen. Ein Schutzersuchen, das materiell auf internationalen Schutz gerichtet ist, ist folglich immer als Asylantrag zu behandeln.

Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) hat sich mit Wirkung vom 1. Dezember 2013 die Aufgabenverteilung zwischen dem vom Bundesamt durchzuführenden Asylverfahren und der eigenen Prüfungskompetenz der Ausländerbehörde hinsichtlich zielstaatsbezogener Gefahren zugunsten des Asylverfahrens verschoben. Denn der Begriff des materiellen Asylantrags gemäß § 13 Abs. 1 und 2 AsylG umfasst seither auch das Begehren auf subsidiären Schutz.

BVerwG, U. v. 26.09.2019 - 1 C 30.17 - Rn. 23

§ 72 Abs. 2 AufenthG wird dadurch nicht obsolet, sondern behält einen - wenn auch geringen - Anwendungsbereich. Denn der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist zwar weitgehend, aber nicht vollständig deckungsgleich mit dem subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Er behält einen eigenen Anwendungsbereich unter anderem in Fällen, in denen eine drohende Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nicht von einem - für den subsidiären Schutz zwingend erforderlichen - Akteur im Sinne des § 4 Abs. 3, § 3c AsylG ausgeht

BVerwG, U. v. 26.09.2019 - 1 C 30.17 - Rn. 24

Derselbe Anwendungsbereich verbleibt für die nach (wirksamer) Rücknahme eines Asylantrags mit der Einstellung des Asylverfahrens gemäß § 32 Satz 1 AsylG zu treffende Feststellung, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. In allen Fällen, in denen geltend gemachte zielstaatsbezogene Gefahren grundsätzlich (auch) in den Anwendungsbereich des subsidiären Schutzes fallen, liegt hingegen ein materieller Asylantrag vor und ist der Ausländer zwingend auf das Asylverfahren beim Bundesamt zu verweisen.

BVerwG, U. v. 26.09.2019 - 1 C 30.17 - Rn. 24

Die Zuständigkeit der Ausländerbehörde setzt bei einer Asylantragsrücknahme die plausible Darlegung voraus, dass keine Schutzgründe (mehr) geltend gemacht werden sollen, die thematisch vom internationalen Schutz umfasst sind.

BVerwG, U. v. 26.09.2019 - 1 C 30.17 - Rn. 26

Mit der förmlichen Stellung eines Asylantrags gemäß § 14 AsylG erklärt ein Antragsteller sinngemäß, dass er solche Schutzgründe geltend machen will. An dieser Erklärung muss er sich in Ermangelung weiterer Angaben bis auf Weiteres festhalten lassen. Eine wirksame Rücknahme setzt dann die nachvollziehbare Darlegung voraus, dass und warum diese Einordnung seines Schutzbegehrens unzutreffend war oder sich die Schutzgründe nachträglich dergestalt verändert haben, dass sie nunmehr eindeutig nur unter den nationalen Abschiebungsschutz fallen können.

BVerwG, U. v. 26.09.2019 - 1 C 30.17 - Rn. 26