Sicherung des Lebensunterhalts
5.0 Allgemeines
5.0.1
§ 5 regelt die grundlegenden Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Diese Erteilungsgründe gelten mit Ausnahme von Absatz 1 Nummer 3 unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht oder nach Ermessen entschieden werden kann. Die Voraussetzungen des § 5 Absatz 1 gelten für alle Aufenthaltstitel, d. h. auch für das Visum und die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG. Die Voraussetzungen des § 5 Absatz 2 müssen bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG zusätzlich zu denjenigen erfüllt werden, die in § 5 Absatz 1 genannt sind. Der Umstand, dass es sich in den Fällen des Absatzes 1 um Regelerteilungsgründe handelt, hat zur Folge, dass ein Aufenthaltstitel nicht erteilt werden kann, wenn nicht feststellbar ist, ob der Erteilungsgrund vorliegt (objektive Beweislast). Bei der Darlegung der Voraussetzungen hat der Ausländer eine Mitwirkungspflicht gemäß § 82 Absatz 1, auf die ihn die Ausländerbehörde hinweisen soll (§ 82 Absatz 3).
5.0.2
Ausnahmen von diesen Erteilungsvoraussetzungen finden sich in § 5 Absatz 2 Satz 2, § 5 Absatz 3 sowie in speziellen Erteilungsvorschriften für bestimmte Aufenthaltszwecke. Darüber hinaus kann von einem Regelerteilungsgrund nur abgewichen werden, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der sich so sehr vom gesetzlichen Regeltatbestand unterscheidet, dass er das ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Regelerteilungsgrundes beseitigt. Dies ist anhand des Zwecks des Regeltatbestands zu ermitteln. Ein Fall unterscheidet sich demnach nicht bereits deshalb vom Regelfall, weil besondere, außergewöhnliche Umstände und Merkmale zu einer Abweichung von der Vielzahl gleich liegender Fälle führen. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass eine solche Abweichung die Anwendung des Regeltatbestandes nach seinem Sinn und Zweck unpassend oder grob unverhältnismäßig oder untunlich erscheinen lässt. Die Beurteilung, ob ein Regelerteilungsgrund eingreift, erfordert eine rechtlich gebundene Entscheidung, die einer uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt.
5.0.3
Das Europäische Fürsorgeabkommen vom 11. Dezember 1953 (BGBl. 1956 II S. 563/1958 II S. 18) und das Europäische Niederlassungsabkommen vom 13. Dezember 1959 (BGBl. 1959 II S. 998) schränken zwar die Ausweisung eines Ausländers ein, die sich daraus ergebende Schutzwirkung schließt jedoch nicht die Versagung der Verlängerung eines Aufenthaltstitels aus. Die Schutzwirkung dieser Verträge erstreckt sich nur auf bestehende Aufenthaltsrechte. Siehe hierzu auch Nummer 5.1.2.1.
5.1 Die Regelerteilungsvoraussetzungen nach Absatz 1
5.1.1.1
Die Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung dient dazu, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu vermeiden. Die Definition der Lebensunterhaltssicherung findet sich in § 2 Absatz 3 (vgl. Nummer 2.3). Allerdings soll dadurch auch verhindert werden, dass die Bundesrepublik Deutschland auf sonstige Weise einen finanziellen Nachteil erleidet. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Ausländer seinen Unterhalt dadurch bestreitet, dass er einer illegalen Beschäftigung nachgeht. Der Regelerteilungsgrund ist immer dann gegeben, wenn feststeht, dass der Ausländer seinen vollen, allgemeinen Lebensunterhalt abdecken kann. Hierzu kann die Verpflichtungserklärung eines Dritten nach § 68 als Nachweis verwendet werden (siehe auch Nummer 68 und Nummer 2.3.4.2).
5.1.1.2
Von der Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung kann nur bei Vorliegen besonderer, atypischer Umstände abgesehen werden, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, aber auch dann, wenn entweder aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Artikel 6 GG oder im Hinblick auf Artikel 8 EMRK (Schutz des Familienlebens) die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zwingend geboten ist. Solche Umstände können vorliegen, wenn die Herstellung der Lebensgemeinschaft im Herkunftsland im Einzelfall nicht möglich ist. Sie kommen auch dann in Betracht, wenn das nachzugsvermittelnde Familienmitglied Kinder deutscher Staatsangehörigkeit im Bundesgebiet hat. Denn in solchen Fällen ist auch das Recht der in Deutschland lebenden Familienangehörigen auf Umgang mit der Referenzperson zu berücksichtigen.
5.1.1a
Identität und Staatsangehörigkeit sind im Regelfall durch die Vorlage eines gültigen Passes oder Passersatzes nachgewiesen. Sofern ein solches Dokument nicht vorliegt, sind die Identität und Staatsangehörigkeit durch andere geeignete Mittel nachzuweisen (z. B. Geburtsurkunde, andere amtliche Dokumente). Als Drittausländer sind auch Personen zu behandeln, bei denen noch nicht geklärt ist, ob sie Deutsche (vgl. § 2 Absatz 1) bzw. Unionsbürger sind. Die zur Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit erforderlichen Maßnahmen nach § 49 Absatz 1 und 2 veranlasst grundsätzlich die Ausländerbehörde (vgl. § 71 Absatz 4). Deutsche Volkszugehörige, die einen Aufnahmebescheid und einen Registrierschein besitzen, sind insoweit nicht als Drittausländer zu behandeln.
5.1.2 Ausweisungsgrund
5.1.2.1
Es kommt darauf an, ob im Einzelfall die Voraussetzungen eines Ausweisungstatbestandes nach den §§ 53, 54 oder 55 (Ausweisungsgrund) objektiv vorliegen. Es wird nicht gefordert, dass der Ausländer auch ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden könnte. Daher ist keine hypothetische Prüfung durchzuführen, ob der Ausländer wegen des Ausweisungsgrundes ausgewiesen werden könnte oder würde, und ob der Ausweisung Schutzvorschriften entgegenstehen. Bei der Feststellung, ob ein Ausweisungsgrund vorliegt, ist daher unbeachtlich, ob die Ausweisungsbeschränkungen des § 56 gegeben sind, oder ob das im Europäischen Fürsorgeabkommen für den dort begünstigten Personenkreis geregelte Verbot der Ausweisung wegen Sozialhilfebedürftigkeit eingreift. Diese Regelung verbietet nämlich lediglich, dass an das Vorliegen des Ausweisungsgrundes nach § 55 Absatz 2 Nummer 6 die Rechtsfolge der Ausweisung geknüpft wird. Sie verpflichtet jedoch nicht, einem Ausländer, der Sozialhilfe in Anspruch nimmt, den Aufenthaltstitel zu erteilen oder zu verlängern.
5.1.2.2
Der Ausweisungsgrund ist nur beachtlich, wenn dadurch aktuell eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland i. S. v. §§ 53, 54 und 55 zu befürchten ist. Je gewichtiger der Ausweisungsgrund ist, umso weniger strenge Voraussetzungen sind an die Prüfung des weiteren Vorliegens einer Gefährdung zu stellen. Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54 und § 55 Absatz 2 Nummer 1 bis 3 liegen solange vor, wie eine Gefährdung fortbesteht. Längerfristige Obdachlosigkeit, Sozialhilfebezug und Inanspruchnahme von Erziehungshilfe (§ 55 Absatz 2 Nummer 5, 2. Alternative Nummer 6 und 7) können keine Grundlage für die Versagung bieten, wenn diese Umstände zwischenzeitlich weggefallen sind. Ein Ausweisungsgrund ist auch dann unbeachtlich, wenn er auf Grund einer Zusicherung der Ausländerbehörde verbraucht ist (Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes). Hingegen dürfen solche Zusagen nur gegeben werden, wenn eine Gefährdung der geschützten Rechtsgüter in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.
5.1.2.3.1
Da die Ausländerbehörden nach § 41 Absatz 1 Nummer 7 BZRG eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister verlangen können, sind Einträge im Bundeszentralregister und die ihnen zu Grunde liegenden Sachverhalte – insbesondere zu strafrechtlichen Verurteilungen, aber auch zu Suchvermerken im Zusammenhang mit noch nicht abgeschlossenen Strafverfahren – mit Ausnahme der in § 17 BZRG genannten Eintragungen und mit Ausnahme der Verurteilungen zu Jugendstrafe, bei denen der Strafmakel als beseitigt erklärt ist (vgl. § 41 Absatz 3 BZRG) – grundsätzlich bis zur Tilgung im Bundeszentralregister (Zweiter Teil, Vierter Abschnitt BZRG) verwertbar. Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen hingegen nach § 51 Absatz 1 BZRG nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden. Entscheidungen von Gerichten oder Ausländerbehörden, die im Zusammenhang mit der Tat oder der Verurteilung vor der Tilgung bereits ergangen sind, bleiben hingegen nach § 51 Absatz 2 BZRG unberührt. Nach § 52 Absatz 1 Nummer 1 BZRG darf die frühere Tat zudem auch nach der Tilgung berücksichtigt werden, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder dies zwingend gebietet. Hiervon ist im Zusammenhang mit § 5 Absatz 4 sowie § 54 Nummer 5 oder 5a regelmäßig auszugehen.
5.1.2.3.2
Zu beachten ist, dass ein Antragsteller im Visumverfahren und im Verfahren zur Beantragung eines Aufenthaltstitels sich nach § 53 Absatz 1 BZRG als unbestraft bezeichnen darf und den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu offenbaren braucht, wenn die Verurteilung entweder nicht in ein Führungszeugnis oder nur in ein Führungszeugnis für Behörden aufzunehmen ist oder aus dem Bundeszentralregister zu tilgen ist. Von der Pflicht zur Offenbarung von Verurteilungen, die zwar nicht zu tilgen sind, aber nicht in ein Führungszeugnis aufgenommen werden, ist der Betroffene nach § 53 Absatz 2 BZRG gegenüber Behörden, die zu einer unbeschränkten Auskunft aus dem Bundeszentralregister befugt sind, nur dann nicht befreit, wenn eine entsprechende Belehrung erfolgt ist. Eine entsprechende Bestätigung der Belehrung – auch im Hinblick auf § 55 Absatz 2 Nummer 1 – ist stets zu erteilen. Sie kann wie folgt lauten:
„In § 55 Absatz 2 Nummer 1 AufenthG ist bestimmt, dass ein Ausländer/eine Ausländerin aus Deutschland ausgewiesen werden kann, wenn er/sie im Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels falsche Angaben zum Zwecke der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemacht hat. Der Antragsteller/ die Antragstellerin ist verpflichtet, alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Bewusste Falschangaben können zur Folge haben, dass der Antrag abgelehnt wird bzw. die Antragstellerin/der Antragsteller aus Deutschland ausgewiesen wird, sofern ein Aufenthaltstitel bereits erteilt wurde.
Die Behörde darf nach den Vorschriften des BZRG eine unbeschränkte Auskunft über die im Bundeszentralregistergesetz eingetragenen und nicht zu tilgenden strafrechtlichen Verurteilungen einholen, auch wenn diese nicht mehr in Führungszeugnisse aufgenommen werden. Daher ist ein Antragsteller verpflichtet, auch strafrechtliche Verurteilungen, die zwar nicht zu tilgen sind, aber nicht in ein Führungszeugnis aufgenommen werden, anzugeben.
Durch die Unterschrift bestätigt die Antragstellerin/ der Antragsteller, dass er/sie über die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben im Verfahren belehrt worden ist.“
5.1.2.4
Für ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des Fehlens eines Ausweisungsgrundes können im Hinblick auf verfassungsrechtliche Vorgaben die nachfolgenden, nicht abschließenden Gesichtspunkte maßgebend sein. Sie kommen insbesondere bei der Ermessensausübung über ein Absehen beim Familiennachzug nach § 27 Absatz 3 Satz 2 in Betracht:
5.1.3 Beeinträchtigung oder Gefährdung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland
5.1.3.1
Der Begriff der Interessen der Bundesrepublik Deutschland umfasst in einem weiten Sinne sämtliche öffentlichen Interessen. Der Regelversagungsgrund fordert nicht die Beeinträchtigung oder Gefährdung eines „erheblichen“ öffentlichen Interesses (vgl. im Gegensatz hierzu § 55 Absatz 1). Eine Gefährdung öffentlicher Interessen ist anzunehmen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Aufenthalt des betreffenden Ausländers im Bundesgebiet öffentliche Interessen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit beeinträchtigen wird. Allgemeine entwicklungspolitische Interessen erfüllen an sich allein diese Anforderungen nicht. Die Ausländerbehörde hat unter Berücksichtigung des bisherigen Werdegangs des Ausländers eine Prognoseentscheidung zu treffen.
5.1.3.2.1
Zu den in § 5 Absatz 1 Nummer 3 genannten Interessen gehört auch das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Aufenthaltsrechts einschließlich der Einreisevorschriften, um insbesondere dem Hineinwachsen in einen vom Gesetz verwehrten Daueraufenthalt in Deutschland vorzubeugen. Die die Einreise und den Aufenthalt regelnden Vorschriften konkretisieren die allgemeine Zweckbestimmung des Aufenthaltsgesetzes, den Zuzug von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland zu steuern und zu begrenzen (§ 1 Absatz 1 Satz 1). Das vorgenannte Interesse ist grundsätzlich verletzt, wenn der Ausländer in das Bundesgebiet einreist und sich die Art des von ihm beantragten und danach erteilten Aufenthaltstitels mit dem tatsächlichen Aufenthaltsgrund oder -zweck nicht deckt. Erhärtet sich der Verdacht der Begehung einer Straftat gemäß § 95 Absatz 2 Nummer 2 (unrichtige Angaben) mit der Folge, dass in der Person des Ausländers ein Ausweisungsgrund vorliegt, liegt auch die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Absatz 1 Nummer 2 nicht vor. Eine Gefährdung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland kann insbesondere angenommen werden, wenn das Ausländerrecht für den beabsichtigten Aufenthaltszweck des Ausländers im Regelfall keine legale Verwirklichungsmöglichkeit vorsieht und somit zu befürchten ist, dass der Ausländer den Aufenthaltszweck illegal erreichen will.
5.1.3.2.2.1
Einem Ausländer, dem nur vorübergehender Aufenthalt gewährt werden soll, darf kein Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn begründete Zweifel an der Möglichkeit oder der Bereitschaft zur Rückkehr in seinen Herkunftsstaat bestehen (zur Ablehnung eines Schengen-Visums wegen fehlender Rückkehrbereitschaft vgl. auch Nummer 6.1.3.1). Kann im Einzelfall die Rückkehrbereitschaft nicht festgestellt werden, ist die Erteilung eines Visums bereits tatbestandlich wegen des Fehlens der Regelerteilungsvoraussetzung ausgeschlossen (vgl. Nummer 6.1.3).
5.1.3.2.2.2
Diese Voraussetzung ist auch in Fällen der Beantragung eines Schengen- oder eines nationalen Visums zum Zweck eines Sprachkursbesuchs des Ehegatten eines Ausländers oder eines Deutschen von besonderer Bedeutung, mit dem der Ehegatte eines Ausländers oder Deutschen den Erwerb von Deutschkenntnissen zur Erfüllung der Voraussetzung des § 30 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 im Inland beabsichtigt.
5.1.3.2.3
Die Auslandsvertretungen prüfen im Wege der gebotenen Einzelfallbetrachtung die Rückkehrbereitschaft und -möglichkeit des Antragstellers unter Einbeziehung ihrer Erkenntnisse zum Herkunftsland. In die Prognoseentscheidung über die Rückkehrbereitschaft fließt das Bestehen eventueller individueller Abschiebungshindernisse im Herkunftsstaat mit ein.
5.1.3.3
Zu den öffentlichen Interessen i. S. v. § 5 Absatz 1 Nummer 3 gehört auch, die Verpflichtungen einzuhalten, die sich aus völkerrechtlichen Verträgen für die Vertragsstaaten ergeben. Für die Erteilung eines Schengen-Visums sind die Voraussetzungen des Artikels 5 Absatz 1 Schengener Grenzkodex maßgebend.
5.1.3.4
Zu den öffentlichen Interessen gehört auch die Vermeidung einer Belastung der öffentlichen Haushalte. Der Aufenthaltstitel ist daher regelmäßig zu versagen, wenn der Ausländer, insbesondere als ältere Person, keinen Krankenversicherungsschutz nachweist oder Rückkehrhilfen in Anspruch genommen hat. Bei älteren Ausländern muss das Risiko der Krankheit durch eine Versicherung oder im Einzelfall durch eine gleichwertige Absicherung, z. B. durch Abgabe einer Erklärung gemäß § 68 oder einer Bürgschaft, gedeckt sein (vgl. Nummer 68.1.2.2).
5.1.3.5.1
Zu den öffentlichen Interessen i. S. v. § 5 Absatz 1 Nummer 3 gehört die öffentliche Gesundheit. Der Schutz der öffentlichen Gesundheit umfasst die Verhinderung der Weiterverbreitung von übertragbaren Krankheiten beim Menschen. Als übertragbare Krankheiten kommen hier vor allem die in Artikel 29 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nummer 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/ 380/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/ EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365 EWG und 93/96/EWG (ABl. EU Nummer L 229 S. 35, so genannte Freizügigkeitsrichtlinie) genannten Krankheiten (siehe dazu Nummer 6.1.1.3 VwV-FreizügigG/EU) und Krankheiten mit klinisch schweren Verlaufsformen, die sich im Inland epidemisch verbreiten können, in Betracht. Erfasst sind Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige, Ausscheider (§ 2 IfSG) sowie sonstige Personen, die Krankheitserreger so in oder an sich tragen, dass im Einzelfall die Gefahr einer Weiterverbreitung besteht. Eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit besteht im Einzelfall nicht, wenn die Krankheit nachweislich nicht auf andere Menschen übertragen werden kann. Auch eine ordnungsgemäße Heilbehandlung einschließlich der Befolgung der erforderlichen Präventionsmaßnahmen schließt die Gefahr einer Weiterverbreitung der Krankheit weitgehend aus. Ein Regelversagungsgrund wegen Beeinträchtigung oder Gefährdung der öffentlichen Gesundheit ist daher nicht gegeben, wenn nachgewiesen wird, dass die Krankheit auch im Inland ordnungsgemäß unter Beachtung des Arztprivilegs nach § 24 IfSG behandelt werden wird und erforderliche Präventionsmaßnahmen befolgt werden. Ist eine Störung oder Gefährdung der öffentlichen Gesundheit auf das persönliche Verhalten des Ausländers zurückzuführen, liegt der Ausweisungsgrund des § 55 Absatz 2 Nummer 2 vor, so dass die Regelversagung auch auf § 5 Absatz 1 Nummer 2 gestützt werden kann.
5.1.3.5.2
Nicht übertragbare Krankheiten berühren zwar nicht die Gesundheit der Bevölkerung und stellen keinen Regelversagungsgrund dar; sie können jedoch öffentliche Belange anderer Art, insbesondere wegen der Notwendigkeit finanzieller Aufwendungen der Sozialversicherung oder öffentlicher Haushalte beeinträchtigen (siehe Nummer 5.1.1 f.). Insoweit kann die Regelerteilungsvoraussetzung des ausreichenden Krankenversicherungsschutzes nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 i.V.m. § 2 Absatz 3 Satz 1 fehlen.
5.1.3.5.3
Bei Vorliegen von Anhaltspunkten für die Gefährdung der öffentlichen Gesundheit kann die Ausländerbehörde die Vorlage eines Gesundheitszeugnisses verlangen, im Visumverfahren die Auslandsvertretung die Beibringung einer geeigneten und zuverlässigen ärztlichen Bescheinigung. Die Vorlage von Gesundheitszeugnissen für Angehörige bestimmter Ausländergruppen kann nur die oberste Landesbehörde anordnen.
5.1.3.6
Eine Beeinträchtigung öffentlicher Interessen liegt vor, wenn der Ausländer seinen Lebensunterhalt aus einer sittenwidrigen oder sozial unwerten Erwerbstätigkeit bestreitet. In diesen Fällen greift der Versagungsgrund jedoch nicht ein, wenn der Ausländer einen gesetzlichen Aufenthaltsanspruch hat oder das Diskriminierungsverbot nach Europäischem Gemeinschaftsrecht eine Inländergleichbehandlung gebietet. Die Ausübung der Prostitution beeinträchtigt öffentliche Interessen insbesondere dann stets, wenn sie in tatsächlicher wirtschaftlicher Abhängigkeit ausgeübt wird, selbst wenn diese Abhängigkeit nicht eine strafrechtliche Erheblichkeit aufweist. Soweit Ermessen eröffnet ist, ist zudem zu beachten, dass die Zulassung des Aufenthalts zum Zwecke der Ausübung der Prostitution, auch wenn sie legal erfolgt, nicht im migrationspolitischen Interesse liegt.
5.1.4 Erfüllung der Passpflicht
5.1.4.1
Der Regelerteilungsgrund der Erfüllung der Passpflicht dient neben der Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Ausländers auch dazu, die Rückkehrmöglichkeit des Ausländers in den Staat, der den Pass oder Passersatz ausgestellt hat, sicherzustellen (vgl. Nummer 3.0.8).
5.1.4.2
Gründe, die ausnahmsweise eine Abweichung von der Passpflicht rechtfertigen, sind außer den in § 5 Absatz 3 genannten Fällen etwa das Vorliegen eines Anspruchs auf Erteilung des Aufenthaltstitels, wenn der Ausländer sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen keinen Pass erlangen kann, oder sonstige begründete Einzelfälle.
5.1.4.3.1
Eine Erteilung von Aufenthaltstiteln ohne Vorliegen eines anerkannten Passes oder Passersatzpapiers soll erst nach einer umfassenden Überprüfung der zu befreienden Person, bei einem Voraufenthalt in Deutschland auch anhand des Bundeszentralregisters, erfolgen. Dies entspricht dem Charakter der Entscheidung als Ausnahmeentscheidung, die einen durch den Gesetzgeber als grundsätzlich zwingend ausgestalteten Grund für eine Versagung des Aufenthaltstitels – sogar in Fällen, in denen sonst ein Anspruch bestehen würde – durchbricht. Auch bei Bestehen eines Anspruchs kann auf das Vorhandensein eines ausreichenden Passes oder Passersatzes ausnahmsweise nur verzichtet werden, wenn an der Rückkehrwilligkeit, -bereitschaft und -berechtigung ausnahmsweise keine vernünftigen Zweifel bestehen, oder wenn ein Anspruch oder ein sehr gewichtiger Grund für die Begründung eines Daueraufenthalts besteht und keine Gründe ersichtlich sind, wonach in naher oder mittlerer Zukunft mit einer Aufenthaltsbeendigung oder der Verwirklichung von Ausweisungstatbeständen zu rechnen ist. In aller Regel kann demnach beim Vorliegen von Vorstrafen in derartigen Fällen kein Aufenthaltstitel erteilt werden, insbesondere wenn es sich um erheblichere oder Rohheitsdelikte handelt. Bei der Entscheidung sind wegen der im Ergebnis entfallenden Rückführungsmöglichkeit bei Passlosigkeit auch allgemeine migrationspolitische Erwägungen verstärkt zu berücksichtigen. Im Ergebnis muss verhindert werden, dass in gleicher Lebenslage bei Passlosigkeit ein wegen der fehlenden Rückführungsmöglichkeit sichererer Aufenthalt gegeben ist als bei Vorhandensein eines Passes.
5.1.4.3.2
Ausnahmen von der Passpflicht vor der Einreise des Ausländers richten sich nach § 3 Absatz 2. Das Bundesministerium des Innern entscheidet über die Ausnahme von der Passpflicht in einem selbständigen Verwaltungsverfahren und ist dabei nicht an Entscheidungen oder Zusagen anderer Behörden gebunden. Die Ausnahme vom Regelerteilungsgrund der Passpflicht hat lediglich zur Folge, dass trotz der Nichterfüllung der Passpflicht ein Aufenthaltstitel erteilt wird. Sie befreit den Ausländer jedoch nicht davon, sich um die Erfüllung der nach § 3 Absatz 1 weiterhin bestehenden Passpflicht zu bemühen. Die Pflichten nach § 48 Absatz 3 gelten weiterhin. Ihre schuldhafte Nichterfüllung ist gemäß § 98 Absatz 2 Nummer 3 bußgeldbewehrt. Sofern der Ausländer keinen Pass oder Passersatz besitzt (insbesondere keinen Reiseausweis für Flüchtlinge) und ein Pass oder Passersatz trotz entsprechend nachgewiesener erfolgloser Bemühungen nicht innerhalb von zwei Monaten erlangt werden kann, ist mit dem Aufenthaltstitel ein Ausweisersatz auszustellen.
5.2 Erteilungsvoraussetzungen der Aufenthaltserlaubnis und der Niederlassungserlaubnis
5.2.1
§ 5 Absatz 2 bestimmt als weitere Voraussetzung für die Erteilung der längerfristigen oder dauerhaften Aufenthaltstitel, dass das Visumverfahren nicht nur ordnungsgemäß, sondern auch unter vollständiger Angabe insbesondere des Aufenthaltszwecks durchgeführt worden sein muss. Auf diese Weise soll die Einhaltung des Visumverfahrens als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung gewährleistet werden.
5.2.1.1
Die Voraussetzung kommt nur zum Tragen, wenn ein Visum erforderlich ist. Dies ist nicht der Fall, soweit der Ausländer gemäß §§ 39 bis 41 AufenthV den Aufenthaltstitel nach der Einreise einholen darf (siehe hierzu im Falle der Eheschließung auch Nummer 30.0.1 f.).
5.2.1.2
Einem Ausländer, der bereits eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und deren Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels begehrt, kann bei dieser Gelegenheit ein früherer Visumverstoß nicht mehr vorgehalten werden.
5.2.2.1
Von der Einhaltung des Visumverfahrens kann im Einzelfall abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt- EG erfüllt sind. Damit soll in Fällen, in denen die materielle Prüfung der Ausländerbehörde bereits zu Gunsten des Ausländers abgeschlossen ist, vermieden werden, dass das Visumverfahren lediglich als leere Förmlichkeit durchgeführt werden muss. Dies ist jedoch insbesondere dann nicht der Fall, wenn es Gründe dafür gibt, das Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, z. B. das Bestehen einer wirksamen Ehe, in Zweifel zu ziehen. Es ist auch mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Artikel 6 GG grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (siehe aber Nummer 5.2.3). Einem mit einem Visum zu einem anderen Aufenthaltszweck eingereisten Ehegatten kann ein Aufenthaltszweckwechsel zum Ehegattennachzug nicht gestattet werden, wenn der Ehegattennachzug auch bei Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen vom Nachweis der einfachen Deutschkenntnisse nach § 30 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und § 28 Absatz 1 Satz 5 abhängig ist, da der Ehegatte nach Sinn und Zweck des § 30 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 die einfachen Deutschkenntnisse bereits vor dem Zuzug nach Deutschland bei der Erteilung des nationalen Visums zum Ehegattennachzug nachweisen soll.
5.2.2.2
Im Rahmen der nach § 5 Absatz 2 Satz 2 zu treffenden Ermessensentscheidung ist ein erheblicher öffentlicher Belang, dass aus generalpräventiven Gründen im Falle des gezielten Versuchs einer Umgehung der Erteilungsvoraussetzungen für ein nationales Visum die Nachholung des Visumverfahrens als Steuerungsinstrument vor der Einreise gefordert wird. Häufig sind allein die Auslandsvertretungen im Visumverfahren in der Lage, anhand der Gegebenheiten im jeweiligen Herkunftsland das Vorliegen bestimmter Erteilungsvoraussetzungen (z. B. sozial-familiäre Verwurzelung hinsichtlich der Rückkehrbereitschaft, Mittel zur Lebensunterhaltssicherung, persönliche Voraussetzungen bei Anträgen zu Erwerbs- oder Studienaufenthalten) zu beurteilen. Es widerspräche darüber hinaus dem gesetzlichen Ziel der Steuerung der Zuwanderung nach § 1, einen weiteren Aufenthalt im Inland während der notwendigen Bearbeitung des Antrags zum Aufenthaltszweckwechsel zu gestatten, wenn der Antrag auf weiteren Aufenthalt im Einzelfall letztlich versagt werden muss.
5.2.2.3
Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels i. S. d. Aufenthaltsgesetzes ist nicht anzunehmen, wenn ein Aufenthaltstitel auf Grund einer Ermessensreduzierung auf Null erteilt werden muss, ohne dass ein Anspruch entstanden ist. Dies ist vielmehr im Rahmen der Regelung besonderer Gründe des Einzelfalls nach § 5 Absatz 2 Satz 2, 2. Alternative zu berücksichtigen.
5.2.3
In Ermessensfällen kann von der Nachholung des Visumverfahrens abgesehen werden, wenn sie auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn
Die Kosten der Reise für die Nachholung des Visumverfahrens im Herkunftsland sind für sich allein keine solchen besonderen Umstände. Liegen im Einzelfall besondere Umstände vor, so soll die Ausländerbehörde von ihrem Ermessen insbesondere Gebrauch machen, wenn sie im Einzelfall über den Antrag zum Aufenthaltszweckwechsel sachlich ohne eine Beteiligung der Auslandsvertretung entscheiden kann und der Antrag nicht offensichtlich unbegründet ist. Dies dient auch dazu, eine Nachholung des Visumverfahrens durch Ermächtigung der grenznahen Auslandsvertretungen zu vermeiden.
5.3 Ausnahmeregelungen
5.3.0.1
In vielen Fällen der Aufenthaltsgewährung aus völkerrechtlichen, humanitären und politischen Gründen kann die Erteilung eines Aufenthaltstitels typischerweise nicht von der Einhaltung aller Voraussetzungen des § 5 abhängig gemacht werden. Absatz 3 trifft daher für diese Fälle eine zusammenfassende Sonderregelung. Bei Ausländern, die die Voraussetzungen eines humanitären Aufenthaltstitels erfüllen, besteht i. d. R. nicht die Möglichkeit, den Aufenthalt zu beenden. Sie sollen nach dem Aufenthaltsgesetz für die Dauer der humanitären Notlage die Möglichkeit eines legalen Aufenthaltsstatus erhalten.
5.3.0.2
§ 5 Absatz 3 gilt nicht für den Fall der Familienzusammenführung zu diesem Personenkreis. Ein nachziehendes Familienmitglied muss die Voraussetzungen des § 5 erfüllen, soweit in den Vorschriften zum Familiennachzug keine Ausnahmen vorgesehen sind.
5.3.1.1
In den Fällen des § 5 Absatz 3, 1. Halbsatz ist der Aufenthaltstitel ungeachtet der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen der Absätze 1 und 2 zu erteilen. Hinsichtlich der Ausweisungsgründe regelt § 25 Absatz 1 Satz 2 einen speziellen Versagungsgrund, der auch im Fall des § 25 Absatz 2 anwendbar ist.
5.3.1.2
Nach § 5 Absatz 3 Satz 1 ist im Rahmen der Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Absatz 1 Nummer 1, Nummer 1a und Nummer 2 und Absatz 2 abzusehen. Zu prüfen bleiben daher die sonstige Gefährdung der öffentlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland nach § 5 Absatz 1 Nummer 3 und das Vorliegen der Ausweisungsgründe des § 54 Absatz 5 sowie Absatz 5a nach § 5 Absatz 4 Satz 1 (vgl. Nummer 25.4a.3). Die Einschränkung des § 5 Absatz 3 Satz 1 beinhaltet jedoch keine Einschränkung der Möglichkeit, den Ausländer bei Vorliegen der Voraussetzungen auszuweisen.
5.3.2
In den übrigen Fällen des Kapitels 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes kann nach § 5 Absatz 3 Satz 2 von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden.
5.3.2.1
Ein Absehen vom Erfordernis des gesicherten Lebensunterhalts kommt bei erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 grundsätzlich in Betracht, da ohne den Besitz eines Aufenthaltstitels die Aufnahme einer Beschäftigung erschwert ist. Dies gilt nicht, wenn der Betroffene sich bereits seit einem Jahr in Deutschland aufgehalten hat und geduldet war, weil dann die Möglichkeit nach § 10 BeschVerfV besteht, auch Geduldeten die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu erlauben. Bei der Ermessensentscheidung ist in diesen Fällen daher zu prüfen, ob Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer in absehbarer Zeit in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu sichern. Bei der anzustellenden Prognose ist die Qualifikation des Ausländers, insbesondere seine Ausbildung und Sprachkenntnisse, ebenso zu berücksichtigen wie die Frage, ob der Ausländer sich in der Vergangenheit aktiv um eine Beschäftigung bemüht hat. Ist absehbar, dass der Ausländer auf unabsehbare Zeit von Sozialleistungen abhängig sein wird, sprechen gute Gründe dafür, von der Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung nicht abzusehen. Diese Grundsätze gelten auch für den Ausweisungsgrund des § 55 Absatz 2 Nummer 6. Dient der Aufenthalt nach § 25 Absatz 4 Satz 1 vorrangig den persönlichen Interessen des Ausländers, wie etwa im Falle der Regelung wichtiger persönlicher Angelegenheiten oder des Abschlusses einer Ausbildung, wird man von der Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung regelmäßig nicht absehen können. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis kann auch von der Abgabe einer Verpflichtungserklärung abhängig gemacht werden.
5.3.2.2
Ausweisungstatbestände können bis zu der Grenze außer Betracht bleiben, die auch eine Aufenthaltsverfestigung nicht verhindert (§ 9 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4).
5.3.2.3
Im Fall des § 23 Absatz 2 soll von der Einhaltung des Visumverfahrens im Regelfall nicht abgesehen werden, da hier ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Einhaltung des geregelten Aufnahmeverfahrens besteht und der Ausländer sich nicht in einer Fluchtsituation befindet. Bei Bürgerkriegsflüchtlingen oder Personen, bei denen rechtliche Abschiebungsverbote vorliegen, soll von der Einhaltung des Visumverfahrens abgesehen werden, im Übrigen ist nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden.
5.3.2.4
Sofern von dem Erfordernis der Erfüllung der Passpflicht im Rahmen der Erteilung des Aufenthaltstitels abgesehen werden kann, befreit dies den Ausländer nicht zugleich von der allgemeinen Obliegenheit, die Passpflicht nach § 3 Absatz 1 sowie die Pflichten nach § 48 Absatz 3 und nach § 56 AufenthV zu erfüllen. Sofern das Vorliegen der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Ausweisersatzes oder deutschen Passersatzes nicht festgestellt werden kann (die Darlegungslast trifft hierzu grundsätzlich den Ausländer), zugleich aber dennoch ausnahmsweise ein Aufenthaltstitel erteilt werden kann, weil die Erteilungsvoraussetzungen vorliegen, ist das Klebeetikett für den Aufenthaltstitel auf den Vordruck „Ausweisersatz“ nach Anlage D1 zur AufenthV aufzukleben; die Wörter „Ausweisersatz“ auf Seite 1 und „als Ausweisersatz“ auf Seite 4 sind zu streichen und der Vermerk
„Die Inhaberin/der Inhaber genügt mit dieser Bescheinigung nicht der Pass- und Ausweispflicht.“
auf Seite 1 anzubringen.
5.3.3
In Satz 3 wird den Ausländerbehörden in Anlehnung an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, einem Ausländer einen Aufenthaltstitel zu erteilen, ohne dass Ausweisungsgründe „verbraucht“ werden. Auf Nummer 79.2.3.5 wird verwiesen.
5.3.3.1
Eine solche Handhabe ist insbesondere dann sinnvoll, wenn es die Behörde als wahrscheinlich erachtet, dass es letztendlich nicht zu einer Ausweisung kommt, allerdings eine nähere Prüfung noch vorbehalten bleiben soll (z. B. Abwarten des Ausgangs eines gegen den Ausländer anhängigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens), oder wenn ein lang andauerndes Ausweisungsverfahren durchgeführt wird. In solchen Fällen müsste die Ausländerbehörde, wenn die Möglichkeit der Erteilung des Aufenthaltstitels unter Vorbehalt nicht möglich wäre, den Ausländer auf die Titelfiktion (§ 81) verweisen oder den „Verbrauch“ eines Ausweisungsgrundes akzeptieren.
5.3.3.2
Durch das Erfordernis der Benennung der vorbehaltenen Ausweisungsgründe besteht Rechtssicherheit hinsichtlich des Umfanges des Vorbehalts. Der Vorbehalt muss nicht in den Aufenthaltstitel aufgenommen werden. Es genügt, wenn er dem Ausländer in anderer Weise, etwa durch ein Begleitschreiben, mitgeteilt wird. Er steht der Eignung des Aufenthaltstitels für Reisen nach Artikel 21 SDÜ nicht entgegen.
5.4 Versagungsgründe
5.4.1
Der Versagungsgrund nach § 5 Absatz 4 greift ein, wenn ein Ausweisungsgrund nach § 54 Nummer 5 oder 5a objektiv vorliegt. § 5 Absatz 4 ist gegenüber § 5 Absatz 1 Nummer 2 insoweit die speziellere Vorschrift. Ebenso wie im Rahmen von § 5 Absatz 1 Nummer 2 ist es nicht erforderlich, dass der Ausländer auch ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden könnte. Die Ausführungen zu Nummer 5.1.2.1 gelten entsprechend.
5.4.2
Der Versagungsgrund gilt uneingeschränkt sowohl für Aufenthaltstitel, die im Ermessenswege erteilt werden können, als auch für solche, auf die ein gesetzlicher Anspruch besteht. Bei Vorliegen von Tatsachen, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass ein Terrorismusbezug i. S. d. § 54 Nummer 5 besteht, sowie in Fällen des § 54 Nummer 5a, überwiegt nach der Wertung des Gesetzgebers – wie die Ausgestaltung des § 5 Absatz 4 Satz 1 als zwingender Versagungsgrund zeigt – stets das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Fernhaltung des Betroffenen vom Bundesgebiet gegenüber der dem Anspruch zugrunde liegenden Grundrechtsposition (z. B. aus Artikel 6 GG). Artikel 6 GG verleiht keinen unmittelbaren Rechtsanspruch auf Aufenthaltsgewährung im Bundesgebiet, sondern verpflichtet lediglich den Staat, familiäre Bindungen in erforderlicher und angemessener Weise zu berücksichtigen. Für die hinter § 5 Absatz 4 stehende gesetzgeberische Wertung ist insbesondere entscheidend, dass sich der Terrorismus zielgerichtet gegen die Sicherheit der gesamten Gesellschaft und dabei auch gegen zentrale, verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsgüter, unter anderem gegen die Grundrechte auf Leben (Artikel 2 Absatz 2 GG) und Eigentum (Artikel 14 GG) richtet. Die objektive staatliche Pflicht zur Achtung und Wahrung der Würde aller Menschen und der betroffenen Rechtsgüter ist Gegenstand der im Grundgesetz verankerten objektiven Werteordnung und richtet sich daher nicht nur auf den Schutz der entsprechenden Rechtsgüter im In-, sondern auch im Ausland. Es besteht zudem weltweiter Konsens, dass für Terroristen kein sicheres Refugium geschaffen werden darf. Auch terroristische Aktivitäten mit Auslandsbezug führen daher zu einem überwiegenden Interesse an der Fernhaltung des Betroffenen aus dem Bundesgebiet.
5.4.3
In den Fällen, in denen § 54 Nummer 5 über die Verweisung des § 5 Absatz 4 zur Anwendung kommt, muss die Frage der Gegenwärtigkeit auch im Zusammenhang mit der Regelung des § 5 Absatz 4 Satz 2 beurteilt werden. Danach ist bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen, ob sich der Betroffene gegenüber den zuständigen Behörden offenbart und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.
5.4.4.1
Die Regelung des § 5 Absatz 4 Satz 2 kommt – ebenso wie § 54 Nummer 5, 2. Halbsatz – zur Anwendung, wenn die fragliche Handlung, die einen Versagungsgrund rechtfertigt, in der Vergangenheit liegt. An das glaubhafte Abstandnehmen sind ausgesprochen hohe Maßstäbe zu setzen, da nur aufgrund eindeutigen aktiven Tuns des Betroffenen davon ausgegangen werden kann, dass dieser von seiner früheren, den Terrorismus unterstützenden Einstellung endgültig Abstand genommen hat.
5.4.4.2
Satz 2 ermöglicht im Einzelfall Ausnahmen bei tätiger Reue. Durch diese Regelung soll die Möglichkeit geschaffen werden, Ausländern, die sich bereits im Bundesgebiet aufhalten und sich von ihren bisherigen terroristischen Bestrebungen vollständig und dauerhaft distanzieren, ein Aufenthaltsrecht zu gewähren. Die Feststellung, ob vom Terrorismus Abstand genommen wurde und entsprechende Behauptungen glaubhaft sind, ist in erster Linie von den Sicherheitsbehörden aufgrund der konkreten Erfahrungen in Bezug auf bestimmte Vereinigungen zu treffen. Um glaubhaft von einem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand zu nehmen, muss der Ausländer eine innere und äußere völlige Abkehr von den sicherheitsgefährdenden Zielen überzeugend deutlich machen. Insbesondere muss sich die Abkehr nach außen durch entsprechende Handlungen manifestieren, und es muss deutlich werden, dass die Abkehr auf Dauer und zudem nicht aus äußeren Zwängen oder auf Grund rechtlicher Konsequenzen (beispielsweise infolge eines Vereinsverbotes) erfolgt.
5.4.5
Für Ausnahmen vor der Einreise nach Satz 3 ist das Bundesministerium des Innern oder die von ihm bestimmte Stelle zuständig. Die Entscheidung des Bundesministeriums des Innern ergeht gegenüber der Behörde, die den Aufenthaltstitel erteilt oder versagt und ist somit ein Mitwirkungsakt innerhalb des Visumverfahrens, der als solcher nicht durch Rechtsmittel selbständig angegriffen werden kann. Die Ausnahmeregelung ist nur besonders gelagerten und konkreten Einzelfällen vorbehalten und muss vor der Einreise ausgesprochen werden.
5.5
Zusätzlich zu beachtende Einreisevoraussetzungen nach dem Schengener Grenzkodex
Neben den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 sind bei der Erteilung von Schengen-Visa und bei der Einreise in das Schengen-Gebiet die Einreisevoraussetzungen nach dem Schengener Grenzkodex zu beachten. Neben Artikel 1 des Schengener Grenzkodex, wonach keine Grenzkontrollen in Bezug auf Personen stattfinden, die die Binnengrenzen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union überschreiten, ist Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a) bis e) Schengener Grenzkodex für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Schengen-Gebiet maßgeblich. Für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten je Sechsmonatszeitraum
5.5.1
muss ein Drittstaatsangehöriger bei der Einreise
5.5.2.1
darf ein Drittstaatsangehöriger
5.5.2.2
Abweichungen hiervon sind in Artikel 5 Absatz 4 Schengener Grenzkodex und den „Sonderbestimmungen für bestimmte Personengruppen“ im Anhang VII Schengener Grenzkodex geregelt. Die genannten Einreisevoraussetzungen sind zwar im Wesentlichen deckungsgleich mit den Voraussetzungen des § 5; nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe e) Schengener Grenzkodex werden aber insbesondere auch die Sicherheitsinteressen anderer Schengen-Staaten berücksichtigt.
5.5.2.3
Die genannten Einreisevoraussetzungen müssen jeweils einzeln erfüllt sein. Die Nichterfüllung einer Einreisevoraussetzung kann nicht durch die Erfüllung einer anderen Einreisevoraussetzung ersetzt werden. Ein grundsätzlich visumfreier Drittausländer kann etwa nicht die Passpflicht dadurch erfüllen, dass er zwar kein anerkanntes gültiges Grenzübertrittspapier besitzt, ihm jedoch ein Ausnahmevisum erteilt wird. Vielmehr kann die Erfüllung der Passpflicht nur durch die Ausstellung eines Passersatzpapiers bewirkt werden.
5.5.3
Für die Einreise und den Aufenthalt im Schengen- Gebiet müssen Drittstaatsangehörige im Besitz eines oder mehrerer gültiger Reisedokumente sein, die sie zum Überschreiten der Grenze berechtigen (Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a) Schengener Grenzkodex; siehe jedoch Artikel 5 Absatz 4 Buchstabe a) Schengener Grenzkodex).
5.5.3.1
Die auf EU-Ebene als gültig anerkannten Reisedokumente sind in der jährlich von den Ratsgremien aktualisierten Liste der zum Grenzübertritt berechtigenden Dokumente aufgeführt. Die Schengener Vertragsparteien hatten ursprünglich vorgesehen, auch die Anerkennung von Reisedokumenten auf Schengener Ebene zu regeln. Später hatten sie sich zwar auf eine gemeinsame Visa-Politik, nicht jedoch auf eine gemeinsame Politik der Anerkennung von Pässen oder Reisedokumenten verständigt. Diese unterliegt nach wie vor den einzelnen Schengen- Staaten, was inzwischen in mehreren Verordnungen auch dauerhaft festgeschrieben ist; vgl. nur Artikel 6 der Verordnung (EG) Nummer 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von der Visumpflicht befreit sind (ABl. EG Nummer L 81 S. 1). Insoweit bestehen unterschiedliche Gegebenheiten hinsichtlich der Anerkennung von Reisedokumenten.
5.5.3.2
Vermerke, die in dem Pass oder Passersatz eines Ausländers eingetragen werden, sind mit Angabe des Ortes und des Datums, der Unterschrift und einem Abdruck des Dienstsiegels -stempels zu versehen. Im automatisierten Visumverfahren sowie bei der Eintragung von Kontrollstempeln werden Ausnahmen zugelassen. Das Abstempeln der Reisedokumente ist in Artikel 10 Schengener Grenzkodex geregelt. Die Abstempelungsmodalitäten sind dem Anhang IV Schengener Grenzkodex zu entnehmen. Vermerke dürfen nur eingetragen werden, wenn dies nach europäischem oder deutschem Recht ausdrücklich zugelassen ist.
5.5.4 Allgemeine Hinweise zum SDÜ: Ausschreibung zur Einreiseverweigerung nach Artikel 96 SDÜ/Abfrage des SIS
5.5.4.0 Allgemeines
5.5.4.0.1.1
Vor jeder ausländerrechtlichen Entscheidung ist durch Abfrage des SIS zu prüfen, ob der Ausländer von deutschen Behörden und Gerichten oder von Behörden und Gerichten anderer Schengen-Staaten zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist.
5.5.4.0.1.2
Beim SIS handelt es sich um ein EDV-gestütztes Erfassungs- und Abfragesystem zur Personen und Sachfahndung, das sich in das jeweilige nationale Informationssystem N.SIS und die zentrale technische Unterstützungseinheit C.SIS in Straßburg gliedert. Die Zentralstelle für das deutsche N.SIS ist die SIRENE Deutschland, eingerichtet beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Die SIRENE ist die nationale Stelle, die die im SDÜ vorgesehenen Informationsübermittlungs- und Koordinationsaufgaben im Zusammenhang mit einer Ausschreibung im SIS wahrzunehmen hat.
5.5.4.0.1.3
Diese Abfrage ist für die Prüfung, ob ein Konsultationsverfahren nach Artikel 25 SDÜ einzuleiten ist, ebenso erforderlich wie für aufenthaltsbeendende Maßnahmen. Die Ausschreibung von Ausländern zur Einreiseverweigerung im SIS ist durch Artikel 96 SDÜ geregelt. Diese Ausschreibung bewirkt eine Einreisesperre für das gesamte Schengen-Gebiet und ist von allen Schengen-Staaten bei der Visumerteilung, der Grenzkontrolle, der Kontrolle des Binnen-Reiseverkehrs sowie der Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltstiteln zu beachten. Personen, die das Gemeinschaftsrecht auf freien Personenverkehr genießen, dürfen zur Einreiseverweigerung nicht im SIS ausgeschrieben werden.
5.5.4.0.2
Die Ausweisung, Zurückschiebung oder die vollzogene Abschiebung haben nach § 11 Absatz 1 Satz 1 zur Folge, dass der Ausländer nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf (gesetzliche Sperrwirkung). Ausschreibungen zur Einreiseverweigerung nach Artikel 96 SDÜ von anderen Schengen- Staaten und solche nach Artikel 96 Absatz 2 SDÜ von deutschen Behörden bewirken kein Einreise-, Aufenthalts- und Erteilungsverbot i. S. v. § 11 Absatz 1 Satz 1 und 2. Die Voraussetzungen für eine unerlaubte Einreise nach § 14 Absatz 1 Nummer 3 liegen in diesen Fällen nicht vor. Die Ausschreibungen sind jedoch bei der Visumerteilung, der Grenzkontrolle, der Kontrolle des Binnen-Reiseverkehrs sowie der Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltstiteln zu beachten. Sie rechtfertigen unter anderem eine Zurückweisung nach § 15 Absatz 2 Nummer 3 und führen im Falle eines kurzfristigen Aufenthaltes dazu, dass der Ausländer die Aufenthaltsvoraussetzungen nach Artikel 19, 20 oder 21 SDÜ nicht erfüllt, somit kein Aufenthaltsrecht besitzt und nach Artikel 23 SDÜ verpflichtet ist, den Schengen-Raum zu verlassen.
5.5.4.1 Ausschreibungstatbestände
5.5.4.1.1
Ist ein Ausländer i. S. v. § 11 Absatz 1 Satz 1 ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden, hat die zuständige Behörde, unbeschadet sonstiger nationaler Ausschreibungen (INPOL, Ausländerzentralregister) nach Artikel 96 Absatz 3 SDÜ die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im SIS unverzüglich zu veranlassen. Ist die Ausweisung beabsichtigt gewesen, aber mangels Bekanntgabe unterblieben, weil der Ausländer ausgereist oder untergetaucht ist, sollte im Interesse der Rechtsklarheit und zur Verfahrensvereinfachung gleichwohl die beabsichtigte Ausweisung verfügt und die Ausweisungsverfügung öffentlich zugestellt werden. Ausschreibungsgrundlage ist dann weiterhin Artikel 96 Absatz 3 SDÜ.
5.5.4.1.2
Artikel 96 SDÜ, der Ausschreibungen zum Zweck der Einreiseverweigerung regelt, bietet keine Rechtsgrundlage für Ausschreibungen, die lediglich den Zweck der Aufenthaltsermittlung verfolgen. Danach darf z. B. ein abgelehnter Asylbewerber, der untergetaucht ist, nur zur Aufenthaltsermittlung im INPOL oder im Ausländerzentralregister, nicht jedoch im SIS ausgeschrieben werden.
5.5.4.1.3
Eine Ausschreibung im SIS nach Artikel 96 Absatz 3 SDÜ kann nicht im Fall einer Zurückweisung nach § 15 erfolgen, da diese nicht die ausländerrechtlichen Folgen des § 11 Absatz 1 Satz 1 auslöst und somit die Voraussetzungen nach Artikel 96 Absatz 3 SDÜ nicht gegeben sind.
5.5.4.2 Ausschreibungsfristen für das SIS
5.5.4.2.1
Die für Deutschland zutreffenden Ausschreibungsfristen betragen – unbeschadet einer Verlängerung – bei einer
In den Fällen einer Ausweisung nach §§ 53, 54 mit späterer Abschiebung gilt die längere Ausschreibungsfrist. Die Ausschreibungsfrist beginnt mit der Ausreise. Im Fall einer erneuten Abschiebung oder Zurückschiebung nach unerlaubter Einreise während der Sperrwirkung nach § 11 Absatz 1 Satz 1 ist die Ausschreibungsfrist um weitere drei Jahre zu verlängern.
5.5.4.2.2
Wird die Sperrwirkung von Ausweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach § 11 Absatz 1 Satz 3 auf Antrag des Ausländers aufgehoben bzw. befristet, ist die Löschung der Ausschreibung im SIS mit der Aufhebung der Sperrwirkung bzw. mit Ablauf der Befristung unverzüglich zu veranlassen (vgl. Artikel 112 Absatz 1 Satz 1 SDÜ).
5.5.4.2.3
Die Datenerfassung von Ausschreibungen nach Artikel 96 Absatz 2 und 3 SDÜ im SIS ist zunächst auf drei Jahre befristet, kann jedoch verlängert werden (Artikel 112 Absatz 1 und 2 SDÜ). Die Überwachung der Prüffristen erfolgt – unbeschadet von Wiedervorlagesystemen der zuständigen Behörden – in jedem Einzelfall über die SIRENE Deutschland. Dabei wird sichergestellt, dass Löschungen von Ausschreibungen nicht ohne die Möglichkeit einer vorherigen Prüfung durch die Ausländerbehörden erfolgen.
5.5.4.3
Verfahrensweise Ausschreibungen im SIS nach Artikel 96 SDÜ sowie die Löschung von Ausschreibungen sind von der zuständigen Ausländerbehörde über die örtlich zuständigen Polizeidienststellen unter Verwendung des amtlichen Vordrucks KP 21/24 bzw. entsprechender Ländervordrucke unverzüglich zu veranlassen. Meldungen an das Ausländerzentralregister haben möglichst zeitgleich zu erfolgen. Der Informationsaustausch in Trefferfällen aufgrund von Ausschreibungen nach Artikel 96 SDÜ wird von der SIRENE Deutschland gesteuert. Beim Verkehr mit der SIRENE Deutschland sind die amtlich vorgeschriebenen Formulare zu verwenden.
5.5.4.4 Konsultationsverfahren nach Artikel 25 SDÜ
5.5.4.4.0
Nach Artikel 25 SDÜ ist ein so genanntes Konsultationsverfahren zwischen den zuständigen Behörden der Schengen-Staaten zur Wahrung ihrer Interessen durchzuführen, wenn festgestellt wird, dass ein Ausländer, dem ein Aufenthaltstitel erteilt werden soll, im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist, oder wenn eine solche Ausschreibung nach Erteilung eines Aufenthaltstitels festgestellt wird.
5.5.4.4.1 Ersuchen nach Artikel 25 Absatz 1 SDÜ
5.5.4.4.1.1
Vor der Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels haben die zuständigen Behörden (§ 71) zu prüfen, ob der Ausländer im SIS von einem anderen Schengen-Staat zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist (Artikel 96 SDÜ). Dies gilt auch für den Fall, dass die Visumerteilung der vorherigen Zustimmung der Ausländerbehörde bedarf (§ 31 Absatz 1 AufenthV). Liegt eine Ausschreibung vor, hat die Ausländerbehörde über die SIRENE Deutschland ein Konsultationsverfahren nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 1, 1. Halbsatz SDÜ einzuleiten, um die Interessen des ausschreibenden Schengen-Staates bei ihrer Entscheidung berücksichtigen zu können. Aufenthaltstitel dürfen in diesem Fall nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe erteilt oder verlängert werden.
5.5.4.4.1.2
Gewichtige Gründe liegen neben humanitären Erwägungen und infolge internationaler Verpflichtungen (vgl. § 22) grundsätzlich dann vor, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels i. S. v. § 5 vorliegen (z. B. Recht auf Wiederkehr, Ehegatten- und Kindernachzug, ausländischer Ehegatte eines Deutschen) und keine Tatbestände erfüllt sind, die den Anspruch derart einschränken, dass über die Erteilung des Aufenthaltstitels nur nach Ermessen entschieden wird (z. B. § 27 Absatz 3). Gewichtige Gründe liegen nicht allein deshalb vor, weil die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit angestrebt wird.
5.5.4.4.1.3
Die im Konsultationsverfahren von der Behörde des ausschreibenden Schengen-Staates übermittelten Ausschreibungsgründe sind bei der Entscheidung über den Aufenthaltstitel maßgeblich zu berücksichtigen. Die Regelung im SDÜ, nach der Aufenthaltstitel in Ausschreibungsfällen nur bei Vorliegen von gewichtigen Gründen, insbesondere wegen humanitärer Erwägungen oder infolge internationaler Verpflichtungen erteilt werden dürfen, sind zu beachten. Danach kann auch bei Erfüllung tatbestandlicher Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels die Nichterfüllung einer Erteilungsvoraussetzung bzw. Regelerteilungsvoraussetzung zur Versagung des Aufenthaltstitels führen.
5.5.4.4.1.4
Erteilt die Ausländerbehörde den Aufenthaltstitel, muss der ausschreibende Schengen-Staat nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 2 SDÜ die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung zurückziehen. Es bleibt ihm unbenommen, den Ausländer weiterhin national mit entsprechender Wirkung auszuschreiben. In Deutschland bleiben solche Ausländer weiterhin im INPOL und im Ausländerzentralregister ausgeschrieben.
5.5.4.4.2 Ersuchen nach Artikel 25 Absatz 2 SDÜ
5.5.4.4.2.1
Stellt sich erst im Nachhinein, z. B. im Rahmen einer Personenkontrolle, heraus, dass ein Ausländer, der über einen von einem Schengen- Staat erteilten gültigen Aufenthaltstitel verfügt, im SIS zur Einreiseverweigerung nach Artikel 96 SDÜ ausgeschrieben ist, muss ein Konsultationsverfahren nach Artikel 25 Absatz 2 Satz 1 SDÜ eingeleitet werden. Das Konsultationsverfahren soll dem Schengen-Staat, der den Aufenthaltstitel erteilt hat, die Prüfung ermöglichen, ob ausreichende Gründe für die Einziehung des Aufenthaltstitels vorliegen.
5.5.4.4.2.2
Stellt eine der in § 71 genannten Behörden fest, dass ein Ausländer, der über einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Schengen-Staates verfügt, von Deutschland nach Artikel 96 SDÜ im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist, hat sie unverzüglich über die SIRENE Deutschland ein Konsultationsverfahren nach Artikel 25 Absatz 2 Satz 1 SDÜ einzuleiten. Zieht der Schengen-Staat den erteilten Aufenthaltstitel nach der Konsultation nicht ein, ist die Löschung der Ausschreibung im SIS zu veranlassen (vgl. Artikel 25 Absatz 2 Satz 2 SDÜ). Der Ausländer bleibt weiterhin im INPOL und im Ausländerzentralregister ausgeschrieben (nationale Ausschreibungsliste). Im Übrigen hat die örtlich zuständige Ausländerbehörde aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu prüfen.
5.5.4.4.2.3
Stellt eine der in § 71 genannten Behörden fest, dass ein Ausländer, der über eine gültigen deutschen Aufenthaltstitel verfügt, von einem anderen Schengen-Staat im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist, hat sie unverzüglich die für die Erteilung des Aufenthaltstitels zuständige Ausländerbehörde zu unterrichten. Diese hat über die SIRENE Deutschland ein Konsultationsverfahren nach Artikel 25 Absatz 2 Satz 1 SDÜ gegenüber dem ausschreibenden Schengen-Staat einzuleiten und zu prüfen, ob aufgrund der übermittelten Ausschreibungsgründe Anlass besteht, den Aufenthaltstitel einzuziehen und aufenthaltsbeendende Maßnahmen einzuleiten (z. B. Ausweisung).
5.5.4.4.2.4
Stellt eine der in § 71 genannten Behörden fest, dass ein Ausländer, der über einen gültigen Aufenthaltstitel eines Schengen-Staates verfügt, von einem anderen Schengen-Staat nach Artikel 96 SDÜ im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist, hat sie unverzüglich dieSIRENE Deutschland zu unterrichten, die ihrerseits die SIRENE des ausschreibenden Schengen-Staates über den Konsultationsfall unterrichtet. Soweit sich der Ausländer nicht zum Zweck der Durchreise nach Artikel 5 Absatz 4 Buchstabe a) Schengener Grenzkodex im Bundesgebiet aufhält, ist er kraft Gesetzes ausreisepflichtig, da die Voraussetzungen für die Einreise, Durchreise und den Kurzaufenthalt nach Artikel 21 Absatz 1 i.V.m. Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe e) Schengener Grenzkodex schon vor der Einreise nicht vorgelegen haben oder nach der Einreise weggefallen sind. Die zuständigen Behörden haben zu prüfen, ob die Ausreisepflicht mittels Zurückschiebung oder Abschiebung durchzusetzen ist (Artikel 23 Absatz 1 bis 3 SDÜ i.V. m. §§ 57, 58); Vorrang hat die freiwillige Ausreise im Rahmen der Ausreisefrist.
5.5.4.4.3 Verfahrensweise
5.5.4.4.3.1
Beim Konsultationsverfahren nach Artikel 25 Absatz 1 und 2 SDÜ sind die amtlich vorgeschriebenen Formulare zu verwenden. Beim Ausfüllen der Formulare ist zu beachten, dass der betreffende Schengen-Staat möglichst umfangreich und genau über den bisherigen wie den beabsichtigten Aufenthalt bzw. den Aufenthaltstitel und die Gründe für die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung unterrichtet wird. Wird das Konsultationsverfahren durch eine deutsche Behörde in Gang gesetzt, ist bei der Angabe von „Deutschland“ als Schengen-Staat in Klammern die zuständige Behörde sowie das entsprechende Aktenzeichen hinzuzufügen.
5.5.4.4.3.2
Die mit einem Anschreiben zu versehenden Formulare sind im Behördenverkehr unmittelbar der SIRENE Deutschland beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden als der Behörde zuzuleiten, die bis auf Weiteres für die Steuerung der Konsultationen gegenüber den anderen Schengen-Staaten zuständig ist.
5.5.4.4.3.3
Muss nach Abschluss des Konsultationsverfahrens die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung durch die Ausländerbehörde zurückgezogen werden, hat die zu veranlassende Löschung weiterhin über den Meldeweg der datenerfassenden Polizeidienststellen der Länder mittels des Vordrucks KP 21/24 bzw. entsprechender Ländervordrucke („Löschung im SIS“) zu erfolgen. Der betreffende Ausländer bleibt weiterhin im INPOL sowie im Ausländerzentralregister ausgeschrieben.