B.   Anforderungen an die vorzulegenden Dokumente

  I.  Enumerative Aufzählung
 II.  Ausweispflicht
III.  Echtheit vorgelegter Dokumente
I
V.  Kollisionsrechtliche Frage (in Bearbeitung)

 

I.

Enumerative Aufzählung

1

§ 5a FreizügG/EU enthält eine abschließende Aufzählung der Nachweise, die die zuständige Behörde verlangen kann, um das Bestehen eines Freizügigkeitsrechts des Unionsbürgers oder ihrer Familienangehörigen zu überprüfen. Der Erwägungsgrund 14 der UnionbürgerRL bestimmt insoweit:

„Um zu vermeiden, dass abweichende Verwaltungspraktiken oder Auslegungen die Ausübung des Aufenthaltsrechts der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen unangemessen behindern, sollte genau und abschließend festgelegt werden, welche Dokumente erforderlich sind, damit die zuständige Behörde eine Anmeldebescheinigung oder eine Aufenthaltskarte ausstellen kann.“

2

Grundlage für die materiell-rechtliche Prüfung der Wirksamkeit eines Familienverhältnisses ist in der Regel eine öffentliche Urkunde (z.B. Heirats- oder Adoptionsurkunde). Das Abstellen auf öffentliche Urkunden ist zwar sinnvoll, da diese aufgrund deutscher oder unionsrechtlicher Regelungen, eine Vermutung der Echtheit für sich in Anspruch nehmen können, sie können aber weder im Rahmen des § 5a FreizügG/EU noch in der UnionsbürgerRL verlangt werden. Denn nach den übereinstimmenden Regelungen kann die zuständige Behörde nach § 5a Abs. 2 und 3 FreizügG/EU nur einen „Nachweis“ oder „urkundlichen Nachweis“ verlangen. Lediglich im Rahmen des § 5a Abs. 3Nr. 3 kann ein „urkundlicher Nachweis“ über des Bestehens der Vormundschaft oder des Pflegekindverhältnisses verlangt werden; aber auch hier keine „öffentliche“ Urkunde.

3

Die Liste der Dokumente, die gem. Art. 8 Abs. 3 und Art. 10 Abs. 2 UnionsbürgerRL vorzulegen sind, sind wie Erwägungsgrund 14 bestätigt, abschließend festgelegt. Es dürfen keine weiteren Dokumente verlangt werden.

4

Zur enumerativen Aufzählung in Art. 10 Abs. 2 UnionsbürgerRL vgl.

EuGH, U. v. 25.07.2008, Metock, C-127/08, ECLI:EU:C:2008:449
EuGH, B. v. 19.12.2008, Sahin, C-551/07, ECLI:EU:C:2008:755

5

Art. 8 Abs. 3 UnionsbürgerRL regelt hinsichtlich der Anmeldebescheinigung für Unionsbürger, dass die Mitgliedstaaten „nur“ Folgendes verlangen „dürfen“.

6

Bei dieser Praxis stellt sich wiederum die Frage nach der Erlangung eines Daueraufenthaltsrechts, vgl. Erl. 4a zu § 4a Freizügigkeitsgesetz.

7

Eine entsprechend freibleibende Regelung für Drittstaatsangehörige trifft die UnionsbürgerRL nicht.

8

Gem. Art. 10 Abs. 2 „verlangen“ die Mitgliedstaaten für die Ausstellung der Aufenthaltskarte die Vorlage folgender Dokumente.

9

Diese Formulierung lässt Zweifel zu, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber den Mitgliedstaaten für Drittstaatsangehörige unterhalb der von ihm als notwendig erachteten Schwelle angesichts des Wegfalls der Binnengrenzen, der Befreiung von der Visumspflicht durch Besitz der Aufenthaltskarte und damit der Übernahme von Verantwortung für den gesamten Schengenraum in gemeinschaftsrechtlicher Sicht Spielräume eröffnen wollte.

10

Art. 37 der UnionsbürgerRL lässt Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die für die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Personen günstiger sind, allerdings unberührt. Eine Einschränkung vergleichbar in Art. 3 letzter Halbsatz der Qualifikationsrichtlinie (2004/83/EG), wonach günstigere Normen mit der Richtlinie vereinbar sein müssen, findet sich hier nicht.

11

Normative Vorgaben zu den Formalitäten sind durch den EuGH grundsätzlich anerkannt.

So führt er in der Rechtssache Oulane in Randnummer 49 aus:

„Zwar fließt das Recht von Angehörigen eines Mitgliedstaats, sich in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten, unmittelbar aus dem EG-Vertrag, doch kann der Aufnahmemitgliedstaat diesen Gemeinschaftsangehörigen gleichwohl vorschreiben, im Hinblick auf die Anerkennung dieses Rechts bestimmte Verwaltungsformalitäten einzuhalten.“

EuGH, U. v. 17. 2. 2005, Oulane, C-215/ 03,  ECLI:EU:C:2005:95

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II.

Ausweispflicht

12

Gem. Art. 8 Abs. 3 UnionsbürgerRL darf von Unionsbürgern die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses verlangt werden.

13

Gem. Art. 10 UnionsbürgerRL verlangen die Mitgliedstaaten von Familienangehörigen mit Drittstaatsangehörigkeit einen gültigen Reisepass.

14

Die Erfüllung der Ausweispflicht darf in § 5a FreizügG/EU für alle Unionsbürger und ihre Familienangehörigen unabhängig von der Grundlage ihrer Freizügigkeit, an die sie anknüpfen, verlangt werden.

15

In der o.g. Rechtssache Oulane, die allerdings einen Touristenaufenthalt betraf, anlässlich dessen ein Unionsbürger ohne Ausweisdokument in Abschiebehaft geraten war, führte der EuGH in den Randnummern 24 ff. weiter aus:

„Dass eine Person, um ihre Eigenschaft als Gemeinschaftsangehöriger nachzuweisen, einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegen muss, stellt nämlich eine Verwaltungsformalität dar, die nur der Feststellung eines aus der Eigenschaft des Betroffenen unmittelbar fließenden Rechts durch die nationalen Behörden dient.

Kann der Betroffene zwar keinen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegen, seine Staatsangehörigkeit aber zweifelsfrei mit anderen Mitteln nachweisen, so kann der Aufnahmemitgliedstaat dessen Aufenthaltsrecht nicht schon mit der Begründung in Zweifel ziehen, dass er weder das eine noch das andere der genannten Dokumente vorgelegt habe (vgl. in diesem Sinne in Bezug auf Angehörige von Drittländern Urteil vom 25. Juli 2002 in der Rechtssache C-459/ 99, MRAX, Slg. 2002, I-6591, Randnr. 62).

16

Gem. § 5a Abs. 1 FreizügG/EU darf die zuständige Behörde für die Ausstellung einer Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht einen gültigen Personalausweis oder Reisepass verlangen, gem. Abs. 2 darf die Behörde für die Bescheinigung gem. § 5 Abs. 1 oder für die Ausstellung einer Aufenthaltskarte an Drittstaatsangehörige einen anerkannten oder sonst zugelassenen gültigen Pass oder Passersatz, hierzu gehört gem. § 3 Abs. 3 Nr. 5 Aufenthaltsverordnung der amtliche Personalausweis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, verlangen.

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III.

Echtheit vorgelegter Dokumente

17

Der Nachzug von Familienangehörigen setzt voraus, dass ein rechtlich wirksames Familienverhältnis besteht. Dabei kommt es zunächst auf die Wirksamkeit in Deutschland an, was anhand der deutschen Kollisionsvorschriften des EGBGB zu ermitteln ist.

18

Die materiell-rechtliche Beurteilung einer Urkunde setzt dessen Echtheit voraus.

 

1. Deutsche öffentliche Urkunden

19

Eine Urkunde ist echt, wenn sie tatsächlich von dem Aussteller stammt. Dabei enthält § 437 Abs. 1 ZPO eine gesetzliche Vermutung der Echtheit der Urkunde:

„Urkunden, die nach Form und Inhalt als von einer öffentlichen Behörde oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person errichtet sich darstellen, haben die Vermutung der Echtheit für sich.“

20

Bei Vorlage einer deutschen öffentlichen Urkunde, die ein Standesbeamter aufgenommen hat, kommt zudem die Richtigkeitsvermutung des § 54 Abs. 1 Satz 1 PStG hinzu:

„Die Beurkundungen in den Personenstandsregistern beweisen Eheschließung, Begründung der Lebenspartnerschaft, Geburt und Tod und die darüber gemachten näheren Angaben sowie die sonstigen Angaben über den Personenstand der Personen, auf die sich der Eintrag bezieht.“

21

Damit besteht für Ausländerbehörden kein Problem im Umgang mit öffentlichen Urkunden in den deutschen Personenstandsregistern (etwa Eheschließung, Geburt, Tod). Eine Eheschließung kann als wirksam zustande gekommen angesehen werden, wenn eine deutsche Heiratsurkunde vorgelegt wird. Aus einer deutschen Geburtsurkunde können die darin aufgeführten Abstammungsverhältnisse für den deutschen Rechtsbereich als rechtlich wirksam angenommen werden.

Druschke, Carina: Der Familienbegriff im deutschen Ausländerrecht, 2019, S. 76

 

2. Europäische öffentliche Urkunden

22

Wird eine öffentliche Urkunde vorgelegt, die eine Behörde eines EU-Staats ausgestellt hat, so ist diese im deutschen Rechtsbereich als echt anzusehen. Die Echtheit derartiger Urkunden beruht auf den Regelungen der EU-Apostille-Verordnung.

Verordnung (EU) 2016/1191 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern durch die Vereinfachung der Anforderungen an die Vorlage bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 (ABl. L 200 vom 27.07.2016, S. 1 ff.)
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32016R1191

23

Durch die Verordnung werden zu einem bestimmte, von Behörden eines anderen EU-Mitgliedstaats ausgestellte, öffentliche Urkunden von der Legalisation oder Apostillierung befreit. Bei den öffentlichen Urkunden handelt es sich nach Art. 2 der Verordnung um folgende Fälle:

  1. Geburt;
  2. die Tatsache, dass eine Person am Leben ist;
  3. Tod;
  4. Namen;
  5. Eheschließung, einschließlich Ehefähigkeit und Familienstand;
  6. Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe;
  7. eingetragene Partnerschaft, einschließlich der Fähigkeit, eine eingetragene Partnerschaft einzugehen, und Status der eingetragenen Partnerschaft;
  8. Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft, Trennung ohne Auflösung der eingetragenen Partnerschaft oder Ungültigerklärung der eingetragenen Partnerschaft;
  9. Abstammung;
  10. Adoption;
  11. Wohnsitz und/oder Aufenthaltsort;
  12. Staatsangehörigkeit;
  13. Vorstrafenfreiheit, sofern öffentliche Urkunden darüber für einen Unionsbürger von den Behörden des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit dieser Bürger besitzt, ausgestellt werden.

24

Zum anderen sieht die Verordnung gem. Art. 1 Abs. 1 lit. b die Vereinfachung sonstiger Förmlichkeiten nebst der Einführung mehrsprachiger Formulare (Art. 1 Abs. 2 der Verordnung) vor. Hierbei geht es ausschließlich um Vereinfachungen bei der Übersetzung öffentlicher Urkunden. Wird in Deutschland eine in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte Urkunde vorgelegt, so darf eine Übersetzung der Urkunde gemäß Art. 6 Abs. 1 der Verordnung insbesondere nicht verlangt werden, wenn der öffentlichen Urkunde ein mehrsprachiges Formular gemäß Art. 7 der Verordnung beigefügt ist, sofern die deutsche Behörde der Auffassung ist, dass die Angaben in diesem Formular ausreichen. Im Übrigen ist eine beglaubigte Übersetzung, die von einer Person angefertigt wurde, die nach dem Recht eines Mitgliedsstaats dazu qualifiziert ist, in allen Mitgliedstaaten anzunehmen (Art. 6 Abs. 2 der Verordnung). Eine Liste der entsprechend qualifizierten Personen wird von der EU-Kommission auf dem Europäischen Justizportal (www.e-justice.europa.eu) öffentlich zugänglich gemacht werden.

25

Deutsche Innenbehörden, Justizorgane und Notare sowie die Auslandsvertretungen müssen seit Inkrafttreten der Verordnung die von dieser Verordnung erfassten Urkunden aus allen EU-Mitgliedsländern ohne weiteren Echtheitsnachweis akzeptieren.

 

3. Sonstige öffentliche Urkunden

26

Sofern keine der vielfältigen Abkommen einschlägig ist, kann die Echtheit einer Urkunde durch eine Legalisations- bzw. Apostilleverfahren nachgewiesen werden. Speziell bei Eheschließungen von Unionsbürgern im EU-Ausland oder Adoptionen kann es zu Problemen bei der Echtheitsprüfung kommen. Für eine Reihe von Staaten ist ein vereinfachtes Apostille-Verfahren möglich, das an die Stelle des Legalisationsverfahrens tritt. Die größte Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Haager Übereinkommen zur Befreiung ausländischer Urkunden von der Legalisation vom 05.10.1961 (BGBl. 1965 II, S. 875).

https://www.gesetze-im-internet.de/urkbefr_bkg_haag/BJNR208750965.html

27

In Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens wird die Legalisation durch die sogenannte Haager Apostille ersetzt. Mit der Apostille wird die Echtheit der Unterschrift und ggf. des Siegels des Unterzeichners sowie dessen Befugnis zur Ausstellung der Urkunde bestätigt. Die Urkunde muss hierfür im Original vorgelegt werden.

Liste der Länder, zu denen das Übereinkommen im Verhältnis zu Deutschland gilt.
https://www.auswaertiges-amt.de/de/-/2570832

28

Ausländische öffentliche Urkunden, auf die kein Übereinkommen anwendbar ist, aus dem sich eine Reduzierung der Anforderungen auf eine Apostille ergibt, können zum Gebrauch im deutschen Rechtsverkehr legalisiert werden.

29

Kommt ein Apostille-Verfahren nicht zur Anwendung, so muss eine Legalisation bewirkt werden. Die Legalisation wird durch die deutschen Botschaften und Konsulate vorgenommen. Rechtsgrundlage ist § 13 Konsulargesetz, in dem es u.a. heißt:

„Die Konsularbeamten sind befugt, die in ihrem Amtsbezirk ausgestellten öffentlichen Urkunden zu legalisieren. Die Legalisation bestätigt die Echtheit der Unterschrift, der Eigenschaft, in welcher der Unterzeichner der Urkunde gehandelt hat, und gegebenenfalls die Echtheit des Siegels, mit dem die Urkunde versehen ist. Die Legalisation wird durch einen auf die Urkunde zu setzenden Vermerk vollzogen.“

30

Liegt weder eine Legalisation erfolgt noch eine Apostille, was insbesondere bei den in § 5a FreizügG/EU aufgeführten Nachweisen der Fall sein dürfte, so ist § 26 VwVfG anzuwenden, d.h. die Behörde hat über die Echtheit der Urkunde in freier Beweiswürdigung zu entscheiden.


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