Rechtsgrundlage in Fällen einer Altausweisung für die Abschiebungsandrohung ist § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU i. V. m. § 11 Abs. 14 Satz 2 FreizügG/EU.
Hess. VGH, Beschluss vom 07.11.2024 - 3 B 1575/23 -, juris
VGH BW, Urteil vom 30.04.2014 - 11 S 244/14 -, juris Rn. 98 ff.;
a. A. Hess. VGH, Beschluss vom 14.12.2007 - 11 TG 2475/07 -, juris Rn. 2 ff.
Altausweisungsfälle kommen typischerweise in zwei Konstellationen vor: Ein Drittausländer wird ausgewiesen und erwirbt nachträglich
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sind Unionsbürger und ihre Familienangehörigen ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Eine derartige Feststellung liegt auch bei einer Altausweisung vor, die als Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU i. V. m. § 11 Abs. 14 Satz 2 FreizügG/EU weiterwirkt. Denn auch eine Altausweisung, die als Verlustfeststellung weiterwirkt, kann die Grundlage für eine Abschiebungsandrohung nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU bilden.
VGH BW, Urteil vom 30.04.2014 - 11 S 244/14 -, juris Rn. 103
Dies gilt grundsätzlich auch für eine isolierte Abschiebungsandrohung, die nach Erlass einer Altausweisung und erneuter Einreise ins Bundesgebiet erlassen wird. Auch diese isolierte Abschiebungsandrohung dient der Vollstreckung der als Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU fortwirkenden Altausweisung. Dem steht die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU nicht entgegen, nach der die erstmalige Abschiebungsandrohung in der Regel mit der Verlustfeststellung verbunden wird
VGH BW, Urteil vom 30.04.2014 - 11 S 244/14 -, juris Rn. 103
Denn die Soll-Vorschrift lässt Raum für Ausnahmen, wenn - wie vorliegend - nach bereits erfolgter Abschiebung eine erneute Einreise ohne vorherige Aufhebung/Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erfolgt.
Grundsätzlich setzen die nachträgliche Vollstreckung einer Altausweisung und damit auch der Erlass einer isolierten Abschiebungsandrohung eine vorherige Überprüfung der Aktualität des Ausweisungszwecks voraus
VGH BW, Urteil vom 30.04.2014 - 11 S 244/14 -, juris Rn. 104
Der Antragsteller kann verlangen, dass vor Erlass einer Abschiebungsandrohung und vor seiner Abschiebung aus dem Bundesgebiet von Amts wegen eine Befristungsentscheidung über das Einreise- und Aufenthaltsverbot getroffen wird.
Siehe hierzu BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 13.16 -, juris Rn. 24 ff. zur Rechtswidrigkeit der Abschiebung vor Erlass einer Befristungsentscheidung
Insoweit unterscheidet sich das Verfahren von demjenigen, das zur Anwendung kommt, wenn gegenüber einem Unionsbürger oder seinem Familienangehörigen auf Grundlage des § 6 FreizügG/EU oder § 2 Abs. 4 FreizügG/EU eine Verlustfeststellung ergangen ist. Denn diesbezüglich hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits klargestellt, dass sich aus Art. 32 Abs. 2 der Unionsbürger-RL ergibt, dass ein
„Mitgliedstaat keineswegs daran gehindert ist, eine Rückkehrentscheidung gegenüber einer Person zu erlassen, die die Aufhebung des gegen sie verhängten Aufenthaltsverbots gemäß Art. 32 Abs. 1 dieser Richtlinie beantragt hat, solange die Prüfung dieses Antrags nicht mit positivem Ergebnis abgeschlossen ist“
EuGH, Urteil vom 14.09.2017 - C-184/16, Petrea -, Rn. 46
Wenn Art. 32 Abs. 2 Unionsbürger-RL betont, der Unionsbürger habe während des Überprüfungsverfahrens kein Einreiserecht (no right of entry, aucun droit d'accès) in den entsprechenden Mitgliedstaat, lässt sich hieraus schließen, dass derjenige, der unter Missachtung des Zugangs- und Aufenthaltsverbots erneut eingereist ist, aufgrund eines Antrags auf Befristung oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots keine Rechtsposition und auch keine verfahrensrechtliche Sicherstellung des so geschaffenen „status quo“ beanspruchen können soll.
VGH BW, Urteil vom 30.04.2014 - 11 S 244/14 -, juris Rn. 113
Ist gegenüber einem Unionsbürger eine Verlustfeststellung ergangen, so hat er keinen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung vor Erlass einer Abschiebungsandrohung und seiner Abschiebung.
Der Verweis auf einen vom Ausland aus zu stellenden Befristungsantrag beruht in diesen Fällen auf einer individuellen Gefahrenprognose, die bereits im Rahmen der Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 bzw. § 2 Abs. 4 FreizügG/EU getroffen wurde. Eine im Einklang mit den Vorgaben des Unionsrechts ergangene Gefahrenprognose rechtfertigt das Fernhalten des Unionsbürgers oder seines Familienangehörigen, bis über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots entschieden wurde.
Demgegenüber ist in Fällen sogenannter Altausweisungen zu keinem Zeitpunkt geprüft worden, ob der mit der Verlassenspflicht verbundene Eingriff in die Freizügigkeit mit Unionsrecht in Einklang steht. Aus diesem Grund ist die individuelle Gefährdungsprognose, die sonst von Amts wegen zusammen mit der Verlustfeststellung ergeht, erstmals unmittelbar nach einer Wiedereinreise nachzuholen. Erst nach ihr steht fest, ob von dem Unionsbürger oder seinem Familienangehörigen weiterhin eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgeht, die es rechtfertigt, die Freizügigkeit des betroffenen Ausländers durch Abschiebung aus dem Bundesgebiet einzuschränken. Die Prüfung der (möglichen) Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Rahmen einer Befristungsentscheidung führt, sofern das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht aufgehoben wird, zur Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU und bildet damit die Grundlage einer Abschiebungsandrohung.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass nach der Eheschließung mit einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger oder einem nachträglichen Beitritt zur EU über eine Befristung des mit der Altausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach der Befristungsregelung in § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU zu entscheiden ist, die in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen einer Altausweisung erfasst und den Vorgaben in Art. 32 Unionsbürger-RL hinsichtlich der zeitlichen Wirkungen eines Aufenthaltsverbots entspricht.
BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 13.16 -, juris Rn. 18;
BVerwG, Urteil vom 25.03.2015 - 1 C 18.14 -, juris Rn. 14 m. w. N.).
Dieses Verfahren trägt auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Rechnung, nach der einem Unionsbürger die Wirkungen eines nach nationalem Recht bestandskräftigen Verwaltungsakts nicht entgegengehalten werden dürfen, wenn diese mit zwingenden, unmittelbar anwendbaren Bestimmungen des Unionsrechts unvereinbar sind.
BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 13.16 -, juris Rn. 18 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 29. April 1999 - C-224/97, Ciola -, Rn. 25 ff.
Insofern kann der Rechtsprechung des Gerichtshofs entnommen werden, dass zumindest eine Überprüfung erfolgen muss, ob der bestandskräftige Verwaltungsakt mit seinen Rechtsfolgen weiterhin Bestand haben soll.
Die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung ergibt sich mithin daraus, dass der Antragsgegner vor Erlass der Abschiebungsandrohung hätte entscheiden müssen, ob nach Erlangung des Status eines Ehegatten einer freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerin die regelmäßig strengeren Voraussetzungen für eine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts vorliegen.
Siehe hierzu BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 13.16 -, juris Rn. 24
Dabei muss die Behörde auch prüfen, ob auf der Grundlage einer aktuellen Gefährdungsprognose und Verhältnismäßigkeitsentscheidung die Voraussetzungen für eine Befristung auf Null vorliegen
BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 13.16 -, juris Rn. 25;
BVerwG, Urteil vom 25.03.2015 - 1 C 18.14 -, juris Rn. 31
Das Ergebnis ihrer Prüfung hat sie dem Betroffenen in einer rechtsmittelfähigen Entscheidung mitzuteilen. Die formellen Anforderungen des Art. 30 der Unionsbürger-RLbetreffen unmittelbar zwar nur Entscheidungen, die das Freizügigkeitsrecht beschränken. Nach Sinn und Zweck gilt aber jedenfalls das dieser Vorschrift zu entnehmende Erfordernis einer rechtsmittelfähigen Entscheidung (vgl. Art. 30 Abs. 3 Satz 1 Unionsbürger-RL) auch, wenn die Ausländerbehörde keine Verlustfeststellung trifft, sondern vor der Durchsetzung der auf einer weiterhin wirksamen Ausweisung beruhenden Ausreisepflicht das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts im Rahmen einer Befristungsentscheidung prüft. Denn nur so ist sichergestellt, dass das in der Unionsbürger-RL näher ausgestaltete Freizügigkeitsrecht auch in Fallkonstellationen, in denen vor Entstehung eines freizügigkeitsrelevanten Sachverhalts eine aufenthaltsbeendende Maßnahme in Form einer weiterhin wirksamen Ausweisung ergangen ist, nicht unterlaufen wird.
BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 13.16 -, juris Rn. 24
b) Die Altausweisung ist weiterhin wirksam und wird über § 11 Abs. 14 Satz 2 FreizügG/EU einer Verlustfeststellung gleichgestellt.