Gesetz:
Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU)
Paragraph:
Einführung
Autor:
Maria Maximowitz
Stand:
Maximowitz in: OK-MNet-FreizügG/EU (24.12.2011)

D.

Umsetzung der europarechtlichen Entwicklungen im nationalen
Recht

1

Mit dem Aufenthaltsgesetz/EWG vom 22.07.1969 wurde ein erstes Regelwerk für am Wirtschaftsleben beteiligte Angehörige der Mitgliedstaaten geschaffen, das mit den sich aus europarechtlichen Entwicklungen und insbesondere Veränderungen durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht Schritt hielt. So wurden die in den Jahren 1990 und 1993 erlassenen Richtlinien für Nichterwerbstätige erst durch die Freizügigkeitsverordnung (FreizügV/EG (BGBl. 1997 I S. 1810)) 1997 in nationales Recht transformiert. Eine letzte Änderung erfuhr das Gesetz 2003 (Gesetz v. 23.12.2003 (BGBl. I S. 2848)).

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Die Notwendigkeit einer grundlegenden Neufassung des nationalen Rechts entstand durch die 2004 in Kraft getretene bis zum 30.04.2006 umzusetzende Unionsbürgerrichtlinie -Richtlinie 2004/38/EG - ABl. 2004 L 158/77, berichtigt ABl. 2004 L 229/35. Ziel dieser Richtlinie war es, alle bis dahin geltenden Regelungen in einem einzigen Rechtsakt zusammenzufassen, hierbei zu vereinfachen, zu systematisieren und neu zu strukturieren, sowie um neue Rechte zu ergänzen. Auf der Basis der Kommissionsvorschläge aus den Jahren 2001 und 2003; KOM (2001) 257, ABl. 2001, C 270 E und KOM (2003) 199, ABl. 2004 C 76/12 wurden die bereichsspezifischen und fragmentarischen Regelungen der Freizügigkeit für Arbeitnehmer, Selbständige, Dienstleistende und Studenten durch Schaffung eines einheitlichen Rechtsaktes über die Freizügigkeit der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen abgelöst.

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Mit der Unionsbürgerrichtlinie aufgehoben wurden die Richtlinien

  • 64/221/EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt, soweit sich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind
  • 68/360/EWG zur ‚Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkung für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihren Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft
  • 72/194/EWG über die Erweiterung des Geltungsbereichs der RL 64/221/EWG auf Arbeitnehmer, die von dem Recht, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbleiben können, Gebrauch machen
  • 73/148/EWG zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkung für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs
  • 75/34/EWG über das Recht der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, nach Beendigung der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates zu verbleiben
  • 75/35/EWG zur Erweiterung des Geltungsbereichs der RL 64/221/’EWG auf die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, die von dem Recht, nach Beendigung der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbleiben zu können, Gebrauch machen
  • 90/364/EWG über das Aufenthaltsrecht
  • 90/365/EWG über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen
  • 93/96/EWG über das Aufenthaltsrecht der Studenten

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Nicht mit der Richtlinie aufgehoben wurde zunächst die VO (EWG) 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft mit Ausnahme (vgl. Art 38 Abs. 1 UnionsbürgerRL) der Art. 10 und 11 über Familienangehörige von Arbeitnehmern; ABl. 1968 L 257. Erst mit Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union vom 05.04.2011 (Abl. L 141 S.1) wurde die Verordnung des Rates 1612/68/EWG vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft in Gänze aufgehoben. Aufgehoben in der Folge wurde gleichzeitig Art. 38 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie. In der Erwägung, dass die VO 1612/68 mehrfach und erheblich geändert wurde, wurde mit der VO 492/2011 eine kodifizierende Neufassung aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit erlassen. Die in nachstehendem Zusammenhang aufenthaltsrechtlich maßgebliche Regelung des Art. 12 der VO 1612/68/EWG wurde wortgleich in Art. 10 der VO 492/2011/EU übernommen. Auswirkungen durch die Neufassung ergeben sich insoweit nicht. Bei unveränderter Rechtslage behalten die Ausführungen des EuGH zu den nachstehenden Verfahren auch unter Geltung der kodifizierten Neuregelung ihre Gültigkeit.

5

Diese Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer hat neben der Gewährung sozialer Vergünstigungen auch aufenthaltsrechtlich weiterhin Bedeutung

EuGH, U. v.17.09.2002 – Rs. C-413/99 –, Baumbast, Slg. 2002, I-7091;
EuGH, U. v.23.02.2010 – Rs. C-310/08 – Ibrahim und
EuGH, U. v. 23.02.2010 – Rs. C-480/08 –,Texeira.

Der EuGH stellt in Fallkonstellationen von Art. 12 der VO 1612/68 nicht auf Unionsbürgerschaft, Personenfreizügigkeit und Diskriminierungsverbot ab, sondern misst die Rechte am gesetzten und weiter gültigen Gemeinschaftsrecht. Art. 12 (jetzt Art. 10 VO 492/2011) gewährt Kindern eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, Inländergleichbehandlung beim Zugang zu schulischer und beruflicher Ausbildung, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnen. Nach Entscheidung des EuGH in den Rechtssachen Ibrahim bzw. Texeira hatte die Unionsbürgerrichtlinie nicht das Ziel, die mit dieser Verordnung verliehenen Rechte zu beschränken. Allein auf der Grundlage von Art. 12 der VO 1612/68 (jetzt Art. 10 VO 492/2011) steht den Kindern eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Aufnahmemitgliedstaat beschäftigt oder beschäftigt gewesen ist, sowie dem die tatsächliche elterliche Sorge wahrnehmenden Elternteil, ein Recht auf Aufenthalt zu.
Gleiches gilt für den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats in seiner Eigenschaft als das Sorgerecht wahrnehmendes Elternteil während der Ausbildung des Kindes und bis zur Vollendung der Volljährigkeit des Kindes, sofern es nicht weiterhin der Anwesenheit und Fürsorge dieses Elternteils bedarf, um seine Ausbildung fortsetzen und abschließen zu können. Dieses autonom nach Art. 12 der VO 1612/68 (jetzt Art. 10 VO 492/2011) anzuwendende Recht ist nicht von den in der Unionsbürgerrichtlinie aufgestellten Voraussetzungen abhängig und insbesondere nicht abhängig von vorhandenen Existenzmitteln und einem umfassenden Krankenversicherungsschutz

EuGH, U. v. 23.02.2010 – Rs. C-310/08 –, Ibrahim, Rdnr. 59.

Die VO (EWG) 1251/70 über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates zu verbleiben, wurde erst mit VO 635/2006 vom 25.04.2006 aufgehoben; ABl. EG L 112.

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Mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 01.01.2005 wurden das Aufenthaltsgesetz/EWG und die Freizügigkeitsverordnung durch das Freizügigkeitsgesetz/EU ersetzt (Art. 2, 15 III Nr. 2 und 8 Zuwanderungsgesetz). Zielsetzung des Gesetzgebers war eine Gesamtrevision des Freizügigkeitsrechts für Unionsbürger, die den veränderten europäischen Rahmenbedingungen Rechnung tragen sollte (BT-Drs. 15/420), ohne dass hiermit jedoch bereits eine vollständige Umsetzung der Unionsbürgerrichtlinie erfolgt war. Notwendige Anpassungen wurden verspätet mit dem am 28.08.2007 in Kraft getretenen Richtlinienumsetzungsgesetz Gesetz vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) vorgenommen.

Angesichts der komprimierten Fassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU mit 15 Paragraphen, die zudem durch zahlreiche Verweise und Zusammenfassung komplexer Sachverhalte nicht eben benutzerfreundlich verfasst sind, ist dem Rechtsanwender die vergleichende Betrachtung des Textes der Unionsbürgerrichtlinie und der Blick auf die Rechtsprechungsentwicklung durch den EuGH anzuraten, dies auch mit Blick auf die eingangs gemachten Ausführungen zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts und der unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen.

 

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