Gesetz:
Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU)
Paragraph:
§ 7 Ausreisepflicht
Autor:
OK-MNet
Stand:
MNet in: OK-MNet-FreizügG/EU (24.10.2024)

Ausreisefrist

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Rechtsgrundlage für eine Abschiebungsandrohung im Anwendungsbereich des FreizügG/EU ausschließlich § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU; diese kann nicht auf §§ 58, 59 AufenthG gestützt werden. Einzelheiten siehe oben unter Abschnitt B.

VGH BW, U. v. 30.04.2014 –11 S 244/14– Rn. 98 ff.
HessVGH, U. v. 18.08.2011 – 6 B 821/11 – Rn. 20
VG Freiburg (Breisgau), B. v. 26.10.2020 – 10 K 2573/20 – Rn. 102

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Der Wortlaut des Art. 30 Abs. 3 Satz 1 Richtlinie 2004/38/EG spricht davon, dass „gegebenenfalls“ (franz.: „le cas échéant“; engl.: „where applicable“) eine Ausreisefrist anzugeben ist. 

OVG der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 6. September 2024 – 2 B 206/24 –, Rn. 31

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Mit dieser Formulierung eröffnet die Regelung einen Spielraum, der über die ausdrücklich genannten "dringenden Fälle" hinausgeht.

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Im Hinblick auf die abschließende Regelung des § 7 Abs. 1 FreizügG/EU sind die Regelungen über die Ausreisefrist in § 59 Abs. 1, 5, 7 AufenthG nicht anwendbar. Eine Ausnahme gilt im Hinblick auf § 59 Abs. 1 Sätze 6 und 7 AufenthG, die über den Verweis in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU entsprechend anzuwenden sind.

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Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU soll die Abschiebung in dem Bescheid, in welchem der Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt wird, angedroht und eine Ausreisefrist gesetzt werden. Dabei muss nach Satz 3 der Vorschrift außer in dringenden Fällen die Frist mindestens einen Monat betragen. Zwar kann die dem Unionsbürger zu setzende Ausreisefrist danach in dringenden Fällen verkürzt werden. Ein gänzliches Absehen von der Festsetzung einer Ausreisefrist ist indes nicht vorgesehen.

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Ein dringender Fall für die Verkürzung der einmonatigen Ausreisefrist liegt nur dann vor, wenn von dem Unionsbürger eine so intensive Störung der öffentlichen Sicherheit ausgeht, dass ein einmonatiger Aufenthalt des Unionsbürgers unter Sicherheitsaspekten schlechterdings nicht mehr hinnehmbar ist. Es muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Beeinträchtigung für ein überragend wichtiges Rechtsgut binnen der Mindestausreisefrist von einem Monat drohen, um eine Unterschreitung dieser Ausreisefrist zu rechtfertigen.

VG des Saarlandes, B. v. 18.01.2021 – 6 L 1361/20 – Rn. 32

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Weder § 7 Abs. 1 FreizügG/EU noch Art. 30 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG nennen die Inhaftierung des Betroffenen als einen Grund, um bei der Feststellung eines Verlusts des Freizügigkeitsrechts von der Gewährung einer Ausreisefrist abzusehen. Sie schreiben vielmehr vor, dass die Ausreisefrist „außer in dringenden Fällen“ mindestens einen Monat betragen muss. Soweit diese Vorschriften es erlauben sollten, im Einzelfall ganz von der Gewährung einer Ausreisefrist abzusehen, müsste es sich jedenfalls um einen „dringenden Fall“ handeln. Allein der Umstand einer Inhaftierung würde für sich genommen nicht genügen.

OVG der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 6. September 2024 – 2 B 206/24 –, Rn. 23

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Die Nichtgewährung einer Ausreisefrist kann nicht auf § 59 Abs. 5 AufenthG gestützt werden.

OVG der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 6. September 2024 – 2 B 206/24 –, Rn. 24 m.w.N.

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Dass Art. 30 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG den Fall eines inhaftierten Betroffenen nicht ausdrücklich erwähnt, erlaubt nicht den Schluss, dass dieser Fall dort nicht (mit)geregelt sei. Vielmehr spricht gegen eine Regelungslücke gerade der Umstand, dass in Art. 30 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie eine Ausnahme von der Gewährung einer mindestens einmonatigen Ausreisefrist geregelt ist (nämlich in „dringenden Fällen“), dafür, dass es andere Ausnahmefälle nicht gibt. Die Inhaftierung des Betroffenen ist kein Sachverhalt, der so atypisch ist, dass nicht anzunehmen wäre, der Richtliniengeber hätte ihn in der RL 2004/38/EG erwähnt, wenn er gewollt hätte, dass in solchen Fällen eine einmonatige Ausreisefrist entbehrlich ist. Dass Menschen, bei denen der Verlust des Freizügigkeitsrechts aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung festgestellt wird, inhaftiert sind, ist nicht selten.

OVG der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 6. September 2024 – 2 B 206/24 –, Rn. 27