C. Daueraufenthaltsrecht bei Erwerbsminderung oder Tod

 

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II.

Unionsbürger, die aus dem Erwerbsleben ausscheiden oder den nationalen Arbeitsmarkt verlassen

§ 4a Abs. 2 Nr. 2 b) FreizügigG/EU setzt Art. 17 der UnionsbürgerRL um. Zwar setzen § 4a Abs. 2 Nr. 2 b) FreizügG/EU sowie Art. 17 Abs. 1 b) Satz 1 UnionsbürgerRL nach ihrem Wortlaut die Rechtmäßigkeit des mindestens zweijährigen Voraufenthalts nicht ausdrücklich voraus. Der systematische Zusammenhang der Regelung mit § 4a Abs. 1 FreizügG/EU bzw. mit Art. 16 Abs. 1 UnionbürgerRL, die jeweils einen ständigen bzw. ununterbrochenen rechtmäßigen fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet bzw. Aufnahmemitgliedstaat voraussetzen und von denen § 4a Abs. 2 FreizügG/EU bzw. Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG eine Ausnahme in zeitlicher Hinsicht machen, legt ein solches Verständnis jedoch nahe.

VG Aachen, B. v. 19.10.2020 – 8 L 1413/19, ECLI:DE:VGAC:2020:1019.8L1413.19.00,  Rn. 33

Eine bestimmte Mindestzeit der Erwerbstätigkeit verlangt die Vorschrift - anders als etwa § 4a Abs. 2 Nr. 1 oder 3 FreizügG/EU bzw. Art. 17 Abs. 1 a) und c) der Richtlinie 2004/38/EU - hingegen nicht.

VG Aachen, B. v. 19.10.2020 – 8 L 1413/19, ECLI:DE:VGAC:2020:1019.8L1413.19.00,  Rn. 33

In der Unionbürgerrichtlinie wird im Gegensatz zum FreizügG/EU nicht von "voller Erwerbsminderung", sondern von "dauernder Arbeitsunfähigkeit" ("permanent incapacity to work", "incapacité permanente de travail") gesprochen. Daher dürfte der Begriff der Erwerbsfähigkeit auch in diesem Zusammenhang so auszulegen sein, dass auf eine dauernde Arbeitsunfähigkeit abzustellen ist und nicht auf eine volle Erwerbsminderung im Sinne des deutschen Rentenrechts (§ 43 Abs. 2 SGB VI). Dies entspricht zudem dem Sinn und Zweck der Vorschrift, einem erwerbstätigen Unionsbürger ein Daueraufenthaltsrecht schon nach einer kürzeren Aufenthaltszeit als fünf Jahren einzuräumen, wenn er unfreiwillig infolge einer dauerhaften - krankheits- oder unfallbedingten - Arbeitsunfähigkeit aus dem Arbeitsmarkt ausscheidet, sofern er zumindest eine gewisse Mindestvoraufenthaltszeit und damit Integration im Mitgliedstaat aufweisen kann.

VG Aachen, B. v. 19.10.2020 – 8 L 1413/19, ECLI:DE:VGAC:2020:1019.8L1413.19.00,  Rn. 33

Der Bezug einer Rente wird demgegenüber allein in Art. 17 Abs. 1 b) Satz 2 UnionbürgerRL, umgesetzt durch § 4a Abs. 2 Nr. 2 a) FreizügG/EU, unabhängig von einer Mindestvoraufenthaltszeit für den privilegierten Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts vorausgesetzt. Daher liegt es nahe, zur Auslegung des Begriffs der dauernden Arbeitsunfähigkeit die o.a. Rechtsprechung des Gerichthof der EU zu Art. 7 Abs. 3 UnionbürgerRL heranzuziehen. Eine solche ist daher anzunehmen, wenn der Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit aufgibt, in einem angemessenen Zeitraum nicht mehr zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt fähig ist und hierfür nicht zur Verfügung steht.

VG Aachen, B. v. 19.10.2020 – 8 L 1413/19, ECLI:DE:VGAC:2020:1019.8L1413.19.00,  Rn. 34

 

Das Daueraufenthaltsrecht in § 4a Abs. 2 FreizügigG/EU wird unter unterschiedlichen Integrationsanforderungen für folgende Unionsbürger geregelt:

  • Personen, die das Rentenalter erreichen (Nr 1 lit. a),
  • Vorruheständler (Nr 1 lit. b),
  • Personen, die dauernd arbeitsunfähig sind (Nr 2), und
  • Grenzgänger (Nr 3).

Maßgebliche Parameter für die Verbundenheit mit dem Aufnahmemitgliedstaat bilden die Anforderungen an die Aufenthaltsdauer und die Mindestdauer der Erwerbstätigkeitsdauer, wie sie nach den Materialien der UnionsbürgerRL den abgelösten Vorgängerreglungen zum Verbleiberecht unverändert entsprechen sollen.

Indem der nationale Gesetzgeber alle Daueraufenthaltsrechte aus § 4a Abs. 1 bis 5 gleichsam vor die Klammer des § 4a Abs. 6 FreizügigG/EU setzt, findet die Unschädlichkeit von Abwesenheitszeiten aus Art. 16 Abs. 3 UnionsbürgerRL diese Regelung entsprechend auch auf die aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Unionsbürger Anwendung.

Dies entspricht der gemeinschaftlichen Regelung, die zum Ziel hat, Restriktionen beim Verbleiberecht abzubauen.

Die Begründung des ersten Richtlinienvorschlags führt aus, die vormals in Art. 18 (jetzt Art. 16 Abs. 3) aufgenommene Vorschrift zur Kontinuität des Aufenthalts habe Art. 4 der VO (EWG) 1251/70 übernommen und abgeändert. Bereits die VO (EWG) 1251/70 und die Richtlinie 75/34/EWG sahen Regelungen über unschädliche Abwesenheitszeiten vor, die in Artikel 17 der UnionsbürgerRL nicht aufgenommen wurden und insoweit nur unter Rückgriff auf Art. 16 Anwendung finden können.

Gem. Art. 4 der VO (EWG) Nr. 1251/70 wurde der ständige Aufenthalt weder durch vorübergehende Abwesenheiten bis zu insgesamt drei Monaten im Jahr noch durch längere Abwesenheiten zur Ableistung des Wehrdienstes berührt.

Art. 4 der Richtlinie 75/34/EWG traf eine gleichlautende Regelung.

Nachdem eine Reduzierung der aus diesen Vorschriften erlangten Vergünstigungen nicht Ziel der UnionsbürgerRL ist, dürfte es nicht zweifelhaft sein, dass die in Art. 16 der UnionsbürgerRL aufgestellten „allgemeinen Regeln“ auch für die von Art. 17 und 18 Begünstigten Gültigkeit haben.

Im ersten Entwurf war zudem die Regelung über Abwesenheitszeiten nicht in Abschnitt I des Kapitels IV (Erwerb), sondern in Abschnitt II (Formalitäten) angesiedelt. Der Antrag auf Streichung und Aufnahme in Abschnitt I wurde im Rechtsetzungsverfahren damit begründet, dass die Regelung zu Abwesenheitszeiten eine grundsätzliche Bedingung darstelle, keine administrative.

Nicht umgesetzt hat der nationale Gesetzgeber die aufgrund der hinreichend konkreten Verpflichtung unmittelbar Anwendung findenden Vorgaben aus Art. 17 Abs. 1 der UnionsbürgerRL, wonach Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, die vom zuständigen Arbeitsamt ordnungsgemäß festgestellt werden, oder vom Willen des Betroffenen unabhängige Arbeitsunterbrechungen sowie krankheits- oder unfallbedingte Fehlzeiten oder Unterbrechungen als Zeiten der Erwerbstätigkeit gelten.

Auch hierzu sahen die VO (EWG) 1251/70 und die Richtlinie 75/34/EWG bereits vergleichbare Regelungen jeweils in Art. 4 vor.

Die vom zuständigen Arbeitsamt ordnungsgemäß bestätigten Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit und die Abwesenheiten infolge Krankheit oder Unfall galten bei Arbeitnehmern als Beschäftigungszeiten im Sinne von Artikel 2 Absatz 1, bei Selbständigen galten Zeiten einer Einstellung der Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, und Zeiten einer Einstellung der Tätigkeit infolge Krankheit oder Unfalls als Tätigkeitszeiten im Sinne von Artikel 2 Absatz 1.

Nur am Rande anzumerken ist, dass sich auch in der vorgenannten Anrechnungsregel ein gravierender Unterschied zu türkischen Staatsangehörigen, die Vergünstigungen aus dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 Türkei EWG (ARB) erworben haben, zeigt.

Darüber hinaus, dass dieser Personenkreis kein Daueraufenthalts- und Verbleiberecht bei Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nach dem für Unionsbürger geltenden Recht erwirken kann, regelt Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80:

„Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.“

Insoweit erscheint es auch fragwürdig, das Erlöschen von Rechten aus Art. 7 ARB 1/80, die nach Rechtsprechung des EuGH an keine Erwerbstätigkeit geknüpft sind, als „Daueraufenthaltsrecht“ am Maßstab des Art. 16 Abs. 3 der UnionsbürgerRL zu messen (so aber das OVG Berlin/BB, U. v. 11.05.2010 - 12 B 26.09 -, InfAuslR 2010, 372).

Gem. Erlass des IM NRW vom 14.12.2007 (15-39.01.03-2) soll bei Ausscheiden aus dem Erwerbsleben in Fällen türkischer Staatsangehöriger, die Rechte aus dem ARB 1/80, jedoch keine Niederlassungserlaubnis gem. § 9 AufenthG oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG gem. § 9a AufenthG erlangt haben, bei denen trotz fehlender Lebenshaltungssicherung eine Rückführung nicht möglich ist, im Einvernehmen mit dem BMI eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG erfolgen.

Bei Personen, die das Rentenalter erreichen oder in den Vorruhestand eintreten, setzt die Erlangung eines Daueraufenthaltsrechts kumulativ einen dreijährigen ständigen Aufenthalt und eine Mindestdauer der Erwerbstätigkeit während der letzten zwölf Monate im Bundesgebiet voraus.

§ 4a Abs. 2 FreizügigG/EU setzt ebenso wie die UnionsbürgerRL ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben voraus, um eine Besserstellung hinsichtlich der Anforderungen an die zurückgelegten Aufenthalts- und Erwerbszeiten zu erlangen.

Soweit § 4a Abs. 2 Nr. 1a FreizügigG/EU ein feststehendes Rentenalter von 65 Jahren benennt, erweist sich Art. 17 Abs. 1 lit. a der UnionsbürgerRL hier flexibler, indem dort auf das gesetzlich vorgesehene Alter im betreffenden Mitgliedstaat abgestellt wird. In Hinblick auf die aktuelle Debatte zum Hinschiebens des Rentenalters auch unter Berücksichtigung verschiedener Kategorien von Arbeitnehmern könnte sich die Flexibilität der Richtlinie als praktikabler erweisen. Abweichungen von der starren Altergrenze wären gemeinschaftsrechtskonform Rechnung zu tragen, wenn eine nationale Regelung für bestimmte berufliche Tätigkeiten ein Eintrittsalter unterhalb von 65 Jahren vorsieht.

Unionsbürgern, die mit Renteneintrittsalter aus dem Erwerbsleben ausscheiden, sind gem. § 4a Abs. 2 Nr. 1 b FreizügigG/EU Personen gleichgestellt, die aufgrund einer Vorruhestandsregelung aus dem Erwerbsleben ausscheiden.

Zu Grundlage, Herkunft oder rechtliche Beschaffenheit der Vorruhestandsregelung stellen nationaler Gesetzgeber und Gemeinschaftsgesetzgeber keine Forderung auf.

In Hinblick auf das Erfordernis des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben stellt jedoch die „Altersteilzeitkeine Vorruhestandsregelung im Sinne dieser Vorschrift dar, da hier nur stufenweise Vorwirkungen des Ruhestandes vollzogen werden.

§ 4 a Abs. 2 Nr. 2 FreizügigG/EU setzt Art. 17 Abs. a lit. b der UnionsbürgerRL um. Anders als im FreizügigG/EU verwendet die Richtlinie die Begriffsbestimmung der dauernden Arbeitsunfähigkeit.

Ist diese durch Arbeitunfall oder Berufskrankheit kausal geworden und begründet diese einen Rentenanspruch gegenüber einem Rententräger im Bundesgebiet, werden gem. § 4a Abs. 2 Nr. 2 a weitere Anforderungen an die Erlangung des Daueraufenthaltsrechts nicht aufgestellt.

Anders verhält es sich, wenn die dauernde Arbeitsunfähigkeit gem. § 4a Abs. 2 Nr. 2 b nicht auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit beruht. Voraussetzung für das Daueraufenthaltsrecht ist für diesen Fall, dass der Unionsbürger bei Eintritt der dauernden Arbeitsunfähigkeit Arbeitnehmer oder Selbständiger ist und sich zuvor mindestens zwei Jahre - ohne Erfordernis einer Zweckbindung für diese Aufenthaltsdauer an einen Arbeitsaufenthalt - ständig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Art. 17 Abs. 2 UnionsbürgerRL bzw. § 4a Abs. 2 Satz 2 FreizügigG/EU führen bei Erlangung des Daueraufenthaltsrechts gem. § 4a Abs. 2 Nr. 1 sowie bei unvorhersehbaren Verlust der Arbeitsfähigkeit gem. § 4a Abs. 2 Nr. 2 für den Fall, dass der Ehegatte des Arbeitnehmers oder des Selbständigen die Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats besitzt oder besaß, die besonderen Bedingungen aus der VO (EWG) 1251/70 und der Richtlinie 75/34/EWG fort.

Hier regelte bereits in der Vergangenheit jeweils Art. 2 Abs.2, dass die Voraussetzungen der Dauer des Wohnsitzes und der Dauer der Tätigkeit entfallen, wenn der Ehegatte des Arbeitnehmers bzw. des Selbständigen die Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats besitzt oder sie durch Eheschließung mit dem Selbständigen verloren hat.

§ 4a Abs. 2 Nr. 3 FreizügigG/EU begünstigt wie zuvor auch die VO (EWG) 1251/70 Grenzgänger, die drei Jahre ständig im Bundesgebiet erwerbstätig waren und unter Beibehaltung ihres Wohnsitzes im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat aufnehmen. Durch die geforderte mindestens wöchentliche Rückkehr in den Wohnsitzstaat bleibt die Verbundenheit zum Aufnahmemitgliedstaat erhalten.

Die Anrechenbarkeit der Zeiten der Erwerbstätigkeit im anderen Mitgliedstaat für Zeiten zu Erlangung des Daueraufenthaltsrechts nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 und 2 trägt dem Rechnung, dass eine Schlechterstellung infolge der Inanspruchnahme der Freizügigkeit nicht herbeigeführt werden bzw. der Unionsbürger nicht von der Inanspruchnahme der Freizügigkeit abgehalten werden soll.

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III.

Familienangehörige eines verstorbenen Unionsbürgers

 

§ 4a Abs. 3 FreizügigG/EU regelt das Daueraufenthaltsrecht der Familienangehörigen eines verstorbenen Unionsbürgers nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, der noch nicht das Daueraufenthaltrecht erworben hat.

Nach dem Gemeinschaftsrecht sind unabhängig vom Bezug auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FreizügigG/EU Familienangehörige von verstorbenen „Arbeitnehmern und Selbständigen“ erfasst.

Art. 17 Abs. 4 der UnionsbürgerRL sieht vor, dass die Familienmitglieder des Arbeitnehmers oder Selbstständige, der im Laufe seines Erwerbslebens verstorben ist, bevor er das Recht auf Daueraufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat erworben hat, das Recht haben, sich dort ständig aufzuhalten, sofern

  • der Arbeitnehmer oder Selbstständige sich zum Zeitpunkt seines Todes seit zwei Jahren im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ununterbrochen aufgehalten hat oder
  • der Tod infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit eingetreten ist oder
  • der überlebender Ehegatte die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats durch Eheschließung mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbstständigen verloren hat.

Vorausgesetzt wird ein gemeinsamer Aufenthalt mit dem Unionsbürger bei Eintritt des Todes.

Die Regelung setzt die VO 1251/70/EWG fort.

Zu Art. 3 Abs. 2 VO 1251/70/EWG, der die Formulierung „seit mindestens 2 Jahren“ enthielt, hatte der EuGH in der Rechtsache Givane entschieden, dass der zweijährige ständige Aufenthalt dem Tod des Arbeitnehmers unmittelbar vorhergehen muss.

Zum Todeszeitpunkt muss der Aufenthalt des Familienangehörigen akzessorisch sein.

EuGH, U. v. 09.01.2003. Givane, C-257/00, ECLI:EU:C:2003:8

§ 4a Abs. 3 Nr. 3 FreizügigG/EU geht über die Vorgaben der UnionsbürgerRL hinaus, als er das eigenständige Daueraufenthaltsrecht nicht nur vermittelt, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit infolge der Eheschließung mit dem Unionsbürger verloren gegangen ist, sondern auch in Fällen, in denen der überlebende Ehegatte die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Das nationale Recht führt hiermit weiterhin die früheren gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, die sich aus Art. 3 Abs. 2 VO (EWG) 1251/70/ und Art. 3 Abs. 2 Richtlinie 75/34/EWG ergaben, fort.

Auf den ersten Blick mag diese Regelung kaum praktische Bedeutung haben, da deutsche Staatsangehörige ohnehin nach Art. 11 GG Freizügigkeit genießen und günstigere nationale Regelungen gem. Art. 37 RL 2004/38/EG mit der UnionsbürgerRL vereinbar sind. Grundsätzlich ist jedoch ein deutscher Staatsangehöriger, der von seinem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, kein Berechtigter im Sinne der UnionsbürgerRL.

Unterfällt aber nun der deutsche Staatsangehörige dem Gemeinschaftsrecht, findet das nationale Recht beim Familiennachzug Drittstaatsangehöriger zu deutschen Staatsangehörigen in dieser Konstellation und Vorschriften zur Aufenthaltsbeendigung Drittstaatsangehöriger - auf dieser Grundlage zugewanderter Familienmitglieder - ggf. keine Anwendung mehr, vgl. u.a. nach nationalem Recht u.a. Integrationsanforderungen§ 28 AufenthG und Ausweisungsschutz des Familienangehörigen § 56 AufenthG.

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IV.

Familienangehörige eines zum Daueraufenthalt berechtigten Unionsbürgers

In Umsetzung von Art. 17 Abs. 3 der UnionsbürgerRL erfordert § 4a Abs. 4 FreizügigG/EU für Familienangehörige eines Unionsbürgers, der bereits das Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 2 oder das Daueraufenthaltsrecht vor seinem Tod erworben hat, lediglich den gemeinsamen Aufenthalt mit dem Unionsbürger zum Zeitpunkt, an dem der Unionsbürger ein Recht auf Daueraufenthalt besitzt. Weitere Anforderungen an einen Voraufenthalt sind hieran nicht geknüpft. Der „gemeinsame Aufenthalt“ erfordert eine schutzwürdige Lebensgemeinschaft, die sich nicht nur in einer häuslichen Gemeinschaft, sondern nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 2 FreizügigG/EU auch in einer fortwährenden Unterhaltsgewährung und in familiärer Nähe niederschlagen kann.

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V.

Familienangehörige, die ein Verbleiberecht gem. § 3 Abs. 3 bis 5 erlangt haben

 

§ 4a Abs. 5 FreizügigG/EU regelt die Erlangung eines Daueraufenthaltsrechts für drittstaatsangehörige Verbleibeberechtigte gem. § 3 Abs. 3 bis 5 FreizügigG/EU nach Wegzug des Unionsbürgers, dessen Tod, Scheidung oder Eheaufhebung. Der geforderte rechtmäßige fünfjährige Voraufenthalt muss auf Zweckbindung von § 3 Abs. 3 bis 5 FreizügigG/EU bzw. Art. 12 Abs. 2 oder Art. 13 Abs. 2 UnionsbürgerRL beruhen.

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Zu § 4a und der Gliederung seiner Kommentierung
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