Gesetz:
Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG)
Paragraph:
§ 6 [Erwerb durch Annahme als Kind]
Autor:
Dr. Dienelt
Stand:
Dienelt in: OK-MNet-StAG (09.02.2011)

Minderjährigeneigenschaft

Eintritt der Volljährigkeit im Adoptionsverfahren

Nach § 6 Satz 1 StAG erwirbt eine Ausländerin, die erst nach Eintritt der Volljährigkeit von einem Deutschen als Kind angenommen wird, mit der Adoption zugleich kraft Gesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit, sofern die Adoption schon vor der Vollendung des 18. Lebensjahres beantragt worden ist.

BVerwG, U. v. 14.10.2003 – 1 C 20/02 –, BVerwGE 119, 111, 1. Leitsatz

§ 6 Satz 1 StAG ist daher jedenfalls dann anzuwenden, wenn Verzögerungen des Adoptionsverfahrens eintreten, die eine wirksame Annahme als Kind vor dem "Stichtag" der Vollendung des 18. Lebensjahres verhindern. Voraussetzung ist, dass die Volljährigkeit während eines noch nicht abgeschlossenen Adoptionsverfahrens eintritt und dass die anschließende Annahme als Erwachsener zu den Bedingungen einer "starken" Minderjährigenadoption nach § 1772 BGB erfolgt, die zivilrechtlich im Wesentlichen die Wirkungen einer Volladoption entfaltet. Nur dann ist es gerechtfertigt, dem Ausländer auch staatsangehörigkeitsrechtlich die Rechtswirkungen einer (Voll-)Adoption als minderjähriges Kind über den Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus zu gewähren.

BVerwG, U. v. 14.10.2003 – 1 C 20/02 –, BVerwGE 119, 111, Rn. 20

Nur ein im Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres noch nicht abgeschlossenes Adoptionsverfahren, d.h. ein zu diesem Zeitpunkt noch anhängiger Annahmeantrag nach § 1752 BGB kann die Rechtswirkungen des § 6 Satz 1 StAG vermitteln. Wird der Ausländer während des Adoptionsverfahrens volljährig und stellt zusätzlich einen Antrag auf Annahme eines Volljährigen zu den Bedingungen der Annahme als Minderjähriger, so liegen die Voraussetzungen für eine Einbürgerung nach § 6 StAG weiterhin vor.

BVerwG, U. v. 14.10.2003 – 1 C 20/02 –, BVerwGE 119, 111, Rn. 20

Auch der Umstand, dass das Vormundschaftsgericht auf den mit dem Eintritt der Volljährigkeit erforderlichen neuen Antrag ein zweites (Volljährigen-) Adoptionsverfahren mit neuem Geschäftszeichen einleitet und durchgeführt, steht der Anwendung des § 6 Satz 1 StAG nicht entgegen, wenn der im Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes auf Minderjährigenadoption gerichtete (erste) Antrag anhängig und weder abschließend negativ beschieden noch wirksam zurückgenommen wurde.

BVerwG, U. v. 14.10.2003 – 1 C 20/02 –, BVerwGE 119, 111, Rn. 20

Volljährigkeit bei Antragstellung im Adoptionsverfahren (Erwachsenenadoption)

Neben dem eindeutigen Wortlaut sprich auch die Entstehungsgeschichte des § 6 StAG für einen Ausschluss der Erwachsenenadoption. Den Staatsangehörigkeitserwerb kraft Gesetzes durch Annahme als Kind regelte erstmals § 6 Satz 1 RuStAG in der Fassung des Adoptionsgesetzes von 1976. Danach erwarb ein minderjähriges Kind mit der nach den deutschen Gesetzen wirksamen Annahme als Kind durch einen Deutschen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Gesetzesbegründung (BTDrucks 7/3061, S. 64 ff.) ging seinerzeit davon aus, dass nur das minderjährige Kind, in dessen Interesse auch der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Adoption liege, die Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes erwerben sollte. Dagegen sollte ein Staatsangehörigkeitserwerb durch Gesetz bei der Volljährigenadoption generell ausgeschlossen sein, auch in den Fällen des § 1772 BGB, der eine Annahme zu den Bedingungen der Minderjährigenadoption – also eine "starke" oder Volladoption – ermöglicht.

BVerwG, U. v. 14.10.2003 – 1 C 20/02 –, BVerwGE 119, 111, Rn. 18

Durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts von 1986 wurde der Wortlaut so geändert, wie er bis heute fortgilt: die Formulierung "das minderjährige Kind" wurde ersetzt durch "das Kind, das im Zeitpunkt des Annahmeantrags das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat". Danach erwirbt seither das Kind, das im Zeitpunkt des Annahmeantrags das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, mit der nach deutschem Recht wirksamen Annahme als Kind durch einen Deutschen automatisch (ex lege) auch die deutsche Staatsangehörigkeit.

BVerwG, U. v. 14.10.2003 – 1 C 20/02 –, BVerwGE 119, 111, Rn. 19

Damit wurde das im Gesetzgebungsverfahren 1976 betonte Prinzip des ausschließlichen gesetzlichen Erwerbs der Staatsangehörigkeit für im Zeitpunkt der Adoption (noch) Minderjährige aufgegeben und erstmals eine staatsangehörigkeitsrechtliche Begünstigung für im Laufe des Adoptionsverfahrens volljährig werdende Ausländer eingeführt. In vergleichbarer Weise war 1976 im materiellen Adoptionsrecht eine Begünstigung für im Zeitpunkt der Annahme bereits Volljährige unter bestimmten engen Voraussetzungen (vgl. § 1772 Abs. 1 Buchst. a - c BGB) eingeführt worden. Den hierdurch Begünstigten wurde zwar keine echte Minderjährigenadoption ermöglicht, aber gemäß § 1772 BGB praktisch eine Volladoption zu den (im Wesentlichen gleichen) Bedingungen einer Annahme als Minderjährige. Den Gesetzesmaterialien lässt sich zwar nicht ausdrücklich entnehmen, warum der Gesetzgeber bei der Novellierung im Jahre 1986 von der 1976 betonten Intention abgewichen ist, ausschließlich im Zeitpunkt der Adoption noch Minderjährige automatisch einzubürgern. Hierfür dürften aber die gleichen oder ähnliche Motive maßgebend gewesen sein, die später im Jahre 1997 zu der parallelen Begünstigungsvorschrift des § 1772 Abs. 1 Buchst. d BGB geführt haben. Nach dem Willen des Rechtsausschusses sollte die Ergänzung "einer erleichterten, situationsgerechten Gesetzesanwendung im Grenzbereich zwischen Minderjährigen- und Volljährigenadoption" dienen. Als eine solche, der Abgrenzung dienende Erleichterungsvorschrift ist erkennbar auch § 6 Satz 1 StAG konzipiert.

BVerwG, U. v. 14.10.2003 – 1 C 20/02 –, BVerwGE 119, 111, Rn. 19

Außerdem liegt es nahe, im Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung eine Entscheidung des Gesetzgebers im Interesse der Minderjährigen zu sehen, denen die ihnen gewährten Rechtsvorteile ohne Rücksicht auf Gestaltung und Dauer von Verfahren erhalten bleiben sollen .

BVerwG, U. v. 14.10.2003 – 1 C 20/02 –, BVerwGE 119, 111, Rn. 19

Die Altersgrenze führt auch nicht zu einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Es bestehen nämlich genügend Gründe, die die unterschiedliche, Minderjährige bevorzugende Regelung zu rechtfertigen vermögen.

BVerwG, U. v. 14.10.2003 – 1 C 20/02 –, BVerwGE 119, 111
BVerwG, B. v. 10.03.1998 – 1 B 249.97 –, Buchholz 130 § 6 RuStAG Nr. 2 = InfAuslR 1998, 401
BVerwG, U. v. 18.12.1998 – 1 C 2/98 –, BVerwGE 108, 216

Durch die Altersgrenze wird vermieden, dass Volljährige die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund einer Adoption nicht – wie minderjährige Ausländer – kraft Gesetzes erwerben. Hierdurch werden Anreize vermeiden, durch eine Adoption die für Ausländer bestehenden aufenthaltsrechtlichen, berufsrechtlichen und sonstigen Beschränkungen zu umgehen.

BVerwG, U. v. 14.10.2003 – 1 C 20/02 –, BVerwGE 119, 111
BVerwG, U. v. 18.12.1998 – 1 C 2/98 –, BVerwGE 108, 216
vgl. BT-Drs. 7/3061, S. 65; 10/504, S. 96.

Die Annahme des Gesetzgebers, dass die Gefahr einer derartigen Umgehung bzw. eines derartigen Missbrauchs bei erwachsenen Ausländern typischerweise größer ist als bei ausländischen Kindern, ist sachlich nicht zu beanstanden.

BVerwG, U. v. 18.12.1998 – 1 C 2/98 –, BVerwGE 108, 216

Durch die Altersgrenze wird bei volljährigen Ausländern zudem eine doppelte Staatsangehörigkeit möglichst vermieden. Auch in diesem Zusammenhang ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber dieser Zielsetzung bei volljährigen Ausländern größeres Gewicht zumisst als bei minderjährigen Ausländern.

BVerwG, U. v. 18.12.1998 – 1 C 2/98 –, BVerwGE 108, 216 unter Hinweis auf BVerfGE 37, 217 ; BVerwGE 84, 93

Schließlich ist die unterschiedliche Ausgestaltung der staatsangehörigkeitsrechtlichen Folgen einer Adoption auch im Hinblick auf die typischerweise andere Lebenssituation und größere Unselbständigkeit eines minderjährigen Adoptivkindes gerechtfertigt.

BVerwG, U. v. 18.12.1998 – 1 C 2/98 –, BVerwGE 108, 216 m.w.N.