Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat mit Urteil vom 21. April 2009 eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) aufgehoben, der einem Iraker sunnitisch-islamischer Glaubensrichtung wegen einer Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hatte (BVerwG 10 C 11.08). Nach Angaben der beklagten Bundesrepublik leben im Irak etwa 8 bis 10 Millionen Sunniten.
Der VGH war der Auffassung, dass dem 2006 nach Deutschland eingereisten Kläger wegen seines sunnitischen Glaubens bei einer Rückkehr in den Irak Verfolgung drohe, weil die Sunniten dort einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure, insbesondere durch schiitische Milizen, ausgesetzt seien. Der irakische Staat könne dagegen keinen Schutz bieten. Auch eine inländische Schutzalternative stehe dem aus Bagdad stammenden Kläger nicht zur Verfügung.
Der für das Asylrecht zuständige 10. Revisionssenat hat beanstandet, dass der VGH in dem angefochtenen Urteil von den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen für die Feststellung einer Gruppenverfolgung abgewichen ist. Danach braucht ein Flüchtling nicht notwendigerweise ein individuelles Verfolgungsschicksal darzulegen, sondern kann sich darauf berufen, dass er einer Gruppe angehört, die im Heimatstaat aus asylerheblichen Gründen verfolgt wird. Die Annahme einer solchen Gruppenverfolgung setzt allerdings voraus, dass die gegen diese Gruppe gerichteten Verfolgungshandlungen so intensiv und zahlreich sind, dass jedes einzelne Mitglied der Gruppe daraus die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit herleiten kann. Um diese Verfolgungsdichte festzustellen, müssen die Anzahl und Intensität der Verfolgungshandlungen gegenüber der gesamten Gruppe ermittelt und zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden.
Dem wird das Urteil des VGH nicht gerecht. Es beschränkt sich darauf, "häufige" Übergriffe nichtstaatlicher Akteure gegen Sunniten festzustellen und hält wegen der Schwierigkeiten weiterer Aufklärung eine genauere Ermittlung der Verfolgungsdichte für entbehrlich. Es fehlt damit schon an Feststellungen zur Größenordnung der Verfolgungshandlungen, die in dem hier maßgeblichen Zeitraum gegen Sunniten unter Anknüpfung an ihr religiöses Bekenntnis gerichtet waren. Der VGH hat vielmehr nur Angaben zur Gesamtzahl aller Getöteten und Verletzten unter der irakischen Zivilbevölkerung gemacht. Ebenso wenig hat er Feststellungen zur Größe der verfolgten Gruppe getroffen und diese in Beziehung zu den Verfolgungshandlungen gegen Sunniten gesetzt. Nur auf der Grundlage einer solchen Relationsbetrachtung lässt sich aber nachvollziehbar bewerten, ob für jeden Sunniten im Irak nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Verfolgung besteht.
Da das Bundesverwaltungsgericht selbst nicht die erforderlichen Tatsachen feststellen darf, hat es den Rechtsstreit zur weiteren Klärung - auch im Hinblick auf eine etwaige individuelle Verfolgung des Klägers oder gegebenenfalls die Gewährung anderweitigen Abschiebungsschutzes - an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.