Flüchtlingsanerkennung wegen Verfolgungsgefahr in Afghanistan wegen exponierter beruflicher Stellung der Eltern

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Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 16.09.2010 - Aktz.: 7 K 3373/09.F.A - die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, einem minderjährigen Afghanen paschtunischer Volkszugehörigkeit die Rechtstellung eine Flüchtlings gemäß § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen und hat einen entsprechenden Ablehnungsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aufgehoben.

Der Kläger wohnte bis zu seiner Ausreise am 05.01.2010 bei seinen Eltern in Kabul. Die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erfolgte legal mit einem Visum zur Teilnahme an einem Sprachkurs für die deutsche Sprache. Schon im Heimtland erlernte der Kläger auf Anraten seiner Eltern die deutsche Sprache.

Der Vater des Klägers ist ein hoher Offizier unter der Regierung Nadjibullahs in der afghanischen Armee gewesen und noch immer im Innenministerium aktiv. Die Mutter ist von Beruf Lehrerin und leitete ein Mädchengymnasium in Kabul. Die Mutter des Klägers ist wegen ihrer Tätigkeit bereits vor Ausreise des Klägers massiv bedroht worden und beendete ihren Schuldienst aus Angst vor Repressalien.

Schon wegen der militärischen Aktivitäten des Vaters hatten die Taliban die gesamte Familie des Klägers in Visier genommen und drohten der ganzen Familie mit dem Tod.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt sah die Klage des Klägers als begründet an und hat den Ablehnungsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, im Falle des Klägers festzustellen, dass die Voraussetzungen der Eigenschaft als politischer Flüchtling i.S.d. § 3 Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Dabei geht das Gericht von einer Verfolgungshandlung durch nicht staatliche Akteure gegen den Kläger i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG aus. Die Gefährdung des Klägers im Falle einer Rückkehr in das Heimatland schlussfolgert das Verwaltungsgericht aus einer Gesamtschau der allgemeinen Lage in Afghanistan und der persönlichen Situation des Klägers.

Die Zentralregierung in Kabul ist nicht in der Lage, seine Bürger vor Übergriffen der Taliban zu schützen. Deren Herrschaft lasse sich ohnehin nur durch die Anwesenheit der internationalen Truppen aufrechterhalten. Die Lage hat sich auch nach neun Jahren der Bemühungen hinsichtlich einer Stabilisierung Afghanistans nicht gefestigt.

Verschiedene miteinander verfeindete Gruppierungen herrschen in ihren jeweiligen Gebieten und haben ihre Machtposition weiter ausbauen können.

Die vom Kläger geltend gemachten Gefährdungen und befürchteten Verfolgungshandlungen sind Teil von jenen Verfolgungshandlungen, die von solchen nicht staatlichen Akteuren i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG begangen wurden und gegen die die staatliche Macht nichts auszurichten vermag.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist wegen der landesweit drohenden Gefährdung nicht ersichtlich.

Der Kläger hat dabei nach Ansicht des Gerichtes glaubhaft dargelegt, dass er in Kabul um sein Leben fürchten musste, weil seine Familie wegen der beruflich eingenommenen Stellung der Eltern des Klägers in den Institutionen des Staates - Militär und (Mädchen-) Bildungswesen- einer ganz besonderen Gefahr unterliegt, von Talibankämpfern ins Visier genommen zu werden. Dass der Kläger dann noch wegen seiner Ausbildung und des Erlernens der deutschen Sprache nicht gerade mit der Milde seiner politischen Verfolger rechnen konnte und kann, liegt auf der Hand.

Zwar liegen keine konkreten Verfolgungshandlungen gegen den Kläger vor. Er befand sich aber in einer latenten Verfolgungssituation, angesichts derer es ihm nicht zuzumuten war, abzuwarten, bis die Verfolgungshandlung tatsächlich umgesetzt werden würden. Die Schilderungen des Klägers bezüglich der Lebensumstände im Heimatland decken sich mit den Lageberichten des Auswärtigen Amtes und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, so dass das Gericht davon ausge- gangen ist, dass der Kläger sich nicht nur einer allgemeinen Gefahr stellen musste, sondern als Mitglied seiner Familie wegen der beruflichen Stellung der Eltern besonders Gefahr lief, mit Verfolgungshandlungen überzogen zu werden.

Georg Grimm

Rechtsanwalt (Einsender)