Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung eines ehemaligen hohen PKK-Funktionärs

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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 7. Juli 2011 (BVerwG 10 C 27.10 und 10 C 26.10) - nach Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) - erneut über den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung eines ehemaligen Kämpfers und Funktionärs der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) verhandelt und das Verfahren zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, war 2001 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - wegen seiner Aktivitäten für die PKK in der Türkei als Asylberechtigter und Flüchtling anerkannt worden. Im Mai 2004 widerrief das Bundesamt die Anerkennungen, weil sich die Rechtslage durch Einführung von Ausschlussgründen im Jahre 2002 (nunmehr: § 3 Abs. 2 AsylVfG sowie die gleichlautende Ausschlussregelung in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG - sog. Qualifikationsrichtlinie) geändert habe. Die frühere PKK-Tätigkeit des Klägers in herausgehobener Stellung (Kämpfer und zeitweises Mitglied des Zentralkomitees) sei eine schwere nichtpolitische Straftat, die den Anspruch auf Asyl und Flüchtlingsschutz ausschließe (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG). Außerdem sei davon auszugehen, dass der Kläger sich auch Handlungen habe zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG). Das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht gaben der Klage statt, weil der Kläger sich schon vor seiner Ausreise von der PKK gelöst habe und deshalb keine Gefahr mehr von ihm ausgehe.

Auf die Revision der Beklagten legte der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung der Ausschlussklauseln in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG und deren Auswirkungen auf das Grundrecht auf Asyl vor (PM Nr. 81/2008 vom 25. November 2008). Mit Urteil vom 9. November 2010 (Rs. C-57/09 u.a.) hat der EuGH entschieden, dass die im Streit stehenden Ausschlussgründe der schweren nichtpolitischen Straftat und der Zuwiderhandlung gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen weder eine gegenwärtige Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat noch eine (nachgelagerte) Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetzen. Der Ausschluss hängt allein von der Schwere der begangenen Handlungen und der individuellen Verantwortung des Betroffenen ab. Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation und die aktive Unterstützung ihres bewaffneten Kampfes nicht automatisch einen Ausschluss rechtfertigen, sondern eine Beurteilung der genauen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls erforderlich ist, um zu ermitteln, ob der Betroffene eine individuelle Verantwortung für inkriminierte Handlungen der Organisation im Sinne der Ausschlussgründe trägt.

Auf dieser Grundlage hat das Bundesverwaltungsgericht nunmehr entschieden, dass die tatsächlichen Feststellungen in dem Berufungsurteil nicht ausreichen, um entsprechend den Vorgaben des EuGH abschließend zu beurteilen, ob der Kläger einen Ausschlussgrund verwirklicht hat. Zwar spricht nach dem Urteil des EuGH eine Vermutung dafür, dass der Kläger aufgrund seiner Stellung als Funktionär und zeitweises Mitglied des Führungsgremiums der PKK für die in diesem Zeitraum begangenen terroristischen Handlungen der Organisation eine individuelle Verantwortung trägt. Das Berufungsgericht hat aber keine ausreichenden Feststellungen zu konkreten terroristischen Handlungen der PKK in dem maßgeblichen Zeitraum getroffen. Außerdem fehlt es an der tatrichterlichen Prüfung des Einzelfalles, die vom EuGH auch im Falle des Eingreifens der Vermutung gefordert wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb die Sache an das Berufungsgericht zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen.

Sofern bei dem Kläger ein Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen sollte, ist nicht nur der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung, sondern auch der Widerruf der Asylanerkennung nach Art. 16a GG gerechtfertigt. Dies folgt nach dem Urteil des EuGH daraus, dass Art. 3 i.V.m. Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG es verbietet, einen mit der Rechtsstellung des Flüchtlings verwechselbaren Status trotz Vorliegens von zwingenden Ausschlussgründen im Sinne der Richtlinie aufrechtzuerhalten (vgl. auch Urteil des Senats vom 31. März 2011 - BVerwG 10 C 2.10 - PM Nr. 28/2011).

Ein weiteres Verfahren (BVerwG 10 C 27.10), in dem im Rahmen einer Klage auf Flüchtlings- und Asylanerkennung um das Vorliegen von Ausschlussgründen wegen früherer Aktivitäten für eine terroristische Organisation gestritten wird, wurde ebenfalls zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Quelle: Presseerklärung des BVerwG vom 7. Juli 2011