"Hotel Ruanda", Film, UN, Hutu, Tutsi, Bürgerkrieg, Nick Nolte

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Berlin ? Am 7. April 2005 kam ?Hotel Ruanda? (?Hotel Rwanda?), ein Drama über den ruandischen Bürgerkrieg Mitte der 1990er Jahre, in die deutschen Kinos. Er ist unter anderem mit dem Publikumspreis des Filmfestivals in Toronto (CDN) und dem Cinema-for-Peace-Award der Berlinale 2005 ausgezeichnet worden. Migrationsrecht.net bespricht den Film über den ?Oskar Schindler von Afrika? (Institut für Kino und Filmkultur, Kino & Curriculum 3/2005, im *.pdf-Format).
Zum Inhalt
Im Frühjahr 1994 im zentralafrikanischen Land Ruanda hat alles den Anschein, als gingen die Ereignisse ihren gewohnten Gang ? zwar in Armut, zwar geprägt durch Korruption, aber erträglich und stabil. Paul Rusesabagina (Don Cheadle) ist Manager des Luxushotels ?Mille Collines? in der ruandischen Hauptstadt Kigali und macht dort einen guten Job; Gäste und belgisches Management sind auf äußerste zufrieden. Doch aus den Radios dringen Hetzparolen, es fällt ständig das Wort ?Kakerlaken? für die Minderheit der Tutsi.
Im Hotel sind auch Colonel Oliver (Nick Nolte), Kommandeur der UN-Blauhelme, der ruandische General Bizimungo und ausländische Journalisten zu Gast, die vom bevorstehenden Friedensabkommen zwischen der Hutu-Regierung und den Tutsi-Rebellen der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) berichten wollen. Paul selbst ist Hutu, seine Frau Tatiana (Sophie Okonedo) ist Tutsi. Paul erfährt von seinem Schwager Thomas, dass es einen Plan geben soll, die Tutsi zu ermorden, schenkt ihm aber keinen Glauben.
Als ein Flugzeug abgeschossen wird, in dem sich der ruandische Staatspräsident befindet, beschuldigen die Hutu die Tutsi, ihn aus dem Weg geräumt zu haben. Damit beginnt Anfang April der Völkermord an den Tutsi mit lange geplanten Massakern durch Hutu-Milizen. Diese ziehen marodierend durch die Straßen und ermorden jeden bestialisch, den sie für einen Tutsi halten, aber auch alle, die sich ihren Plünderungen, Brandschatzungen und sonstigen Verbrechen an den Tutsi entgegenstellen. Rusesabagina öffnet das Hotel zunächst für seine verängstigten Nachbarn, später auch für andere Schutzsuchende. Nach außen versucht er, unter Aufbringung aller menschlichen und finanziellen Ressourcen den Schein eines normalen Hotelbetriebs zu wahren. Die UN-Friedenstruppe evakuiert zwar die ausländischen Gäste, die Lage für die Zurückgebliebenen wird jedoch immer bedrohlicher. Durch Pauls Anruf beim belgischen Hotelkonzern, der daraufhin bei der einflussreichen französischen Regierung interveniert, kann ein Blutbad im Hotel in letzter Minute verhindert werden. Doch die Situation ist noch lange nicht entschärft. Nach vielen weiteren Schreckensereignissen können die Menschen in einem Konvoi entkommen, als die Rebellenarmee näher rückt.
In einem Flüchtlingslager finden Paul und Tatiana die beiden vermissten Töchter von Pauls Schwagers wieder. Zusammen mit vielen anderen Flüchtlingen verlassen sie das Land.
Zum geschichtlichen Hintergrund
Der Film deutet den historischen Kontext, in dem er spielt, nur an. Die Geschichte der letzten rund einhundert Jahre in der Entwicklung des Landes stellt sich wie folgt dar:
Das heutige Ruanda gehörte mit dem Gebiet, das ungefähr innerhalb der heutigen Grenzen liegt, von 1899 an als Militärdistrikt zur Kolonie ?Deutsch-Ostafrika?. Nach dem Ersten Weltkrieg unterstellte es der Völkerbund Belgien als Mandatsgebiet. Belgien erreichte zwar eine Verfestigung der unbeständigen Situation im Lande, dies aber unter erheblicher Bevorzugung der Bevölkerungsgruppe der Tutsi, die nur zirka fünfzehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten. Die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tutsi oder Hutu wurde in die Personenstandsdokumente aufgenommen, und nur die Tutsi hatten Zugang zur Beschäftigung im Öffentlichen Dienst.
Im Zuge der Dekolonialisierungsdiskussionen in den 1950er Jahren nahmen die lange unterdrückten sozialen und politischen Spannungen deutlich zu. In der Zeit zwischen der Umwandlung der Staatsform von der Monarchie in eine Republik 1961, der Unabhängigkeit Ruandas 1962 und einem Friedensabkommen zwischen der Regierung und der paramilitärischen tutsi-kontrollierten Front Patriotique Rwandais (FPR) 1993 verschob sich das Kräfteverhältnis zwischen verschiedenen Hutu-Gruppen und den Tutsi immer wieder. Diese Prozesse wurden auch immer wieder durch gewalttätige Auseinandersetzungen geprägt, vor allem zu Beginn der 1990er Jahre.
Dem Abschluss des Friedensabkommens von 1993 folgte bis zum Eintritt in dessen Umsetzung der Bürgerkrieg des Jahres 1994, den der Film thematisiert. Ihm bereitete eine von der Regierung geduldete Hasskampagne von Hutu-Extremisten den Boden, die über die Medien verbreitet wurde und sich gegen die Tutsi und versöhnungsbereite Hutu richtete. Nach dem nie aufgeklärten Abschuss des Flugzeuges von Juvénal Habyarimana, dem Armee- und Staatschef Ruandas, über Kigali am 6. April 1994 artete die angespannte Situation in einen Blutrausch und einen offenbar von langer Hand geplanten, durch die Regierung zumindest unterstützten Völkermord aus, dem schätzungsweise zwischen 800 000 und 1 000 000 Menschen der durch die Propaganda angefeindeten Gruppen zum Opfer fielen. Als im Juli die FPR zur Gegenoffensive überging, flüchteten in der Folge 2 000 000 Hutu aus Ruanda in die Nachbarländer; eine Vielzahl von ihnen wurden 1996 zur Rückkehr gedrängt.
Die 1993 eingesetzte UN-Blauhelmmission verfügte nur über ein Beobachtungsmandat und erwies sich als viel zu schwach, um die Lage unter Kontrolle zu bringen; sie wurde durch eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 21. April 1994 sogar noch auf 270 Mann reduziert. Internationale Truppen nennenswerter Stärke (ca. 5 500 Soldaten) kamen erst Ende Juni 1994 wieder ins Land, um die zu diesem Zeitpunkt sich bereits abzeichnende Umsetzung des Friedensabkommens zu begleiten. Im Rahmen der Realisierung verfestigte sich das Machtmonopol der Tutsi, das auf die effektive Gegenoffensive gegründet war. Ab 1995 versuchte der UN-Strafgerichtshof für Ruanda, später unterstützt von lokalen Gerichten (Gacaca), den Völkermord juristisch aufzuarbeiten und wenigstens hinsichtlich eines Teils der 120 000 der Beteiligung Verdächtigen Recht zu sprechen. 2003 wurde der Friedensprozess formal durch die Verabschiedung einer neuen Verfassung per Volksentscheid und allgemeine Wahlen zu einem neuen Parlament und eines neuen Staatschefs abgeschlossen.
Zur filmischen Darstellung
Der Film beruht auf wahren Begebenheiten, nimmt aber nicht für sich in Anspruch, ein Dokumentarfilm zu sein. Die Regie führte Terry George, der zuvor schon mit Filmen über den Nordirland-Konflikt (?Im Namen des Vaters?, 1993, ?Mütter und Söhne?, 1996, ?Der Boxer?, 1997) von sich reden gemacht hatte.
Die Produzenten des Films haben sich nicht gescheut zu polarisieren und halten sich an das Wilde?sche Zitat: ?When I see a spade, I call it a spade.? Sie geißeln die Untätigkeit der Weltgemeinschaft und das Versagen der UN und prangern die dahinter liegende Gleichgültigkeit bis hin zu einer rücksichtslos kapitalistischen und rassistischen Haltung an.
Der Film kommt ohne massive Gewaltdarstellungen aus; Gewalt wird meist nur indirekt transportiert, zum Beispiel durch Radioberichte, die Bilder von den Folgen oder einmal durch die Einspielung eines kurzen Filmausschnitts eines Reporters über einen Monitor im Hotel. Dennoch erfordert er starke Nerven bei seinen Zuschauern. Die Produzenten des Films haben hervorragendes Feingefühl für die Inszenierung bewiesen: wenn man als Zuschauer das Gefühl bekommt, das ganze Ausmaß des Schreckens nicht mehr ertragen zu können, gönnen sie einem eine kurze ?Auszeit?, eine Szene, in der man unwillkürlich fast lachen muss, nur um sofort danach wieder in Entsetzen zurück zu verfallen.
Drei Szenen sollen hier zu Illustrationszwecken hervorgehoben werden:
1. Der Radiobericht über die internationale Einstufung des Konflikts
Der Zuschauer wird in einem kurzen Ausschnitt Zeuge, wie eine Sprecherin im Programm eines internationalen Radiosenders darlegt, dass man sich nicht sicher sei, ob hier ein Völkermord vorliege oder nicht. Die Stufe, ab welcher man von Völkermord sprechen könne, sei schließlich kaum klar zu definieren. Es sei aber, fügt sie verharmlosend hinzu, nicht auszuschließen, dass ?acts of genocide may have occured?.
2. Das Gespräch zwischen dem Colonel und Paul
Nachdem ausländische Truppen endlich beim Hotel eingetroffen sind und die Bewohner hoffnungsvoll ihre Rettung erwarten, will Paul mit dem Colonel darauf anstoßen. Der Colonel entgegnet nur, eigentlich müsse Paul ihn anspucken. Er eröffnet Paul, dass die Truppen nur gekommen seien, um die internationalen Hotelgäste in Sicherheit zu bringen. Schutz für die Einheimischen würden sie nicht bieten. Er begründet dies verbittert und voller Hass gegen die Entscheidungsträger der internationalen Gemeinschaft damit, diese sähen die ruandische Bevölkerung ? projiziert auf Paul ? so: ?You?re black... You?re not even a nigger, you?re an African.?
3. Paul und Tatiana auf dem Hoteldach
Zu den Szenen, die dem Zuschauer zunächst eine ?Verschnaufpause? zu verschaffen scheinen, gehört ein abendliches Zusammensein Pauls mit seiner Frau auf dem Hoteldach. Er möchte Tatiana ein paar Augenblicke der Entspannung, ja Romantik bescheren. Er zündet Kerzen an und sie unterhalten sich, während im Hintergrund unentwegt Schüsse zu hören sind. Er macht ihr ein Geständnis, indem er ihr erzählt, dass er seinerzeit, nachdem sie sich das erste Mal gesehen hatten, seinen Einfluss geltend gemacht habe, um sie nach Kigali in seine Nähe versetzen zu lassen. Sie will daraufhin wissen, was ihn das gekostet habe. Ein Auto, antwortet er ihr. Lachend möchte Tatiana wissen, was für eines. Sie beginnt noch ausgelassener zu lachen, als er gesteht: ?Einen Volkswagen?, woraufhin sie nur noch meint, sie hoffe, es sei ein neuer gewesen. Schon Bruchteile von Sekunden später ist jegliche Spur von Freude wieder verwischt, denn Paul bittet seine Frau, sich bei einem Angriff der Milizen auf das Hotel mit den Kindern vom Dach zu stürzen, um nicht lebend massakriert zu werden.
Fazit
Dieser Film packt seine Zuschauer und lässt sie über seine gesamte Länge von zwei Stunden so wenig wieder los, dass der Film subjektiv viel länger wirkt, als er ist. Die Darstellerleistungen sind ohne Einschränkung hervorragend, das Arrangement des Films ausgezeichnet. Die Darstellung ist so zugespitzt, dass man sich von dem Film keine Sekunde freimachen kann: ?Hotel Ruanda? ist für die Zuschauer schwere Arbeit, von der man auch in den folgenden Tagen kaum loskommt. Die Emotionen, die der Film hervorruft, lassen sich kaum beschreiben.
Die permanente Bedrohung der Hotelbewohner wird plastisch. Der Filmtitel entwickelt sich assoziativ zu einer Wahrnehmungskette: ?Hotel Ruanda? ist ein Synonym für ?Hotel des Mille Collines? ? Ruanda wird auch als Land der tausend Hügel bezeichnet ?, das Hotel ist eine Metapher für die Situation der Bevölkerung im ganzen Land ? eingeschlossen und ignoriert von der internationalen Gemeinschaft ?, und der Zuschauer erlebt dieses Gefühl der Machtlosigkeit und der andauernden Bedrohung geradezu körperlich beim Sehen des Films. Unverständnis, Wut und Trauer, jede von ihnen in exorbitanter Amplitude, über die Geschehnisse bilden Eckpunkte dessen, was man über die Geschichte, die der Film erzählt, empfindet; die Art, wie er es tut, ist beeindruckend bedrückend.
Nicht zuletzt die Herkunft der Preise, die der Film erhalten hat, lässt darauf schließen, dass er kein Massenpublikum anlocken können wird, wie er und die ihm zugrunde liegende Geschichte es verdient und unsere Gesellschaft es manchmal auch nötig hätten. Dennoch oder gerade deswegen ist der Film dringend zu empfehlen; er trägt allerdings nicht umsonst das Prädikat FSK 14.