Weltflüchtlingstag, Memorandum II, Symposium, Menschenrechte, Asylverfahren

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Auf dem 5. Berliner Flüchtlingssymposium diskutierten Experten den Zustand des deutschen Asylverfahrens und des internationalen Schutzes von Flüchtlingen
BERLIN - Anlässlich des Weltflüchtlingstages kamen am gestrigen 20. Juni 2005 rund 400 Expertinnen und Experten im Flüchtlings- und Asylbereich zum 5. Flüchtlingssymposium in Berlin zusammen. Die Veranstaltung, die gemeinsam vom UNHCR, dem Deutschen Institut für Menschenrechte sowie der Evangelischen Akademie zu Berlin ausgerichtet wurde, stand unter dem Motto ?Menschenrechte und internationaler Schutz?. Unter den Rednern waren neben zahlreichen weiteren Migrationsexperten Marie-Luise Beck, Prof. Jochen A. Frowein und Rechtsanwalt Reinhard Marx. Insbesondere wurde das ?Memorandum II: Zur derzeitigen Situation des deutschen Asylverfahrens? kontrovers diskutiert.
Marie-Luise Beck (B?90/die Grünen), Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, sagte, dass die vielerorts geführte Debatte über eine ?Überfremdung? unserer Gesellschaft angesichts der ständig rückläufigen Zahlen von Menschen, die auf legalen Wegen nach Deutschland gelangen, einschließlich derer, die Schutz vor Verfolgung suchen, eine reine Phantomdebatte darstelle. Weiterhin wies sie auf die Problematik der Flüchtlinge aus Bosnien und dem Kosovo hin. Nach Ereignissen wie Srebrenica sei zwar eine große Bereitschaft vorhanden gewesen, Flüchtlinge aufzunehmen. Diesen sei jedoch niemals ein vollkommener Flüchtlingsschutz zu Teil geworden. Vielmehr habe es seit Beginn der Aufnahme von Flüchtlingen aus diesen Gebieten zu wesentlichen Einschränkungen der Reisefreiheit, des Familiennachzuges und des Arbeitsmarktzuganges gegeben. Auch der Schutz vor Abschiebungen sei in Bezug auf diese Flüchtlingsgruppe weniger stark ausgeprägt; diese Menschen seien insbesondere für staatliche Rückführungsmaßnahmen leichter verfügbar. Beck wies entschieden darauf hin, dass es sehr bedenklich sei, dass der Schutzumfang und die Schutzdauer allein von politischen Motiven abhängen, wenn wie in diesem Fall schutzsuchende Menschen nicht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden.
Für die anstehende Umsetzung der EU-Qualifikationsrichtlinie wies die Bundesbeauftragte auf zwei Punkte hin, die nach ihrer Ansicht in Deutschland diskutiert werden müssen. Dies sei zum einen die Frage nach der Reichweite des Asylgrundes ?Verfolgung aufgrund von Religion?. Zum anderen handele es sich dabei um die Anerkennung von Deserteuren als Asylberechtigte, wenn sie den Dienst in einem völkerrechtswidrigen Krieg verweigern.
Professor Jochen A. Frowein vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg berichtete über das Verhältnis des deutschen Asylrechts und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Er wies insbesondere auf die Erwähnung der EMRK in § 60 Abs.5 AufhG hin, mit der nach seiner Ansicht auch die bisher vom Bundesverwaltungsgericht vertretene restriktive Interpretation der nicht-staatlichen Verfolgung entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nunmehr nicht mehr aufrecht erhalten werden könne. Anders als der EGMR hatte das Bundesverwaltungsgericht bisher eine nicht-staatliche Verfolgung als Abschiebungshindernis nur anerkannt, wenn der Staat diese veranlasst hat oder er nicht gegen sie einschreitet, obwohl er dazu in der Lage wäre. Zudem sei nach Einschätzung von Professor Frowein eine Überstellung nunmehr nicht mehr möglich, wenn im Staat, an den der Flüchtling überstellt werden soll, eine konkrete Lebensgefahr besteht.
Darüber hinaus erklärte Professor Frowein, dass die deutsche Rechtsprechung keinen Bestand haben dürfe, nach der als Asylberechtiger nur anerkannt werden könne, wer in seinem Land auch in den eigenen vier Wänden keine Religionsausübungsfreiheit genieße. Infolge der Bezugnahme des § 60 Abs.1 AufhG auf die Genfer Flüchtlingskonvention müsse auch Asyl gewährt werden, wenn ein Mensch in seinem Heimatland Religion nicht in der Öffentlichkeit ausüben kann.
Bezüglich der groß angelegten Verfahren, die Flüchtlingseigenschaft von Irakern, Afghanen und anderen Schutzsuchenden zu widerrufen, sagte Frowein, von den 18.000 Widerrufsentscheidungen betreffen allein 7.000 Menschen aus dem Irak. In diesem Zusammenhang wies Frowein als Professor für öffentliches Recht und Völkerrecht darauf hin, dass § 73 AsylVfG völkerrechtskonform dahingehend zu interpretieren sei, dass die Genfer Flüchtlingskonvention gewahrt bleibt. Das setze voraus, dass der Staat effektiv Schutz ausüben kann. Dies sei bei Irak und Afghanistan definitiv nicht der Fall, weshalb ein Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter für diese Gruppen nicht erfolgen dürfe. Frowein wies auch darauf hin, dass aus keinem anderen Land eine vergleichbare Widerrufsaktion bekannt sei.
Der Frankfurter Rechtsanwalt Reinhard Marx stellte als Mitglied der Memorandums-Gruppe das ?Memorandum II: Zur derzeitigen Situation des deutschen Asylverfahrens? dar, das von zehn Wohlfahrtsverbänden und Nicht-Regierungsorganisationen erstellt worden ist. Marx stellte zunächst fest, dass die vorhandene Krise des Asylverfahrens kaum wahrgenommen werde. ?Die Krise ist gesichtslos, ist lautlos?, sagte er und betitelte seinen Vortrag ?Vom Verlust des guten Glaubens?. Er führte aus, dass etwas ?grundlegend schief? laufe, was sich nicht so sehr auf nationale oder internationale Normen beziehe. Seine Kritik konzentrierte sich vielmehr auf den administrativen Aspekt des Asylverfahrens. Schon in den 50er Jahren sei das zentrale Element der ?subjektiven Verfolgungsfurcht des Flüchtlings? als Kriterium für die Zuerkennung von Asyl zugunsten der Gefahrprognose eines vernünftig denkenden, besonnenen Dritten ersetzt worden. Über diese Entscheidung des objektiven Dritten, die der Rechtsanwender, d.h. konkret der Sachbearbeiter Asyl im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), treffe, fließen gesamtgesellschaftliche Vorbehalte in die Ermittlungspraxis des BAMF. Oftmals sei ein erhebliches Misstrauen gegenüber den schutzsuchenden Menschen vorhanden. Marx zitierte ein Positionspapier von Psychologen mit den Worden ?Das notwendige Bemühen, Missbrauch zu vermeiden, verbindet sich im Asylverfahren mit zutiefst xenophobisch projektiven Ängsten, Vorurteilen und politischen Vorgaben.? Es ist letztlich das Misstrauen und der Verlust des guten Glaubens an Flüchtlinge und Asylsuchende die Rechtsanwalt Marx anprangerte. In diesem Zusammenhang äußerte er sich auch kritisch zur Gleichgültigkeit des Bundesamtes gegenüber den menschlichen Schicksalen, die auch durch den vermehrten Einsatz von Textbausteinen zum Ausdruck komme. Verfahrensoptimierung laufe dabei seiner Ansicht nach in erster Linie auf eine Outputmaximierung anstatt auf eine Verbesserung der Verfahrensqualität hinaus.
Zum Abschluss rief Marx dazu auf, den guten Glauben an die asylsuchenden Menschen wieder aufzubauen und das Asylverfahren auch durch größere Transparenz zu verbessern.
In der anschließenden Podiumsdiskussion wies Hartmut Sprung, Abteilungsleiter für Asylverfahren im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die geäußerten Vorwürfe an der Behörde vehement zurück. Die Rechtspraxis sei vollkommen im Einklang mit nationalen und internationalen Normen, wehrte Sprung sich. Auch die Mitarbeiter seiner Behörde wollen Ausländern Schutz zu Teil werden lassen, weshalb diese mit den Mitarbeitern der Flüchtlingshilfsorganisationen unter einem Dach arbeiten würden.
Hinsichtlich der bereits angesprochenen Widerrufsverfahren für Iraker wies der Vertreter des UN-Flüchtlingshochkommissars (UNHCR) in Deutschland, Stefan Berglund, darauf hin, dass der Irak selbst von den Vereinigten Staaten als sehr gefährlich eingeschätzt werde. Dies bestärkte auch Günter Burghardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. Burghardt schlug ferner vor, durch eine externe Untersuchung prüfen zu lassen, inwieweit die Kritik des Memorandums II gerechtfertigt sei, nachdem ihm die Ausführungen von Hartmut Sprung über die Maßnahmen der internen Qualitätskontrolle im Bundesamt nicht ausreichten. Sprung antwortete darauf, es gebe bereits eine externe Kontrolle: die Gerichte. Offensichtlich ließ sich der Vertreter des BAMF nicht auf die Argumentation seiner Gesprächspartner ein, die gerade nicht auf die formale Rechtswidrigkeit der Praxis, sondern insbesondere auf außerrechtliche Faktoren abstellten, die mittelbar dennoch wesentlichen Einfluss auf die Entscheidungspraxis hätten.
Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Bertold Sommer äußerte, dass man sich anders als im Jahre 1992, als enorme Menschenmassen in Deutschland Zuflucht suchten, angesichts der geringen Asylbewerberzahlen heute eine sensible Ausgestaltung des Asylverfahrens leisten könne. Er habe sich zudem mit dem Zuwanderungsgesetz eine Bleiberechtsregelung für Altfälle von so genannten illegalen Einwanderern gewünscht, wie sie in diesem Jahr in Spanien durchgeführt worden ist. Nach seiner Meinung stelle es ein menschenunwürdiges Dasein für die 250.000 ? 1 Mio geschätzten ?Illegalen? in Deutschland dar, dass diese ständig in der Angst leben müssen, das Land verlassen zu müssen und insofern ?auf Abruf zu sein?.
von Daniel Naujoks
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