HARARE ? Robert Mugabe, der Präsident des südafrikanischen Landes Simbabwe, lässt in Harare sowie in weiteren 29 städtischen Zentren zahlreiche Barackensiedlungen abreißen und niederbrennen. Nach Schätzungen wurden dadurch bisher mindestens 200.000 bis 300.000 Menschen obdachlos. UNO, EU und USA verurteilen die Kampagne, während die Afrikanische Union (AU) die Vorfälle als interne Angelegenheit Simbabwes ansieht.
Ungeachtet der internationalen Missbilligung behält sich Großbritannien die Abschiebung von Dissidenten nach Simbabwe vor, deren Asylanträge abgelehnt sind.
Am Freitag, den 24. Juni 2005 veröffentlichten zehn Experten der Vereinten Nationen einen Aufruf gegen die massenweisen Zwangsräumungen und ?vertreibungen in Simbabwe. Seit dem 18. Mai diesen Jahres lässt Präsident Mugabe im Rahmen der von ihm Murambatsvina genannten Kampagne, was soviel wie ?Räum den Müll raus? heißt, ganze Stadtteile von illegalen Slumbauten abreißen und niederbrennen. Betroffen sind dabei die Hauptstadt Harare sowie 29 weitere Orte, wo nach Schätzungen bereits mindestens 200.000 bis 300.000 Menschen ihr Obdach verloren haben.
Die Räumungen zielten dabei auf Händler der Schattenwirtschaft und auf Familien, die in informellen Ansiedlungen gewohnt haben, darunter Frauen mit HIV/AIDS, Witwen, behinderte Kinder und HIV/AIDS-Waisen. Dies ist in einem Land, dessen Einwohner zu über 24 % mit dem HIV/AIDS-Virus infiziert sind, verheerend.
Insbesondere die Art und Weise der Massenvertreibungen wird von Experten der Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen stark kritisiert. Zunächst habe es keinerlei Ankündigung oder Vorwarnung gegeben, die es den Bewohner ermöglicht hätte, ihre Habseligkeiten oder ihre Waren in Sicherheit zu bringen. Nach der Vorgehensweise der Regierung fahren morgens gegen 9.00 Uhr Bulldozer vor die Siedlungen und beginnen sogleich mit dem schonungslosen Niederriss der Gebäude. Dabei starben mindestens drei Kinder in den einstürzenden Gebäuden. Außerdem beklagen die Betroffenen die Brutalität der Polizei, die vielerorts die Räumungen mit massivem Gewalteinsatz begleitete.
Um den Folgen der ?Law-and-Order?-Kampagne zu begegnen hat die Regierung von Simbabwe lediglich einige wenige Transit-Camps errichtet. Die wenigen Vertriebenen, die mit Lastwagen der Regierung dorthin gebracht werden, sind weit entfernt von öffentlichen Einrichtungen und ohne Möglichkeiten Handel zu treiben oder zu arbeiten. Die ganz überwiegende Mehrheit der vertriebenen Menschen ist nach der Zerstörung ihrer Unterkünfte jedoch obdachlos.
In Ansehung der fortschreitenden Krise beauftragte der General-Sekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, die Exekutivdirektorin von UN-HABITAT, Anna Kajumulo Tibaijuka, als Sondergesandte für Siedlungsfragen in Simbabwe. Tibaijuka traf noch am Sonntag in Simbabwe ein.
Die offizielle Tageszeitung ?The Herald? zitierte Präsident Mugabe mit den Worten: ?Ich habe eingewilligt, die Sondergesandte des General-Sekretärs der Vereinten Nationen im Land zu empfangen, damit sie verstehen und schätzen lernen, was wir versuchen für unser Volk zu tun, das weit besseres verdient als die Baracken, die jetzt als passende Unterkünfte romantisiert werden.? Mugabe rechtfertige seine Blitz-Aktion zudem damit, dass er den Schwarzmarkt in ohnehin knappen Devisen und den inoffiziellen Handel mit Nahrungsmitteln bekämpfen wolle, der sich in den Barackensiedlungen etabliert habe. Außerdem hätten Nahrungsanpflanzungen in den Slums schädliche Umwelteinwirkungen.
Miloon Kothari, Sonderberichterstatter für das Recht auf angemessene Behausung bei der UN-Menschenrechtskommission äußerte sich kritisch gegenüber der Afrikanischen Union (AU). Die politischen Führer Afrikas, insbesondere der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki und nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo hätten in der Krise der vergangenen fünf Wochen eingreifen müssen, sagte Kothari.
Die Afrikanische Union ließ demgegenüber erklären, eine Einmischung in die internen Angelegenheiten von Simbabwe sei ?nicht sauber? gewesen.
Doch wie kam es zu dem Problem, das der Staatspräsident nun mit Bulldozern bekämpft? Seit der Unabhängigkeit im Jahre 1980 suchten immer mehr Menschen in den städtischen Zentren Simbabwes Zuflucht. Infrastruktur, Behausungen, Bildungs- wie Gesundheitseinrichtungen und der Arbeitsmarkt, kurz die Aufnahmekapazität der Städte war dem gewaltigen Zustrom nicht gewachsen. So kam es wie in vielen anderen afrikanischen Ländern zu Slumbildung, den so genannten informellen Siedlungen, für die neben der Armut des Landes auch die Sozial- und Strukturpolitik der Regierung, der Mugabe bereits seit 1980 vorsteht, verantwortlich ist.
Ohne Frage verdienen diese Menschen eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Jedoch kann eine schonungslose Vernichtung der tatsächlichen Lebensumstände von Hunderttausenden ohne jede Ankündigung nicht die richtige Antwort auf das Problem darstellen. Nach Adornos negativer Dialektik kann man etwas zerstören wollen, ohne zugleich einen konkreten Plan für den Wiederaufbau gefasst zu haben. Wenn dabei allerdings unzählige Menschen Hab und Gut, Perspektiven und Hoffnungen verlieren, sollten in der Wirklichkeit konkrete und realisierbare Pläne vorhanden sein.
Mugabe gab an, er wolle in Harare planvoll Wohnungsraum für 20.500 Menschen schaffen. Abgesehen von der Frage, wie viel Zeit für den Bau dieser Gebäude notwendig sein wird, ist offensichtlich, dass damit ein Großteil der obdachlos gewordenen Menschen nicht versorgt ist.
Kritiker sagen, die Blitzattacken seien gegen städtische Simbabwer gerichtet, die bei den Wahlen im März diesen Jahres mehrheitlich für die oppositionelle "Bewegung für demokratischen Wandel" gestimmt hatten. Diese Vermutung entbehrt nicht jeder Grundlage, nachdem die Meinungsäußerungsfreiheit in Simbabwe vielfach sehr massiv beschnitten wird; Oppositionelle müssen mit Verfolgung und Sanktionen rechnen. Erst bei einer friedlichen Demonstration gegen die Zwangsräumungen waren am Montag 29 Frauen festgenommen worden.
Der britische Premierminister Tony Blair kündigte am Montag an, er werde den UN-Sicherheitsrat anrufen, um den massenweisen Abbruch von Wohnungen in Simbabwe zu erörtern. Westeuropäische Staaten und Organisationen, die Europäische Union und die Vereinigten Staaten haben diese Operationen verurteilt.
Der EU-Kommissionspräsident, Josè Manuel Barroso, der nach einem Besuch in Südafrika am Wochenende inzwischen auch Mosambik und die demokratische Republik Kongo bereist hat, sagte am Montag, die Afrikanische Union müsse sich einmischen. "Wir denken, dass wenn es Menschenrechtsangelegenheiten betrifft, diese Fragen nicht rein interstaatlich sind", so Barroso, der vordringlich wegen entwicklungspolitischer Angelegenheiten nach Afrika gekommen war. "Fragen der Menschenrechte sollten ein Anliegen von allen Menschen sein. Dies sind universelle Werte und jeder sollte diese Werte respektieren "Die Simbabwe-Angelegenheit hat eine Dimension erreicht, die über eine interne Situation hinausgeht", schloss Barroso und forderte vor allem ein Engagement der Nachbarstaaten Simbabwes.
Nach der außenpolitischen Verurteilung der Geschehnisse müssen die europäischen Länder auch in ihrer Innenpolitik auf eine Konsistenz ihrer Linie achten. So weigerte sich der britische Premier Blair, geplante Abschiebungen von Asylsuchenden nach Simbabwe zu stoppen. Blair rechtfertigte sich damit, dass, "wenn wir ein generalisiertes Moratorium einführen würden, ist unsere Befürchtung, dass wir unser System wieder dem Missbrauch öffnen, den wir gerade bekämpft haben."
Das britische Innenministerium besteht bisher darauf, dass es sicher sei, Simbabwische Dissidenten zurückzuschicken. Mehr als vierzig abgelehnte Asylbewerber sind deshalb im Vereinigten Königreich in Hungerstreik getreten. Erst in der Nacht zu Montag entschied der britische Innenminister Clarke die Aussetzung der für gestern angesetzten Abschiebung des führenden Oppositionellen Crespen Kulingi.
Angesichts der dramatischen Ereignisse in Simbabwe und des rigorosen Vorgehens des Staatschefs Robert Mugabe können keine Abschiebung von Oppositionellen nach Simbabwe erfolgen. Für diese besteht ein Gefahr für Leib und Leben, wie uns nicht nur diese neuerliche Welle willkürlicher Zerstörungen vor Augen führt. Auch hat die junge Afrikanische Union die Gelegenheit zu zeigen, dass sie ihre gesteckten Ziele erreichen kann. Denn in ihren Zielvorstellungen verschreibt sie sich auch dem Schutz der Menschenrechte und überträgt ihrem wichtigsten Organ der Kommission von sechs Aufgaben nach 'Frieden und Sicherheit' in Aufgabe zwei 'politische Angelegenheiten (Menschenrechte)'.
von Daniel Naujoks
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