EU-Asylpaket: "Deutschland ist Hauptblockierer"

Anzeige Werbung Kanzleien Anzeige

Europäisches Asylsystem noch 2012?

Ob in Griechenland, Italien oder Ungarn – die Situation für Asylsuchende in der EU entspricht oft nicht den vereinbarten Mindeststandards. Ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) soll Abhilfe schaffen, doch dafür müssen hohe Hürden überwunden werden - auch im deutschen Innenministerium. EurActiv.de sprach mit EU-Parlamentariern über ihre Forderungen und den Verhandlungsstand zum Asylpaket.
"In Griechenland haben Asylsuchende, die wegen politischer Verfolgung einen Asylantrag stellen, oft weder ein Dach über dem Kopf noch Zugang zum Gesundheitssystem. Sie müssen befürchten, dass ihr Asylantrag nicht ordnungsgemäß bearbeitet wird, dass sie nicht arbeiten dürfen und keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben", sagte die FDP-Europaabgeordnete Nadja Hirsch. In Ungarn sei die Lage momentan noch dramatischer. Dort würden die Asylsuchenden teilweise körperlich misshandelt und mit Beruhigungsmitteln ruhig gestellt.

Das gemeinsame Europäische Asylsystem könnte hier mit für alle Mitgliedsstaaten verbindlichen Richtlinien Abhilfe schaffen. Es gibt bereits verbindliche Mindeststandards, die jedoch von einzelnen Ländern wie zum Beispiel Griechenland nicht eingehalten oder unterschiedlich interpretiert werden. Verschiedene Praktiken und Standards haben zu großen Unterschieden zwischen den verschiedenen Asylsystemen der einzelnen Länder geführt. Dem soll das sogenannte Asylpaket durch eine striktere und deutlichere Formulierung der Richtlinien entgegenwirken.

Gleiche Praktiken und hohe Standards

So bewerten die Mitgliedsstaaten beispielsweise die Lage in Drittstaaten völlig unterschiedlich. Asylsuchende dürfen in ein sicheres Drittland sofort abgeschoben werden, in ein unsicheres nicht. Im Fall Libyens führte das dazu, dass einige EU-Länder Libyen noch als "sicher" einstuften, während andere EU-Länder keine Asylsuchenden mehr nach Libyen zurückschickten. Ungarn beispielsweise bewertete Libyen erst sehr spät als unsicheres Drittland. "Ein Flüchtling soll sich nicht mehr überlegen müssen, in welches EU-Land er fliehen sollte, um Asyl zu bekommen. Wir brauchen überall die gleichen Kriterien. Das Wichtigste ist, dass wir durchgehend hohe Standards haben. Ein Asylsystem mit mittelalterlichen Standards hilft keinem", sagte die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller.

Deutsche Blockade

Nachdem seit Jahren über das Asylpaket verhandelt wird, soll es nun 2012 auf den Weg gebracht werden. Die dänische Ratspräsidentschaft will im April eine Roadmap vorstellen. Jedoch sind noch viele Hürden zu überwinden, bis das gemeinsame Europäische Asylsystem tatsächlich durchgesetzt ist. "Der Rat blockiert das Asylpaket schon seit vielen Jahren. Die Bundesregierung ist dabei einer der Hauptblockierer und völlig destruktiv", sagte Keller.

Die Bundesregierung fordere, dass ein Großteil der Entscheidungen in der Asylpolitik weiterhin auf der Ebene der Mitgliedsstaaten getroffen werden, ergänzte die FDP-Abgeordnete Hirsch.

Dublin II

Die CSU-Europaparlamentarierin Monika Hohlmeier begrüßt, dass Innenminister Hans-Peter Friedrich, ebenfalls CSU, an der Dublin-II-Verordnung festhalten will. Darin ist geregelt, dass Asylsuchende in das Mitgliedsland zurückgeschickt werden können, durch dessen Grenzen sie zuerst den Boden der EU betreten haben. "Asylbewerber könnten ansonsten missbräuchlich versuchen, von einem Land in ein anderes zu wandern, um in jedem Mitgliedsstaat ein Asylverfahren anzustrengen, um möglichst lange in der EU verbleiben zu können, auch wenn sie nicht verfolgt werden", so Hohlmeier.

Für Griechenland ist die Dublin-II-Regelung derzeit ausgesetzt, da an der griechisch-türkischen Grenze keine menschenwürdigen Bedingungen für Asylsuchende garantiert werden können. Die Mitgliedsstaaten schicken daher derzeit keine Asylsuchenden zurück nach Griechenland.

Position des Innenministeriums

Das deutsche Innenministerium fordert zudem, dass ein Asylsuchender frühestens nach zwölf Monaten eine Arbeit aufnehmen darf – und dass auch nur nachdem geprüft wurde, ob ein Deutscher oder ein EU-Bürger zuvor Interesse an diesem Job hat, hieß es aus EU-Kreisen. Deutschland will offenbar zudem durchsetzen, dass Asylbewerber nicht die gleichen Sozialleistungen erhalten wie die deutschen Bürger. Das widerspricht dem Opens external link in new windowVorschlag der EU-Kommission, der verlangt, dass Asylbewerber die gleiche finanzielle Unterstützung wie ein Hartz-IV-Empfänger bekommen sollten. "Wir müssen den Asylbewerbern menschenwürdige Bedingungen bieten. Das heißt aber nicht, dass sie ein rundumsorglos Paket erwarten können", sagte Hohlmeier.

"Deutschland will niedrige Standards"

Ein frühzeitiger Zugang zum Arbeitsmarkt sowie ausreichende Sozialleistungen seien jedoch erste Schritte zurück in ein alltägliches normales Leben, nachdem die Flüchtlinge oft grausame Dinge erlebt haben. Die Asylbewerber hätten dadurch die Möglichkeit, die fremde Sprache zu lernen und sich in ihrem neuen Land zu integrieren, erklärte Hirsch. "Wenn jemand die Chance hat, einen Job zu bekommen, dann soll diese Person den Job auch machen. Die Angst, dass ein Asylsuchender einem Deutschen den Job wegschnappt, ist unbegründet, da er ohnehin schlechtere Karten hat, allein schon weil er die Sprache nicht so gut spricht. Diese Konkurrenzsituation, worauf das Innenministerium abhebt, die gibt es nicht wirklich", sagte Hirsch. Die FDP-Abgeordnete fordert daher wie die EU-Kommission einen Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende nach sechs Monaten.

Im Rahmen des Asylpakets soll außerdem vereinbart werden, dass die Asylverfahren zügiger abgehandelt werden. "Es kann nicht sein, dass es teilweise bis zu zwei Jahren dauert bis die Entscheidung für einen Asylantrag fällt. Dies ist eine unzumutbare Situation", so Hirsch. Die EU-Parlamentarierin hofft, dass die Positionen des Innenministeriums keine Mehrheit finden, da man sonst wieder unterschiedliche Regelungen in der EU habe. Ohne einheitliche Lösungen, sei ein gemeinsames Asylpaket unsinnig.

Die Grünen-Abgeordnete Keller sieht die deutsche Verhandlungsposition ebenfalls kritisch: " Deutschland will in der Asylgesetzgebung möglichst niedrige Standards, damit die Menschen sich hier nicht wohlfühlen und möglichst wenige nachkommen", sagte Keller.

Ob das Asylpaket wie geplant noch 2012 auf den Weg gebracht wird, bleibt ungewiss. "2012 ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Ich bin ziemlich sicher, dass das Paket zumindest in die nächste Ratspräsidentschaft gehen wird", so Hirsch. Sollte es gelingen, das Asylpaket zu verabschieden, dann sei dies jedoch erst der Anfang. Der Praxistest würde folgen, wenn die neuen EU-Asylstandards in den Folgejahren umgesetzt werden.

Aktueller Stand der GEAS-Richtlinien

Die Qualifizierungsrichtlinie [Anm.: Anerkennungsrichtlinie vom 13.12.2011) regelt, wer berechtigt ist, einen Flüchtlingsstatus zu erhalten. Sie wurde als erste von insgesamt fünf Richtlinien des Asylpakets Ende 2011 von Parlament und Rat verabschiedet. Erstmals wurde auch die geschlechtsspezifische Verfolgung wie zum Beispiel Genitalverstümmelung und Geschlechtsidentität als ein Kriterium zum Erhalt des Flüchtlingsstatus in die Richtlinie aufgenommen.

Die Verfahrens- und Aufnahmerichtlinie stehen weiterhin zur Diskussion. Durch die Verfahrensrichtlinie sollen die verschiedenen Etappen des Asylverfahrens geregelt werden sowie die Rechte und Pflichten des Asylbewerbers. Die Aufnahmerichtlinie regelt die Mindeststandards für ein menschenwürdiges Leben bei der Aufnahme der Asylsuchenden, wozu der Arbeitsmarktzugang und Sozialleistungen zählen.

Die Eurodac- und die überarbeitete Dublin-II-Verordnung sind zwar größtenteils schon ausgehandelt, aber weiterhin blockiert. Die Dublin-II-Verordnung regelt, welcher Mitgliedsstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Derzeit ist dies das Land, in dem ein Asylbewerber zuerst europäischen Boden betreten hat. Momentan wird diskutiert, in welchen Fällen und in welchem Verfahren das Rücküberstellungsverfahren ausgesetzt werden kann. Die Eurodac-Verordnung regelt eine Fingerabdruck-Datenbank von Asylsuchenden und Menschen ohne Aufenthaltsrecht. Hauptstreitpunkt ist dabei der Zugriff von Strafverfolgungsbehörden auf diese Datenbank.

Von Julia Backes (http://www.euractiv.de/)