OVG NRW zur Zurückschiebung in Dublin II-Fällen

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Nach dem Beschluss des OVG NRW vom 26.02.2013 (Az.:18 B 572/12) bedarf die Zurückschiebung nach § 57 Abs. 2 Halbsatz 2 AufenthG weder einer vorangehenden Zurückschiebungsverfügung noch einer Zurückschiebungsandrohung.

Erforderlich ist allerdings nach Art. 20 Abs. 1 e) Dublin-II VO (juris: EGV 343/2003) eine Mitteilung über die Wiederaufnahme des Ausländers durch den zuständigen Mitgliedsstaat. Diese stellt jedoch Keinen Verwaltungsakt dar.

 Zum Sachverhalt:

Der Betroffene wurde aus den Niederlanden kommend bei einer unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet von der Bundespolizei aufgegriffen. Gemäß § 57 AufenthG verfügte diese die Zurückschiebung in die Niederlande, alternativ auch in einen anderen Staat, der zur Aufnahme des Betroffenen bereit oder verpflichtet sei. In der Begründung des Bescheides wird ausgeführt, es seien Anhaltspunkte gegeben, dass die Niederlande nach der DÜ II-VO zuständig sei. Ein entsprechendes Verfahren werde eingeleitet. Ein nach entsprechender Unterrichtung durch die Bundespolizei vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gestelltes Wiederaufnahmegesuch wurde von N. akzeptiert. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des gegen die Zurückschiebungsverfügung eingelegten Widerspruchs abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Situation in N. stehe der Zurückschiebung nicht entgegen.

Zur Bewertung:

Warum die Antragsgegnerin die beabsichtigte Zurückschiebung des Antragstellers nicht auf § 18 Abs. 3 AsylVfG sondern - wie das OVG (ohne nähere Begründung) meint: zutreffend - auf § 57 Abs. 2 Halbsatz 2 AufenthG stützt, ist diesseits nicht ohne Weiteres ersichtlich. Dies folge aus der Zurückschiebungsverfügung, mit der die Zurückschiebung des Antragstellers in die Niederlande angeordnet worden ist, so das OVG.

Die Schnittstelle von § 18 III AsylVfG zu § 57 II 2. Alt. AufenthG ist unscharf und hätte einer näheren Betrachtung durch das OVG bedurft:

Für den Fall, dass Asylsuchende aus Staaten der EU in das Bundesgebiet einreisen, ist die Dublin II-VO vorrangig vor den Regeln des § 18 über Einreiseverweigerung und Zurückschiebung anzuwenden. Neben der Dublin II-VO ist nicht zugleich § 57 II 2. Alt AufenthG anwendbar, der explizit auf zwischenstaatliche Übernahmevereinbarungen verweist; ein ges. Verweis auf § 57 AufenthG besteht in § 18 III (im Gegensatz zu § 19 III) jedoch nicht, welches sich aber auch nicht einschränkend für die Grenzbehörde auswirkt, da bereits die Ergänzung in § 19 III dogmatisch wie systematisch verfehlt ist (so auch Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 19 Rn 29). Die Dublin-Regelungen, die sekundärrechtlich neben der RückführungsRL (RFRL) stehen, bleiben hiervon unberührt. Die Ergänzung in § 57 II 2. Alt AufenthG dient der Klarstellung. Fälle, in denen sich Drittausländer, die im Asylverfahren eines anderen Mitgliedstaats stehen, illegal in Deutschland aufhalten und hier keinen weiteren Asylantrag stellen, können ausnahmsweise nach Art. 6 II RFRL - vorbehaltlich des Dublin-Verfahrens - verpflichtet werden, sich wieder in den anderen Mitgliedstaat zu begeben (§ 50 III AufenthG). Sollte nach Abschluss des Dublin-Verfahren in Deutschland die Überstellung in den zuständigen Staat nicht freiwillig erfolgen können, kann im Rahmen der zwangsweisen Durchsetzung auf eine Zurückschiebung nach § 57 II 2. Alt AufenthG zurückgegriffen werden (so die Begründung im Gesetzentwurf: „Im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines Drittlandes in einem Mitgliedstaat gestellt hat (ABl. L 50 vom 25.2.2003, S.1), ist diese vorrangig anzuwenden“.

Die Anwendung nationalen Rechts entspricht der Intention des Art. 20 I 1 Bst. e S. 2 Dublin II-VO, nach der die Überstellung gemäß den einzelstaatlichen Vorschriften des ersuchenden Mitgliedsstaats erfolgt (VG München, B. v 15.10.2008 – M 24 E 08.5020 –, juris). Nach der AsylZBV hat die Grenzbehörde im Fall eines Aufgriffs eines Asylsuchenden im grenznahen Raum an den Landgrenzen in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang m einer unerlaubten Einreise aus einem DÜ-Staat (§ 18 III) zu prüfen, ob der angrenzende Mitgliedstaat für die Behandlung des Asylbegehrens zuständig und den Ausländer ggf. dorthin zurückzuführen ist (§ 3 AsylZBV). Bei Auf- o Wiederaufnahmeersuchen eines angrenzenden Staates muss eine Grenzbehörde in diesem Mitgliedstaat für das Verfahren zuständig sein (§ 3 II AsylZBV); dies ist mit den Niederlanden bislang jedoch noch nicht durch Abkommen geregelt. Zuständig war daher das BAMF.

Ob es nun einer vorrangigen Betrachtung und Abstützung auf § 57 II gar nicht bedurfte ist weiterhin unklar, insbesondere, ob nicht § 18 III AsylVfG als spezialges. Regelung weiterhin einschlägig ist. Der Gesetzgeber hätte es jedenfalls in der Hand gehabt, mit dem RLUmsG 2011 eine klare Revision des § 18 AsylVfG vorzunehmen.

Das OVG stuft die Zurückschiebungsverfügung nicht als unaufschiebbare Anordnung oder Maßnahme ein. Die Zurückschiebungsverfügung sei auch keine Maßnahme im Rahmen des gesetzlich vorgesehenen Vollstreckungsverfahrens. Daher erfordere auch die Effektivität der Zurückschiebung weder einer Zurückschiebungsverfügung noch den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dagegen eingelegter Rechtsbehelfe. Eine Zurückschiebung nach § 57 Abs. 2 Halbsatz 2 AufenthG sei im Gegensatz zur Abschiebung nach § 58 AufenthG aus Beschleunigungsgründen auch ohne vorherige Zurückschiebungsandrohung mit Fristsetzung zulässig. § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG, wonach die Abschiebung schriftlich unter Bestimmung einer Ausreisefrist angedroht werden solle, sei bei einer Zurückschiebung weder unmittelbar noch entsprechend heranzuziehen.

Der Verwaltung ist es aber nicht verwehrt, die Zurückschiebung im Vorfeld ihrer tatsächlichen Durchführung gegenüber dem Betroffenen in der Form des Verwaltungsakts zu verfügen. Dies entspricht auch der Vollzugspraxis und ist sinnvoll für die zwischen den Beteiligten ggf. streitigen Rechts- oder Tatsachenfragen.

Gleichwohl wurde dem Hilfsantrag der Beschwerde stattgegeben:
Der Zurückschiebung stehe derzeit der fehlende Nachweis entgegen, dass die unionsrechtlich gemäß Art. 20 Abs. 1 e) Dublin-II VO gebotene Mitteilung an den Antragsteller erfolgt ist. Die Aushändigung der Mitteilung muss so rechtzeitig erfolgen, dass der durch Art. 20 Abs. 1 e) Dublin- II VO garantierte Rechtsschutz gegen die Überstellung noch möglich ist. Dies schließt eine Aushändigung aus, die zeitlich erst unmittelbar vor der Überstellung erfolgt. Art. 20 Abs. 1 e) Dublin-II VO meint entgegen seinem missverständlichen Wortlaut nach Sinn und Zweck Rechtsschutz vor den Gerichten des überstellenden Staats.

Näher hierzu in

icon Zur Haft im Asylverfahren, Nr. 10 (Auszug):

Neben dem mangelnden effektiven Rechtsmittel im AsylVfG, sieht § 31 Abs. 1 S. 2 für den Betroffenen und § 31 Abs. 1 S. 6 für den Anwalt vor, dass lediglich ein Abdruck des Überstellungsbescheides auszuhändigen ist. Diese Praxis macht es dem Asylsuchenden praktisch unmöglich, Rechtberatung oder Rechtschutz zu suchen, zumal das BAMF per Erlass angewiesen ist, den Asylantrag der Betroffenen in Überstellungsfällen „nicht in Behandlung zu nehmen“ und den Bescheid erst am Tag der Überstellung auszuhändigen. Mit ihrem Vortrag, die Regelung des § 31 Abs. 1 S. 4 und 5 AsylVfG enthalte keine Frist für die Zustellung des Bescheides und die Vorschrift des § 34 a Abs. 2 AsylVfG, der nur die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes im Falle der Abschiebungsandrohung nach Abs. 1 ausschließt, spreche dafür, dass die Zustellung des Bescheides am Tag der Überstellung ausreiche, verkennt die Antragsgegnerin nicht nur das Gebot des effektives Rechtsschutzes des Art. 19 Abs. 4 GG, sondern auch die Intention, die der Gesetzgeber mit den genannten Regelungen augenscheinlich verfolgt (VG Hannover, 13. Kammer, Beschluss vom 10.12.2009 - 13 B 6047/09 -). Die Bekanntgabe hat damit grundsätzlich so bald wie möglich zu erfolgen. Das VG sieht zudem eine Frist von 3 Werktagen, die nach den Fristenregelungen des BGB berechnet werden muss, für angemessen. So auch VG Hannover, 4. Kammer, im Beschluss vom 26.01.2010 - 4 B 624/10 -.

Zum Beschluss des OVG im Volltext:

icon OVG NRW - 18 B 572/12 - Beschluss vom 26.02.2013 (113.09 kB 2013-05-05 10:47:18)