Migration: Schellack, Vinyl, MP3 /Tim Renner ?Kinder, der Tod ist gar nicht so

Anzeige Werbung Kanzleien Anzeige

Tim Renner ist der Produktmanager in der deutschen Musikindustrie in den letzten Jahrzehnten. Wie kein anderer kennt er die Entwicklung der Migration von Daten in der Musik und half die Hürden, die von der Umstellung von Vinyl auf Compact Discs und schließlich bis zum Verzicht auf den Einsatz von Datenträgern, zu nehmen waren, zu überwinden. In ?Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm? nimmt er auch Juristen mit auf eine spannende Reise durch die Welt der Rechte der Musiker. Eine erstklassige, amüsante und lehrreiche Bettlektüre für Rechtsanwälte, Politiker und Produktmanager gleichermaßen.

Die Effekte der Migration von Schellack über Vinyl bis zu MP3 haben unglaublich großen Einfluss auf die Massenmärkte. Hier ist Tim Renne, der Autor von ?Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm? zuhause. Der Marsch durch die Pop-Institutionen bildet den roten Faden des Buchs. Dabei geht es nicht um die üblichen Anekdoten über den Rock`n`Roll- oder Techno-Lifestyle. Renner stellt seine Biografie in den Kontext maßgeblicher Branchenentwicklungen, die - betrachtet aus heutiger Perspektive - geradewegs in die Katastrophe führten: "Ich kam gerade rechtzeitig zum hundertsten Geburtstag der Schallplatte in den Polygram-Konzern. 1987 wurden Emil Berliner und seine Erfindung gefeiert. Wir bekamen einen Ersttagsbrief mit den Jubiläumsbriefmarken der Deutschen Bundespost und eine Festschrift geschenkt", erinnert er sich. Doch die im August 1982 präsentierte CD war zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr aufzuhalten. Die damals zur holländischen Phillips-Gruppe gehörende Polygram boxte die Konzern-eigene Erfindung in Zusammenarbeit mit Sony auf den Markt. Damit setzte auch eine Kommerzialisierung des Musikgeschäfts ein. Pressungen zu finanzieren und sie mit Werbemaßnahmen weltweit zu begleiten erforderte einen ungleich höheren Kapitaleinsatz. Fortan musste Bands mehr und mehr nach dem Plan der Musikindustrie produzieren Die Digitalisierung von Daten setzte den Prozess in Gang der häufig ? auch im Büro von Berliner und Brandenburger Rechtsanwälten, Juristen und Referendaren ? häufig zu beobachten ist. Daten und Informationen werden kalt und emotionslos. Zwischenmenschliche Kommunikation weicht der Datenfernübertragung und ihren Protokollen. Für ein Kulturgut wie Musik ist dies tödlich.

Bereits 1993 hatte sich die Branche auf internen Tagungen mit dieser Entwicklung beschäftigt. 35 Seiten umfasste die 10-Jahres-Prognose der jüngeren PolyGram-Abteilungsleiter. Die sich abzeichnende technologische Umwälzung wurde genau aufgeschlüsselt, der Vertrieb über "Data-Superhighways" in Aussicht gestellt. Ergebnisse, die viel zu lange im Giftsschrank blieben. Der "digitale Boom" fand außerhalb der Konferenzräume der Musikbranche statt. Napster und Co. ließen es krachen. Die Technologie-Hysterie um Universal/Vivendi oder AOL/Time Warner fiel dagegen in sich zusammen. Die New Economy setzte zu ungeahnten Höhenflügen an und fiel tief. Die ohnehin geschwächte Musikindustrie stand plötzlich mit leeren Händen da. "Von 1997 bis 2003 ging ein knappes Drittel des Gesamt-Marktes verloren. Mittlerweile nähern wir uns der Hälfte." Eine Entwicklung, die letztlich auch Tim Renner hinwegfegte. Dem CEO der größten deutschen Plattenfirma blieb nichts anderes übrig, als die Vorgaben der internationalen Controller zu erfüllen. Zu diesem Zeitpunkt verließ Renner die Musikindustrie, in die er 25 Jahre zuvor eigentlich nur eingestiegen war, weil im missfiel, wie Musiker und deren Werke behandelt und ihre Rechte ausgehöhlt worden. Ein Walraff der Musikindustrie wollte er werden und ließ sich als Produzent von Element of Crime in den Strudel der Annehmlichkeiten dieses Superlativ-Geschäfts reißen.

Interessant ist aus der Sicht von Anwälten und Referendaren vor allem der marktwirtschaftliche Umgang mit Rechten. Lohnt es sich alles digitale Daten mit Kopierschutz zu versehen oder gibt man nicht besser Datenbestände frei - sei es von Büchern? Renner zieht hier den besten Vergleich zur Pornoindustrie, die nach wie vor die größten Gewinne im Handel von Audio- und Videodateien vorweisen kann.