Mozart als Galionsfigur eines neuen Anlaufs in der Diskussion um die EU-Verfassung
SALZBURG ? Vor dem Hintergrund des 250. Geburtstages Wolfgang Amadeus Mozarts sowie vor dem Hintergrund der Gedenkfeierlichkeiten des Holocaustgedenktags, hat der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel am 26. Januar 2006 in Salzburg die "Sound of Europe"-Konferenz eröffnet, die unter österreichischer EU-Präsidentschaft (externer Link) den Startschuss zu neuen Diskussionen zur Zukunft Europas geben soll. Der französische Premierminister Dominique de Villepin hat als erster Redner am 27. Januar 2006 die Diskussionen zur Zukunft Europas eröffnet.
De Villepin hielt in Salzburg einen durchaus optimistischen Vortrag und betonte, Frankreich habe mit seinem Nein zum EU-Verfassungsvertrag keineswegs nein zur Europa gesagt, sondern vielmehr hätten die Franzosen ihre "Ängste, Besorgnisse und Erwartungen" zum Ausdruck gebracht. Der französische Premierminister bekräftigte seinen Willen, sich umfassend zu engagieren, um Europa aus der Krise zu helfen, in der es sich zur Zeit befindet. Um seine Krise zu überwinden, muss Europa Antworten auf zwei wichtige Fragen finden: auf jene nach seinen Grenzen und auf jene nach den Zielen der Europäischen Union. Das nun aufzuschlagende Kapitel wird dasjenige eines Europas der Völker sein, deren Meinungen unter Zuhilfenahme des Mittels der Demokratisierung beim Bau des europäischen Hauses in Betracht gezogen werden müssen.
Hierzu führt er aus:
"Europa hat gerade eine nie da gewesene Erweiterung erlebt, hat zehn neue Länder aufgenommen und hat damit einen großen Schritt in seiner Entwicklung vollzogen. Ich bin davon überzeugt, dass wir vielleicht nicht richtig und nicht ausreichend die Konsequenzen dieser wichtigen, politischen Entscheidung verstanden haben. Wir haben den Weg der Erweiterung beschritten, ohne vorher zu erkennen, dass wir Europa vertiefen müssen, dass wir unsere Regeln stärken müssen, dass wir unseren Anforderungen gerecht werden müssen. Die Legitimität des Beitrittes der neuen Mitgliedstaaten wird keineswegs in Frage gestellt. Unsere jüngste Geschichte, die Trennung durch den kalten Krieg in Europa bedingt, dass diese Länder beitreten mussten. Sie haben ihren Platz in unserem Kreise. Sie sind keine Verlängerung der europäischen Identität, sondern sie stehen für die eigentliche europäische Identität. Sie haben den gekidnappten Kontinent wieder gefunden, wie Milan Kundera sagte, und das steht für Freiheit und Demokratie und Europa hat sich immer für Freiheit und Demokratie und gegen den Totalitarismus eingesetzt. In diesem Sinne möchte ich die Rolle Österreichs begrüßen. Sie haben eine wichtige Rolle im Kalten Krieg eine wichtige Rolle gespielt, wenn es um den Dialog mit diesen Ländern ging. Alois Mock und Bruno Kreisky haben diesen Dialog aufrechterhalten und echte, feste Bande geknüpft zu diesen Ländern, die unter dem Joch der Sowjetunion standen. Wenige Jahre später haben die Beitrittsverhandlungen unter österreichischem Vorsitz mit diesen 10 neuen Mitgliedstaaten begonnen. Und heute müssen wir erkennen, dass diese Erweiterung nicht ausreichend vorbereitet worden ist: weder politisch noch wirtschaftlich. Unsere Unternehmen und die Beschäftigten in unseren Ländern hatten Schwierigkeiten zu bewältigen und der Beitritt der neuen Mitgliedstaaten wurde oft als eine zu große finanzielle Belastung empfunden. Die tatsächlichen Fähigkeiten der Union und unsere Ambitionen, die sich nicht deckten mit diesen, haben bei unseren Völkern Unwohlsein entstehen lassen.
Das ist zurückzuführen auf die schnelle Erweiterung, aber auch auf unser politisches Modell, das etwas zwiespältig ist. Was wollen wir denn werden? Ein Bundesgebilde nach dem Vorbild der USA oder ein Nationenstaat oder wollen wir ein einfacher Wirtschaftsraum bleiben oder werden ohne Zoll und ohne Grenzen. Das sind alles Fragen, die wir uns stellen, aber wir haben sie nie wirklich gemeinsam entschieden. Wir müssen diese Diskussion wieder aufnehmen. Wir müssen uns ein Ziel vorgeben. Europa ist in kleinen Schritten entstanden. Definiert wird es durch Bewegung, nicht so sehr durch Grenzen, durch Progression und nicht durch Stillstand. Adenauer und General De Gaulle haben im Salon d?Orloge des Quai d?Orsay die Gemeinschaft für Kohle und Stahl zwischen Frankreich und Deutschland festgelegt. Oder der Vertrag von Rom, der 1957 das Europa der Sechs begründete. In der Präambel des Vertrages wird anerkannt, dass diese Union nur Embryonalcharakter hat. Denn es heißt darin, dass die Grundlagen für ein näheres Zusammenfinden Europas festgelegt werden sollen. Mit Giscard d?Estaing wollten wir diesen Gründungssockel stärken und wir müssen erkennen, dass das bis jetzt nicht von allen Völkern erkannt wurde. Und schließlich und endlich - und das ist vielleicht der Schlüssel für diese Identitätskrise - scheint Europa einige Schwierigkeiten zu haben, seine Werte zu verteidigen und zu vertreten. Die Welt wird immer einheitlicher und die Menschen haben das Gefühl, dass Europa an seiner Besonderheit nicht mehr festhalten kann, dass diese verloren geht. Die Unterschiede sind natürlich zurückzuführen auf die Geschichte einer jeden Nation, aber wir teilen den gemeinsamen Willen der Solidarität, des sozialen Zusammenhaltes, der wirtschaftlichen und sozialen Gerechtigkeit. ?
Was sind die Fragen, die sich die europäischen Bürger heute stellen: Die erste Frage ist die nach den Grenzen: Wir brauchen klare Beitrittskriterien. Es geht um die europäische Zugehörigkeit der Kandidaten, ihrer Achtung der Werte und Regeln der Union, aber es geht auch um die Aufnahmefähigkeit der Union. Wir müssen uns auch Klarheit schaffen, was unsere weiteren Termine und Fristen anbelangt. Zu Bulgarien und Rumänien, deren Beitritt muss so schnell wie möglich erfolgen, auf der Grundlage der nächsten Empfehlungen der Kommission. Was die Balkanstaaten anbelangt, eine Region, für die sich Frankreich besonders eingesetzt hat, eine Region die uns geographisch, aber auch historisch sehr nahe steht. Sie sollen der Union beitreten, müssen allerdings auch die Beitrittsbedingungen sorgsam achten. Was die Türkei anbelangt, so wurde die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen vor wenigen Wochen beschlossen. Es ist eine ganz wesentliche politische Entscheidung - aufgrund der Verpflichtungen, die Europa vor einigen Jahrzehnten eingegangen ist, aber auch aufgrund der enormen Anstrengungen, die dieses Land unternommen hat. Der vor uns stehende Prozess muss in Schritten erfolgen und es müssen immer die Kriterien, die von Union vorgegeben wurden, eingehalten werden. Schließlich ist es ein Prozess, dessen Ergebnis offen bleiben muss bis zum Ende der Beitrittsverhandlungen. Wir möchten, dass in Frankreich das letzte Wort die Franzosen haben ? und zwar in Form eines Referendums. Aber wir brauchen jetzt schon eine globale Strategie für Erweiterung. Aber wir brauchen jetzt schon eine globale Strategie für Erweiterung und Nachbarschaft der Union. Der Beitritt kann nicht die einzige Lösung sein, die wir unseren Nachbarstaaten anbieten. Wir müssen ihnen auch etwas anderes vorschlagen können. Nämlich ehrgeizige Partnerschaften, die ihnen helfen auf dem Weg zur Demokratie und wirtschaftlichen Entwicklung. Dann die zweite Frage, die wir beantworten müssen, ist die nach den europäischen Ambitionen oder der europäischen Ambition. Wollen wir nur der reichste Kontinent der Welt werden oder wollen wir auch unsere Werte außerhalb der Grenzen verteidigen und für sie einstehen? Ich bin davon überzeugt, dass Europa nur einen Sinn hat, wenn es auch in der Lage ist, seine Botschaft über seine Grenzen hinaus zu tragen. Wir müssen zeigen, dass unsere grundsätzlichen Werte universal sind, indem wir für sie auf internationaler Bühne eintreten."
Am Ende der Konferenz und zahlreicher Debatten zog der österreichische Bundeskanzler das folgende Fazit: "Die hier erfolgten Diskussionen haben Anstöße zu einer breit gefassten und erweiterten Debatte gegeben. Es hat hier keine Abkürzungen, keine Kehrtwendungen gegeben, aber durchaus Entwürfe für konkrete Lösungsansätze".