Unions-Kritik an dem von der großen Koalition in Berlin gefundene Kompromiss über das Bleiberecht

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Der Koalitions-Streit über ein Bleiberecht für langjährig geduldete Ausländer ist beigelegt. Dauerhaft in Deutschland leben dürfen danach jene, die den Unterhalt für sich und ihre Familie selbst erarbeiten und nicht auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Auf diese Eckpunkte verständigten sich grundsätzlich Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) sowie Fachpolitiker beider Koalitionsfraktionen in Berlin. Die Grünen begrüßten das Ergebnis zum Teil, monierten aber, dass nur die Hälfte der 190 000 Geduldeten von der Neuregelung erfasst werde. Die neuen Bleiberechtsregelungen stehen auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz, die am Donnerstag und Freitag in Nürnberg stattfindet. Es wird erwartet, dass der von der großen Koalition im Vorfeld erzielte Kompromiss trotz der Kritik aus der Union durchgesetzt wird. Die neuen Regelungen zum Bleiberecht können nur bei einer einstimmigen Zustimmung auf den Weg gebracht werden.

Die Eckpunkte des Koalitionskompromisses zum Bleiberecht

Der Kompromiss der Regierungskoalition von Union und SPD zum Bleiberecht für langjährig geduldete Ausländer sorgt weiter für Streit. Nachfolgend die wichtigsten Vereinbarungen gemäß einem Ergebnis-Protokoll, das der dpa in Berlin vorliegt:

Ausreisepflichtige Ausländer erhalten ein Bleiberecht, wenn sie schon sechs Jahre (Familien) oder acht Jahre (Alleinstehende) in Deutschland leben («Altfall-Regelung»). Vorgesehen ist eine zunächst auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsgenehmigung einschließlich einer Arbeitserlaubnis. Im Anschluss soll die Aufenthaltserlaubnis nur verlängert werden, wenn die Betroffenen ihren Lebensunterhalt «während dieser Zeit überwiegend durch legale Erwerbstätigkeit bestritten haben» und dies auch künftig zu erwarten ist.

Geduldete Ausländer erhalten nach vier Jahren Aufenthalt eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis. Bisher konnten sie legal nur dann eine Arbeit annehmen, wenn dafür weder ein Bundesbürger noch ein EU- Ausländer Interesse hat. Diese «Vorrangprüfung» soll künftig nach vier Jahren entfallen.

Der um 30 Prozent gekürzte Sozialhilfesatz für geduldete Ausländer soll künftig vier Jahre gezahlt werden. Derzeit sind es drei Jahre.

Nach vier Jahren wird für die Betroffenen die so genannte Residenzpflicht gelockert. Dies soll ihnen ermöglichen, sich überregional um Arbeit zu bemühen.

Auch beim Familien- und Ehegatten-Nachzug wird der Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse verlangt.

Es bleibt beim eigenständigen Aufenthaltsrecht von Ehegatten unter der «Voraussetzung des zweijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft.

Stellungnahmen der Beteiligten

Schäuble zeigte sich mit dem Gesprächsergebnis zufrieden. "Wir sind gut
vorangekommen, aber wir wollen die Einzelheiten wie verabredet erst mit den Innenministern besprechen", sagte er. Die Minister treffen sich morgen und am Freitag in Nürnberg zur turnusmäßigen Innenministerkonferenz. Die Reglungen dürfen jedoch nicht dazu führen, dass illegales Verhalten im Nachhinein belohnt werde, sagte Schäuble. Die Landesregierungen von Bayern und Niedersachsen lehnen den gefundenen Kompromiss allerdings ab.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), sprach von einer "entscheidenden Weichenstellung für eine tragfähige Regelung". Es seien zwar noch Detailfragen zu klären. Sie sei aber "sehr zuversichtlich", dass ein Bleiberechtsgesetz bereits in den nächsten Wochen vorliegen werde, betonte sie. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Dieter Wiefelspütz sprach von einem "Durchbruch", der eingebettet sei in die Überarbeitung des Ausländer-, Zuwanderungs- und Integrationsrechtes. Das Bleiberecht sei dabei ein "ganz wichtiger Baustein", sagte er. Geplant sei eine "Altfall-Regelung", die knapp die Hälfte der 190 000 geduldeten Flüchtlingen betreffe. Die große Koalition habe einen großartigen Erfolg erzielt, sagt Wiefelspütz. Mit dieser Regelung werde gesichert, dass die geduldeten Ausländer die Chance hätten, sich den eigenen Lebensunterhalt zu sichern.

Reaktion der Innenminister

Einen Tag vor dem Beginn der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern machen Politiker aus der Union weiter Front gegen den erzielten Kompromiss zum Bleiberecht so genannter geduldeter Ausländer. Sie befürchten durch die neue Regelung eine Zuwanderung in die Sozialsysteme. "Nach der vorgesehenen Regelung wäre es äußerst schwierig, jemandem den dauerhaften Aufenthaltsstatus nach zwei Jahren wieder wegzunehmen, sollte der sich in dieser Zeit nicht um Arbeit bemüht und weiter nur von der Sozialhilfe gelebt haben", erklärte der bayerische Innenminister Günther Beckstein.
Sein niedersächsicher Kollege Schünemann warf Bundesinnenmister Schäuble, der die Einigung mit Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) erzielt hatte, Praxisferne und Unkenntnis vor. Die von Schäuble mitunterzeichnete Vereinbarung gehe zu Lasten der Kommunen, die letztlich Sozialhilfe für die Flüchtlinge bezahlen müssten.
 
Uneinigkeit in der Union

Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Bosbach erklärte dagegen, die meisten der 190.000 geduldeten Ausländer würden von dem neuen Bleiberecht nicht profitieren. Die Neuregelung soll seiner Auffassung nach vor allem die in Deutschland geborenen Kinder besser stellen: "Es kann niemand darauf spekulieren, dass er alleine durch Zeitablauf ein Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommen wird. Es wird eine einmalige Bleiberegelung für Altfälle sein", sagte Bosbach gegenüber der Deutschen Welle. Zustimmung zum Kompromiss signalisierte auch Unionsfraktionschef Volker Kauder, da die Einigung eine dauerhafte Arbeitserlaubnis an den Zugang zum Arbeitsmarkt knüpfe und damit Sozialmissbrauch weitgehend verhindere.