Am 16. Januar 2008 hat der Rat der Europäischen Union den Beschluss des EuGH über die erforderlichen Änderungen seiner Verfahrensordnung zur Einführung eines Eilverfahrens angenommen. Mit diesem Verfahren sollen individuelle Rechte, die durch die mögliche Dauer eines Gerichtsverfahrens gefährdet werden (insbesondere in den Bereichen Asyl, Einwanderung, Ehesachen und elterliche Verantwortung) mit dem Recht aller Beteiligten auf rechtliches Gehör und Teilnahme am Verfahren in Einklang gebracht werden.
Das Eilverfahren erfasst nicht alle Bereich des Ausländerrechts, ist insbesondere nicht auf die Freizügigkeit von Unionsbürgern und die Rechte türkischer Staatsangehöriger nach dem ARB 1/80 anwendbar. Erfasst werden aber die Bereiche, die mit dem Vertrag von Amtserdam dem Gemeinschaftsrecht unterstellt wurden: Asylrecht, Visumsverfahren, Familiennachzugs- und Daueraufenthaltsrichtlinie.
Das vorgeschlagene Eilverfahren wird den Gerichtshof ebenfalls in die Lage versetzen, die kurzen Fristen einzuhalten, die aufgrund bestimmter Vorschriften des Gemeinschaftsrechts bzw. des nationalen Rechts vorgegeben sind. Durch den Vertrag von Nizza wurden bereits mehrere neue Mechanismen eingeführt, insbesondere das „beschleunigte“ Verfahren, von dem jedoch so gut wie nie Gebrauch gemacht wurde. Im September 2006 trat der Gerichtshof mit einem Schreiben seines Präsidenten in einen Dialog mit dem Rat ein, der zu Änderungsvorschlägen für seine Satzung und seine Verfahrensordnung mit Blick auf die Einführung eines neuen „Eilverfahrens“ für Vorabentscheidungen führte. Nach der Veröffentlichung im Amtsblatt soll die geänderte Verfahrensordnung voraussichtlich am 1. März 2008 in Kraft treten.
Das Verfahren soll folgenden Ablauf haben: Sogleich nach Eingang eines Vorabentscheidungsersuchens zu einem von Titel VI des EU-Vertrags oder Titel IV des Dritten Teils des EG-Vertrags erfassten Bereich stellt der Gerichtshof auf entsprechenden Antrag des
nationalen Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen das Ersuchen sofort den Parteien des Ausgangsverfahrens, dem Mitgliedstaat, zu dem das nationale Gericht gehört, und der Kommission zu sowie gegebenenfalls dem Europäischen Parlament und dem Rat, wenn es um die Gültigkeit oder die Auslegung einer ihrer Maßnahmen geht. Die Parteien, der Staat und die Organe wären folglich unmittelbar davon unterrichtet, dass das Ersuchen möglicherweise dem Eilvorlageverfahren unterworfen wird, und wären bereits in dieser Phase in der Lage, schriftliche Erklärungen vorzubereiten und/oder die für die Vorbereitung der Erklärungen erforderliche Konzertierung durchzuführen.
Innerhalb des Gerichtshofs wird das Vorabentscheidungsersuchen dem Übersetzungsdienst zugeleitet, der innerhalb kurzer Frist eine Übersetzung des Ersuchens in die Arbeitssprache des Gerichtshofs zu erstellen hat. Diese Übersetzung ermöglicht es der hierfür bestimmten Kammer, sehr rasch zu prüfen, ob das Eilvorlageverfahren durchzuführen ist. Verneint die Kammer
dies, wird die Rechtssache dem normalen Vorabentscheidungsverfahren unterworfen.
Entscheidet die Kammer, das Ersuchen dem Eilverfahren zu unterwerfen, wird die Entscheidung sofort dem vorlegenden Gericht sowie den Parteien des Ausgangsverfahrens, dem Mitgliedstaat, zu dem das Gericht gehört, und den Gemeinschaftsorganen bekannt gegeben, denen gleichzeitig die Frist für die Einreichung etwaiger Schriftsätze oder schriftlicher Erklärungen mitgeteilt wird. Die Kammer kann gegebenenfalls auch angeben, welche Rechtsfragen diese Schriftsätze oder Erklärungen behandeln sollen, und festlegen, welchen Umfang diese höchstens haben dürfen. Den anderen in Artikel 23 der Satzung genannten Beteiligten wird ebenfalls mitgeteilt, dass das Eilverfahren durchgeführt wird.
Nach Ablauf der Frist für die Einreichung der Erklärungen veranlasst der Gerichtshof die Zustellung des Vorabentscheidungsersuchens an alle in Artikel 23 der Satzung bezeichneten Parteien und sonstigen Beteiligten mit den inzwischen verfügbaren Übersetzungen in alle Amtssprachen der Union sowie den von den im vorstehenden Absatz genannten Beteiligten eingereichten Schriftsätzen oder schriftlichen Erklärungen in der Verfahrenssprache und einer Übersetzung in die Arbeitssprache des Gerichtshofs, wie dies bereits jetzt bei allen Vorabentscheidungsverfahren der Fall ist. Mit der Zustellung erhalten alle in Artikel 23 der Satzung bezeichneten Parteien und sonstigen Beteiligten eine Ladung zur mündlichen Verhandlung, die allen Verfahrensbeteiligten, wenn sie es wünschen, Gelegenheit geben dürfte, zu der oder den vom nationalen Gericht aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen und/oder auf die im schriftlichen Verfahren eingereichten Erklärungen zu reagieren.
Die Kammer entscheidet in den auf die mündliche Verhandlung folgenden Tagen nach Anhörung des Generalanwalts.
Zudem bahnt sich mit dem Vertrag von Lissabon eine weitere Änderung in den Vorlageverfahren an, da der Art. 68 EG, der die Vorlageberechtigung auf letztinstanzliche Gerichte beschränkte, ersatzlos aufgehoben wird. Damit können - wie in den anderen Bereichen des EG-Vertrages auch - alle Verwaltungsgerichte Fragen zu den Asyl- und Aufenthaltsrichtlinie vorlegen. Die Änderung wird aber erst wirksam, wenn alle Staaten den Vertrag von Lissabon ratifiziert haben.
Weiterführende Informationen
http://curia.europa.eu/de/instit/txtdocfr/documents/rp.pdf
http://curia.europa.eu/de/instit/txtdocfr/txtsenvigueur/txt5.pdf
http://curia.europa.eu/de/instit/txtdocfr/documents/06208.pdf