Im Verfahren des saudiarabischen Geschäftsmannes Yassin Abdullah Kadi gegen den Rat der EU und die Kommission hat der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in seinen Schlussanträgen dem Europäischen Gerichtshof empfohlen, die vom Kläger angefochtene EU-Verordnung, mit der seine Gelder eingefroren wurden, für nichtig zu erklären (Rechtssache C-402/05).
Der Geschäftsmann war vom Sanktionsausschuss des UN-Sicherheitsrates als Person benannt worden, die im Verdacht steht, den Terrorismus zu unterstützen. Aufgrund mehrerer Resolutionen
des UN-Sicherheitsrats6 sind die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verpflichtet, Gelder und Finanzmittel solcher Personen einzufrieren. Die Europäische Union, deren Mitgliedstaaten der UN angehören, hat die Resolutionen durch eine Verordnung des Rates umgesetzt und die UN-Terrorlisten in Gemeinschaftsrecht übernommen. Die EU führt daneben noch ihre eigene Terrorliste7. Der Kläger wurde in die von der UN übernommene Liste von Personen, deren Gelder einzufrieren waren, aufgenommen. Das Europäische Gericht Erster Instanz wies die Klage auf Nichtigerklärung der Verordnung ab. Die Gemeinschaftsgerichte seien nur eingeschränkt für die Überprüfung der Verordnung zuständig, da die UN-Charta als völkerrechtlicher Vertrag Vorrang vor dem Gemeinschaftsrecht habe.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger vor dem Gerichtshof Rechtsmittel eingelegt. In den Schlussanträgen des Generalanwaltes, die nicht bindend sind, denen der Gerichtshof in der Regel aber folgt, wird vorgeschlagen, das Urteil erster Instanz aufzuheben und die angefochtene Verordnung für nichtig zu erklären, soweit der Kläger davon betroffen ist. Für das Verhältnis zwischen dem Völkerrecht und der Gemeinschaftsrechtsordnung sei letztere maßgeblich. Daher bestimmten die Gemeinschaftsgerichte die Wirkungen völkerrechtlicher Verpflichtungen innerhalb der EU. Das Völkerrecht könne Wirkungen nur unter den Bedingungen entfalten, die die Verfassungsgrundsätze der Gemeinschaft vorschrieben. An erster Stelle dieser Grundsätze stehe, dass die Gemeinschaft auf der Achtung der Grundrechte und der Rechtstaatlichkeit beruhe. Der Generalanwalt weist das Argument zurück, eine Kontrolle sei im Hinblick auf die „politische“ Natur der Maßnahme unangemessen. Die Behauptung der politischen Notwendigkeit könne nicht dazu führen, die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts auszuschalten und dem einzelnen seine Grundrechte zu entziehen. Im Gegenteil: würden die Gefahren für die öffentliche Sicherheit als außergewöhnlich hoch eingeschätzt und sei der Druck zum Ergreifen von Maßnahmen, die die Individualrechte außer Acht ließen, besonders stark, hätten die Gerichte ihre Aufgabe, den rundsatz der Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten, mit erhöhter Wachsamkeit zu erfüllen. Daher besäßen die Gemeinschaftsgerichte die Zuständigkeit für die Prüfung, ob die angefochtene Verordnung mit den gemeinschaftsrechtlich anerkannten Grundrechten in Einklang stehe. Der Gerichtshof solle die Sache nicht an das Gericht erster Instanz zurückweisen, sondern selbst endgültig über die Nichtigkeitsklage entscheiden. Das aufgrund der fraglichen Verordnung erfolgte unbefristete Einfrieren der Vermögenswerte einer Person sei ein weit reichender Eingriff in das Eigentumsrecht, sofern es keine Verfahrensgarantien gebe, die von den Behörden verlangten, solche Maßnahmen zu rechtfertigen, wie z.B. die Kontrolle durch ein unabhängiges Gericht.
Dem Kläger gegenüber seien einschneidende Sanktionen verhängt worden. Wenn dies auch aufgrund schwerwiegender Vorwürfe geschehen sei, so könne ihm nicht jede Möglichkeit verwehrt werden, die Berechtigung der Vorwürfe oder die Angemessenheit der Sanktionen von einem unabhängigem Gericht überprüfen zu lassen. Da es auf der Ebene der UN keinen gerichtlichen Kontrollmechanismus gebe, dürfe die Gemeinschaft bei der Umsetzung von Resolutionen nicht auf ein ordnungsgemäßes gerichtliches Kontrollverfahren verzichten. Die sich andernfalls ergebenden Grundrechtsverletzungen dürften in einer Rechtsgemeinschaft nicht zugelassen werden. Daher müsse die Verordnung für nichtig erklärt werden, soweit sie den Kläger betreffe.
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